Aus dem Hügel gestampft – eine zeitgenössische Kasbah

atelier.krecl.
31. März 2022
Foto: Bruno Helbling

 

Herr Krecl, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe? 

Es ist vielleicht die schönste Aufgabe für einen Architekten, ein Atelier zu entwerfen, einen einzigen Raum für Kreativität. Konkret sollte die handwerkliche Arbeit im Mittelpunkt stehen, – es sollte ein Werkraum entwickelt werden. Dies war sehr wichtig für den architektonischen Prozess. Die Architektur bildet nur die Hülle für die bunte Kunst. Für die Künstlerin sollte ein Raum geschaffen werden, in dem sie ihre Kreativität ausleben kann. Es ging darum, einen Rahmen zu bieten, um ihr Werk ins beste Licht zu rücken. Der Raum sollte aber auch ermöglichen, die Gedanken schweifen zu lassen und Neues zu versuchen.

Der Dialog mit der Bauherrschaft und die Auseinandersetzung mit dem Ort waren sehr intensiv. Den Bauplatz habe ich über eine längere Zeitperiode studiert. Ich wollte auch verstehen, wie die Nutzerin den Ort, der schon lange ihrer Familie gehört, bis anhin genutzt hat und wie sie diesen in Zukunft sieht. Zusätzlich wollte ich verstehen, wie die Künstlerin arbeitet. Wie sind ihre Arbeitsabläufe? Wo arbeitet sie im Raum? Welche Lichtstimmungen und Blickwinkel wünscht sie sich? Anhand von diesen Beobachtungen entwarf ich verschiedene Szenarien beziehungsweise überlagerte diese Themen und gestaltete daraus einen Räumling. 

 

Blick über die Stufen nach draussen (Foto: Bruno Helbling)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Entstanden ist eine «skandinavische Kasbah», – wunderbar, welche Bilder einer jeden Leserin jetzt wohl durch den Kopf schiessen. Und genau dies soll der Raum erfüllen: eine Atmosphäre von Geborgenheit, gute Lichtverhältnisse, angenehme sonore und haptische Stimmungen. 

 

Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Der Bauplatz ist von der Strasse zurückversetzt und umgeben von viel verwilderter Vegetation. Die hohen Bäume des nahe liegenden Waldes sind präsent. Es ist ein kleiner und naturbelassener Ort. Das Plätschern des Baches dringt durch das Grün. Die leichte Hanglage ermöglichte, das Neubauvolumen aus dem Terrain wachsen zu lassen. Das Dach ist begehbar, es ist somit fast kein Grünraum verloren gegangen. 

 

Das Sheddach sorgt im Atelier für optimale Lichtverhältnisse zum Arbeiten. (Foto: Bruno Helbling)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Da das Atelier durch die Auftraggeberin selber genutzt wird, prägte diese durch persönliche Erzählungen signifikant den Entwurfsprozess. Bei einer solch intimen Aufgabe muss man als Architekt einen Bau ganz speziell für die Bauherrschaft entwickeln. Wie ich eingangs schon erwähnt habe, fand ein enger Austausch über die Arbeitsweise der Künstlerin statt.

Wichtig für den Entwurfsprozess waren die Erzählungen der Familie von ihren Reisen, auf denen sie fremde Baukulturen kennengelernt hatte. Diese gesellschaftliche Offenheit und kulturelle Neugierde bestätigte mir die Materialwahl, die auf jahrhundertealte Kasbahs Bezug nimmt, die die Bauherrin besucht hat. Dadurch wurde der Entwurfsprozess erst so richtig lanciert. Wie verwende ich das älteste Baumaterial (der) Erde für einen modernen Ort des Werkens? Und das Material löste noch viel mehr aus: Das Projekt entwickelte sich von einem Raum für eine Künstlerin zu einem vielfältigen Ort der Muse und der Begegnung, an dem beispielsweise auch Workshops stattfinden können.

 

Teeküche mit Blick zur Terrasse (Foto: Bruno Helbling)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Durch die definitive Wahl des Materials musste ich als Architekt zuerst dieses verstehen. Stampflehm ist ein Material, das in der westlichen Welt in Vergessenheit geraten ist, – auch wenn einige Architekten es unlängst neu entdecken. Wie baue ich also zeitgenössische Architektur mit einem Baustoff, der vor 100 Jahren unter anderem vom Beton verdrängt wurde? 

Die Analyse von gebauten Projekten und mehrere Treffen mit dem Lehmbauer halfen mir, das Material zu verstehen. Es war eine Herausforderung, mit jenem gleichsam zusammenzuarbeiten. Sorgfältig musste ich meinen Entwurf auf die Materialität abstimmen. Dieser Prozess des materialgerechten Entwerfens war sehr spannend. Die Orientierung des Volumens, die grosse Verglasung, das Vordach für den sommerlichen Sonnenschutz und die winterliche Aufwärmung des dunklen Bodens tragen zum respektvollen Umgang mit Ressourcen bei. Die Natur wird auf diese Weise genutzt und zugleich geschont.

 

Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

 

Ich bin über die Kunst auf den Lehmbau gestossen: Ich habe die Künstlerin oft besucht, während sie an ihren Werken arbeitete. Sie baut ihre Bilder mit Acryl und Gouache wortwörtlich in Schichten auf. Teilweise mischt sie diese sogar. Sie spachtelt einen Bereich wieder weg, trägt erneut Farbe auf und spült diese mit Wasser ab. Auch diese Arbeitstechnik hat mich auf das Material Stampflehm gebracht. Denn der Lehm wird in mehreren Arbeitsschritten aufgeschichtet und verdichtet – und dies in handwerklicher Bauweise; Schicht um Schicht wachsen die Wände langsam empor. Man muss die Zusammensetzung des Materials verstehen. Es braucht Zeit und Sorgfalt bei der Verarbeitung. Man muss etwa begreifen, wie lange es trocknen muss. Dieser Arbeitsprozess ist einzigartig in der Baubranche. Man kann die Langsamkeit und den grossen Aufwand natürlich als Nachteil sehen. Doch die Atmosphäre im vollendeten Bauwerk und das sehr angenehme Innenraumklima wiegen diesen um ein Vielfaches auf.

 

Situation
Grundriss
Schnitt A
Schnitt B
Bauwerk
Atelier AHA
 
Standort
8708 Männedorf
 
Nutzung
Atelier – Raum für Kunst und mehr
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Privat
 
Architektur
atelier.krecl., Zürich
 
Fachplaner
marti + dietschwiler, Männedorf
 
Jahr der Fertigstellung
2022
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Lehm Ton Erde Baukunst GmbH, Schlins, Österreich
Männag Hoch-und Tiefbau AG, Männedorf
Brennwald + Heilig AG, Männedorf
Kuster Zimmerei Schreinerei GmbH, Uetikon am See
Ferrat Sanitär AG, Uetikon am See
Rolf Schlagenhauf AG, Meilen
Amrein Malerei AG, Männedorf
Repoxit AG, Illnau-Effretikon
Ochsner + De Ambroggi Wintergärten GmbH, Lachen
Egli Garten AG, Stäfa
Elektro Fierz AG, Männedorf
 
Fotos
Bruno Helbling Fotografie, Zürich

Vorgestelltes Projekt

Dahinden Heim Partner Architekten AG (DHPA)

Arealentwicklung Birchweid

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