Angela Deubers Umbauten haben etwas Magisches: Ihre Architektur birgt und befreit

Elias Baumgarten
28. April 2022
Umbau Atelier. Blick nach Süden in Richtung Grossmünster (Foto © Schaub Stierli Fotografie)

 

Die Arbeit mit dem Bestehenden ist vielleicht die Architekturaufgabe unserer Zeit. Doch während wieder und wieder besprochen wird, warum Umbauten sinnvoll sind, gerät die Frage nach der architektonischen Qualität zuweilen aus dem Blick. Dabei handelt es sich um eine so schöne wie schwierige Aufgabe. Denn selbst die architektonisch reizvollsten Bestandsbauten garantieren allein noch keinen gelungenen Umbau, Präsenz und Schönheit. Gewiss, es gibt für das Weiterbauen kein Patentrezept, doch die Beschäftigung mit gebauten Beispielen kann inspirieren. Genau hinzusehen lohnt sich etwa beim neuesten Projekt einer Architektin, die vor allem für ihre Neubauten über die Schweiz hinaus bekannt ist, aber grosses Flair für altehrwürdige Häuser und ihre räumlichen Besonderheiten hat: Angela Deuber.

 

Minimaler baulicher Eingriff: Eine etwa zwei Meter breite Wand wurde im Untergeschoss herausgenommen – dadurch fällt nun Tageslicht vom Hof in den Innenraum. (Foto © Schaub Stierli Fotografie)
Weisse Schreinermöbel, Architekturmodelle und rosarote Nerinen (Foto © Schaub Stierli Fotografie)
Unendlichkeit

Das historische Wohnhaus, in das Angela Deuber ihr Büro (2020) und ihr Atelier (2021) einbauen durfte, steht im Zürcher Oberdorf. Obwohl das Quartier zwischen Grossmünster und Kunsthaus zentral liegt, ist es bemerkenswert ruhig. Der Bau selbst hat einen langen, schmalen Fussabdruck: Er ist zwar circa sechzehn Meter tief, aber nur etwa vier Meter breit. Nachbarhäuser schliessen links und rechts an. Angela Deubers Büro erstreckt sich über zwei Etagen im Erd- und Untergeschoss, wo sich einst ein Möbelgeschäft befand. Ihr Atelier konnte sie im vierten und fünften Obergeschoss einrichten, man erreicht es über einen Vorraum im dritten Stock. Die übrigen Teile des Hauses werden nach wie vor von den Eigentümern genutzt, die ihr beim Umbau freie Hand liessen.

Angela Deubers Architekturbüro besteht aus einem einzigen, fliessenden Raum, der sich vom Eingang an der Oberen Zäune durch das Erd- und Untergeschoss bis in den Hof zieht. Durch die Belichtung von zwei Seiten entsteht ein durchgehender Raum. Um diese Wirkung zu erzielen, wurde in einem minimalen baulichen Eingriff eine circa zwei Meter breite Wand entfernt und eine massive, doppelflüglige Türe aus Eichenholz, die den Durchgang zum Untergeschoss sperrte, ausgehängt. Eine Natursteintreppe, die neu mit einem filigranen Metallgeländer versehen wurde, führt in den unteren Teil des Büros mit Ausgang zum Hof. Zwischen den 80 Zentimeter hohen Schreinermöbeln auf beiden Seiten des Raumes für die Bibliothek, Modellbaumaterialien und die Büroküche lädt ein grosser Besprechungstisch zum Beisammensein und Diskutieren ein. Neu gelangt man über eine 75 x 75 x 75 Zentimeter grosse Betontreppe ins Badezimmer. Sämtliche Oberflächen sind in Weiss gehalten, die alte Balkendecke wurde in einem hellen Grauton gestrichen.

 

Umbau Büro. Treppe in Ortbeton (Foto © Schaub Stierli Fotografie)

Gerade der untere Teil des Büros ist ein wunderbarer Raum. Die Umwelt tritt in den Hintergrund, dennoch engt die Architektur nicht ein, sondern wirkt befreiend. Wenn man zwischen der Sammlung von Pflanzen hindurchgeht und auf den Stufen am Ausgang zum Hof sitzt, eine Tasse Kaffee in Händen, vergisst man für einen Augenblick, dass man sich mitten in der Altstadt von Zürich befindet. Man möchte diesen wunderbaren Rückzugsort eigentlich gar nicht mehr verlassen. 

Angela Deuber hat den Charakter der Räumlichkeiten herausgearbeitet und gestärkt. Inspiration fand sie aber nicht nur in der Architektur des Bestands, sondern auch im Titel eines Kunstwerks von Agnes Martin: «Falling Blue» (1963). Für sich genommen ist dieses Bild nicht architektonisch, doch sie gibt ihm in ihrer Rezeption eine räumliche Bedeutung. Für Angela Deuber wird «Falling Blue» zur poetischen Beschreibung des endlosen Raumes, der zwischen dem Hauseingang im Erdgeschoss und dem Durchgang zum Hof im Untergeschoss gleichsam durch das Bauwerk fliesst.

 

An dieser Wand beim Aufgang ins Atelier ist die frühere Dachhöhe zu erkennen. (Foto © Schaub Stierli Fotografie)
Blick aus dem Atelier nach Norden in Richtung des Rechberggartens (Foto © Schaub Stierli Fotografie)
Räumliche Qualitäten herausarbeiten

Über ein dunkles Treppenhaus und einen Vorraum im dritten Obergeschoss erreicht man das Atelier. Der Raum erstrahlt ganz in Weiss – zumindest auf den ersten Blick, denn sieht man genauer hin, sind viele unterschiedliche Texturen zu erkennen, die Einblick in die Baugeschichte des Hauses aus dem Jahr 1530 geben. Es wurde im 17. und 19. Jahrhundert mehrfach umgebaut und erweitert. Man erkennt zum Beispiel noch deutlich die Form des einst abgebrannten Daches, das durch ein neues, höheres ersetzt wurde. Und ein Rohr zeigt den einstigen Verlauf der Decke an und setzt die Höhen des Raumes zueinander ins Verhältnis.

Angela Deuber hat mit wenigen Eingriffen bestehende Einbauten entfernt, sodass eine grosse, offene Dachgeschossfläche entstanden ist und die Raumhöhe von sechs Metern ungehindert erlebt werden kann. Gleich beim Betreten des Ateliers wird der Blick an einer neu gemauerten Wand aus weiss geschlämmtem Sichtbackstein emporgezogen. Auch später wandert er immer wieder entlang der Wände nach oben. Verstärkt wird dies durch eine neue filigrane Wendeltreppe aus Metall, die sich zum Ausgang auf die obere von zwei Dachterrassen auf der Südseite schraubt. Gegen Süden orientiert befindet sich in dem grossen Raum ein Arbeitsplatz mit Schreibtisch, ein weiterer liegt im nördlichen Teil. Abgetrennt ist lediglich das Bad mit einer darüber liegenden Nische, in die man über eine Treppenleiter gelangt.

Die untere Terrasse der Südseite betritt man über einen scharfkantigen Betonwürfel von 26,5 Zentimetern Kantenlänge. Ihre betonierten Objekte würden immer kleiner, sagt Angela Deuber angesichts dieses Elements nachdenklich.

 

Eine filigrane Wendeltreppe schraubt sich durch das Dachgeschoss zur oberen Terrasse auf der Südseite. Sie verstärkt die Wirkung des sechs Meter hohen Raumes. Die Anlieferung durch die Terrassentüre und die Installation des Objekts stellten eine Herausforderung dar. (Foto © Schaub Stierli Fotografie)
Über eine Treppenleiter gelangt man in eine Nische. (Foto © Schaub Stierli Fotografie)

Auch auf der Nordseite kann man ins Freie treten: Es gibt dort einen Balkon, auf dem bereits zahlreiche Pflanzen wachsen. Das ist Angela Deuber wichtig: Sie habe lange davon geträumt, erzählt sie beim Rundgang durch das Haus, einmal mit Blick in einen Garten mit einer Fülle von Pflanzen arbeiten zu dürfen. Die Pflanzenexpertin Maja Tobler hilft ihr dabei, sich ihren Wunsch zu erfüllen.

Das Atelier unterscheidet sich deutlich vom Büro weiter unten im Haus. Doch gemeinsam ist allen Räumen, dass man sich in ihrer Architektur verlieren kann – im besten Sinne. Mit seinen schönen Proportionen, der eleganten Dreiteilung seiner Schnittfigur und seiner intensiven Raumwirkung erzeugt das Atelier ein gutes Gefühl. Die reduzierte, ästhetische Architektur weckt positive Emotionen und lässt an hervorragende Arbeiten japanischer Architekten denken. Sie tut gut.

 

Umbau Atelier. Treppe in Ortbeton (Foto © Schaub Stierli Fotografie)
Blick in eine der beiden Nische im vierten Obergeschoss, in der sich früher ein Technikraum befand. Nachdem 65 Zentimeter bestehendes Mauerwerk entfernt wurden, ist nun die gesamte Breite der Fassade erlebbar. (Foto © Schaub Stierli Fotografie)
Wenn Bestehendes und Neues zur Einheit werden

Vielen ist Angela Deuber für ihre Neubauten bekannt. Sie verknüpfen die Architektin zum Beispiel mit der geometrisch-kraftvollen Betonskulptur ihrer Primarschule in Thal (2013). Gerne werden diese Bauten als radikal bezeichnet, zuweilen auch als autonome Architektur klassifiziert. Doch dieser Fokus wird ihrem Werk und ihrer Haltung noch nicht gerecht. Die Qualitäten ihrer Architektur zeigen sich besonders auch in ihren Umbauten, die sich mit ihrer grossen Konsequenz, ihrer Präzision und auch ihrer Radikalität, aber eben genauso ihrer Wertschätzung und Sensibilität für die Besonderheiten und Geschichten alter Häuser nicht so einfach einsortieren lassen. 

Angela Deubers Erstlingswerk war eine denkmalpflegerische Arbeit: Gemeinsam mit dem Büro Rudolf Fontana & Partner baute sie ein spätmittelalterliches Wohnhaus in Stuls (Graubünden) um. Mit viel Fingerspitzengefühl und grosser Wertschätzung für die regionale Bautradition legte sie die Kammerstruktur des Baudenkmals frei. Liebevoll wurde das Innere mit Strickwänden, Täfern, Naturputzoberflächen und Gewölben in mehrjähriger Arbeit restauriert. Dem Bestand stellte sie eine weiss gestrichene Doppelwendeltreppe aus Beton gegenüber, welche die vormals vorhandenen 13 Treppen ersetzt. Nur unter dem Dach wurden die Trennwände des untypischen Holzständerbaus entfernt. Eine Stütze, die dezentral im Raum steht und die Lasten über zwei voluminöse Balken zugeleitet bekommt, organisiert das Dachgeschoss im Sinne des Vier-Raum-Systems der darunter liegenden Geschosse in einer abstrakten geometrischen Ordnung. Durch den Eingriff ist eine vermeintlich endlose Raumfolge entstanden, die ein überaus intensives architektonisches Erlebnis bietet. Zwei Raumsysteme überlagern sich und stärken sich gegenseitig.

So unterschiedlich Angela Deubers Umbauprojekte in Stuls und Zürich auch sein mögen, sie gewinnen ihre Kraft doch beide aus dem Herausarbeiten der architektonischen Qualitäten des Bestandes einerseits und dem Hinzufügen eines aus einer Inspiration gespeisten Neuen andererseits, wobei beide ein Ganzes bilden, das bis ins letzte Detail durchdacht ist. Ihre Vorstellung dessen, was architektonisch wertvolles Weiterbauen ist, vermittelt Angela Deuber auch ihren Studierenden, die sie derzeit als Gastdozentin an der ETH Zürich unterrichtet.

 

Grundriss Untergeschoss 
Grundriss Erdgeschoss
Längsschnitt Büro
Querschnitt Büro
Grundriss 4. Obergeschoss
Grundriss 5. Obergeschoss
Längsschnitt Atelier 
Architektur
Angela Deuber Architects, Zürich
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Jahr der Fertigstellung
2020 (Büro) / 2021 (Atelier)
 
Beteiligte Unternehmer
Baumeister: Wanner & Lott AG, Regensdorf 
Elektroinstallationen: Albrecht + Bolzli nova AG, Zürich 
Heizungs- und Sanitärarbeiten: Sigrist & Partner, Zürich
Fenster in Holz: Wenger Fenster AG, Wimmis | Schreinerei Kaufmann AG, Gommiswald 
Schreinerarbeiten: Knuchel AG, Chur | Schreinerei Kaufmann AG, Gommiswald
Metallbauarbeiten: Mario Waser Schlosserei, Passugg | Metall Werk Zürich AG, Zürich 
Malerarbeiten: Armin Hunziker AG, Zürich
 
Fotos
© Schaub Stierli Fotografie

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