Aufstocken statt nur sanieren

W2H Architekten
25. Mai 2023
Foto: Rolf Siegenthaler
Herr Wenger, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Die Überbauung Lindendorf II wurde in den frühen 1980er-Jahren am nördlichen Siedlungsrand der Gemeinde Ostermundigen in einheitlichem Erscheinungsbild erstellt. Die Siedlung umfasst zwölf Wohnbauten, welche untereinander mit einer Einstellhalle verbunden sind. Sie befinden sich im Besitz von zehn Eigentümern. 

Begonnen hat das Projekt im Jahr 2014 mit einem Auftrag für eine Strangsanierung eines einzelnen Gebäudes. Gemeinsam mit der Eigentümerschaft erkannten wir das Potenzial für eine innere Verdichtung der ganzen Siedlung und überprüften noch im selben Jahr die Möglichkeiten einer Aufstockung exemplarisch am Objekt Unterdorfstrasse 35 und 37. Das im Auftrag der Gemeinde folgende Workshopverfahren legte die Richtlinien zu Bebauungsmuster, Fassadengestaltung, Erschliessung, Parkierung und Umgebungsgestaltung der ganzen Siedlung fest. 

Die Holzkonstruktionen der Aufbauten der bestehenden Häuser wurden mit Eternit-Wellplatten verkleidet. (Foto: Rolf Siegenthaler)
Das Vokabular der Aufstockungen ist ein anderes, doch die Syntax von Altbestand und neuen Gebäudeteilen ist gleich. (Foto: Rolf Siegenthaler)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Durch die grosszügigen Abstandsverhältnisse innerhalb der Überbauung Lindendorf II ist eine bauliche Verdichtung mittels Aufstockung von bis zu drei Geschossen städtebaulich verträglich, wobei auf die Vorgabe eines Attikageschosses verzichtet wird. Die Höhenstaffelung der Bestandsbauten wird beibehalten, so werden die mittig im Areal liegenden Gebäude von vier auf sieben Geschosse erweitert, während die aussenliegenden Gebäude neu maximal sechs Geschosse aufweisen. Dadurch soll der offene Charakter der Siedlung beibehalten werden. Das erarbeitete Verdichtungskonzept schafft das Potenzial, die bestehenden 228 Wohnungen um 110 zusätzliche zu ergänzen. 

Im Treppenhaus (Foto: Rolf Siegenthaler)
Wie haben Sie auf den Ort reagiert?


Es war davon auszugehen, dass aufgrund unterschiedlicher Eigentümer die Sanierungs- und Erweiterungsarbeiten in mehreren Etappen erfolgen. Mit dem erarbeiteten Gestaltungskonzept soll die räumliche und architektonische Qualität der Siedlung in jedem Stadium der rollenden Weiterentwicklung gestärkt werden und die bestehende Identität erhalten bleiben. Emotionale Beziehungen der Bewohnenden zur bestehenden Siedlung sollen mittels Eingliederung der Neubauteile und der Wiedererkennbarkeit des Bestandes gewahrt werden. Auf dieser Prämisse aufbauend, entwickelten wir das Gestaltungskonzept. 

Die Bestandswohnungen sind grosszügig geschnitten. (Foto: Rolf Siegenthaler)
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt und wie sind Sie diesen gerecht geworden?


Um die Einheitlichkeit der Siedlung zu erhalten, sind für alle Eigentümer verbindliche Vorgaben zur Bau- und Umgebungsgestaltung erstellt worden. Im Grundsatz folgen die neuen Aufbauten den Vor- und Rücksprüngen des Bestandes. Im Sinne des Weiterbauens wird die Zäsur zwischen den vorhandenen Bauten und den neuen Aufbauten mit dem bestehenden Dachabschluss in Waschbetonelementen dargestellt. Das Prinzip der Fassadenöffnungen wird bei Letzteren vom Bestand übernommen, sie orientieren sich an den Regeln und Proportionen des Vorgefundenen. Die neuen Aufbauten in Holzelementbauweise zeichnen sich durch eine eigenständige Farbigkeit aus, wobei sich die vertikalen, lindgrünen Fassadenbänder von den mittelgrauen Brüstungen und Dachabschlüssen differenzieren. 

Die Nachhaltigkeitsaspekte wurden mit dem Minergie-Label abgebildet. Die Heizung erfolgt neu über Fernwärme, und der Strombedarf wird durch PV-Anlagen wesentlich gesenkt. Aber auch die sozialen Komponenten aus den ESG-Kriterien wurden berücksichtigt: Durch die gestaffelte Umsetzung der Realisierung konnten die Mieter*innen im Quartier bleiben und sogar wieder in die sanierten Wohnungen zurückkehren, sofern sie sich das wünschten.

Die Aufbauten sind mit grossen Balkonen verstehen. (Foto: Rolf Siegenthaler)
Beschäftigten Sie sich im Büro mit den Tendenzen des zirkulären Bauens und der sozialen Nachhaltigkeit?


Unsere Herangehensweise beim Projekt Lindendorf II gründet auf unserer Haltung zu einer resilienten Bauweise. Sie widerspiegelt unsere Interessen im Büro. Bauten und Freiräume passen sich den neuen Bedürfnissen an. Die vorausschauende Planung berücksichtigt eine nachhaltige Entwicklung der gebauten Umwelt, Bestandsbauten liefern uns dabei Orientierungspunkte.

Die einfachen, flächeneffizienten Grundrisse aus der Entstehungszeit bieten eine ideale Ausgangslage zur Weiterverwendung des Bestandes und zu dessen Anpassung und Erweiterung unter Berücksichtigung des Erinnerungswertes der Bauten für langjährige Bewohnende der Siedlung Lindendorf II. 

Situation (© W2H Architekten)
Regelgrundriss Bestand (© W2H Architekten)
Regelgrundriss Aufstockung (© W2H Architekten)
Fassadenschnitt und Ansicht (© W2H Architekten)
Bauwerk
Sanierung und Aufstockung Lindendorf II
 
Standort
Unterdorfstrasse 15/17, 31/33, 35/37, 3072 Ostermundigen
 
Nutzung
Mehrfamilienhaus
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Pensionskasse der Bernischen Kraftwerke, Bern
Gebäudeversicherung Bern, Ittigen
UBS Investment Foundation 1, Basel
 
Architektur
W2H Architekten AG, Bern
 
Fertigstellung
Unterdorfstrasse 15/17: 2023
Unterdorfstrasse 31/33: 2022
Unterdorfstrasse 35/37: 2022
 
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 30.5 Mio. 
 
Gebäudekosten BKP 2 
CHF 25.7 Mio.
 
Gebäudevolumen
31'900 m3 (gemäss SIA 416)
 
Kubikmeterpreis
805 CHF / m(BKP 2)
 
Energiestandard 
Minergie 
 
Fotos
Rolf Siegenthaler, Bern

Vorgestelltes Projekt

Dahinden Heim Partner Architekten AG (DHPA)

Arealentwicklung Birchweid

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