Einweg ist kein Weg: Upcycling in der Architektur

Elias Baumgarten
27. Februar 2020
Foto: Elias Baumgarten

In Liechtenstein ist die Bauwirtschaft Haupttreiber beim Materialverbrauch und zugleich für sage und schreibe 65 Prozent aller Abfälle verantwortlich. Ziemlich offensichtlich also, dass ein Umdenken in der Branche wie gesamtgesellschaftlich notwendig ist. Doch wie lässt sich eine möglichst abfall- und schadstoffarme Architektur erreichen? Und könnte der Gebäudebestand des Fürstentums dabei von Nutzen sein? Schliesslich sind an allen Objekten in Liechtenstein zusammen rund 6,8 Millionen Tonnen Baumaterial verarbeitet, und viele Bauwerke sind aktuell ungenutzt, könnten neuer Verwendung zugeführt werden.

Auf diese Fragestellung reagierte das Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein unlängst mit dem Buch «Upcycling. Wieder- und Weiterverwendung als Gestaltungsprinzip in der Architektur», das bei Triest erschienen ist. Die Publikation basiert auf zwei gleichnamigen Symposien, die 2018 und 2019 stattfanden, und umfasst auch studentische Beiträge, die betreut von Daniel Stockhammer und Dieter Jüngling entstanden. 

Foto: Elias Baumgarten
Schöne Gestaltung mit Wermutstropfen

Auch Buchgestalterin Annett Höland setzte sich mit dem Thema «Upcycling» auseinander: Der Umschlag der schönen Publikation besteht aus handgeschöpftem Papier, das mit Baumwollfasern aus alten Bettlaken verstärkt wurde. Die Autor*innen misteten vorher ihre Büchergestelle aus und stellten ihre nicht mehr gebrauchten Bücher und Zeitschriften als Rohmaterial zur Verfügung. Alle Aufsätze sind in deutscher wie auch in englischer Sprache abgedruckt. Leider sind die beiden Versionen dabei so ineinandergeschoben und verschachtelt, dass der Lesefluss gestört wird. Zuweilen muss man suchen, wo die deutsche beziehungsweise englische Fassung jeweils weitergeht.

Foto: Elias Baumgarten
Wert der Tradition

Viele (junge) Architekt*innen in der Schweiz sehen das Um- und Weiterbauen heute als wesentliche Aufgaben. Sie denken Alt und Neu nicht dualistisch, sondern verweben verschiedene Zeitschichten zu einem überzeugenden Ganzen. Der Bestand ist ihnen auch eine Quelle von Gestaltungsideen, die neu adaptiert werden können. Dennoch wird Neubauten allzu oft der Vorzug gegeben, alte Gebäude verschwinden vielfach lange vor Ende ihrer natürlichen Lebensspanne. Die noch immer vorhandene Wegwerfmentalität zeigt sich auch in der Bauwirtschaft. Dabei wäre im Sinne von Nachhaltigkeit und Umweltschutz das Gegenteil richtig: Gebäude sollten möglichst lange erhalten bleiben, oder ihre Bestandteile neuer Verwendung zugeführt werden. 

Dies indes ist keine neue Idee. Ganz im Gegenteil: Schon seit der Antike, so eine Kernbotschaft des Buches, wird um- und weitergebaut, werden Gebäude als Baustofflager begriffen. So wurden beim Konstantinsbogen in Rom (315) Reliefs von älteren Repräsentationsbauten aus der mittleren Kaiserzeit wiederverwendet. Im frühen Mittelalter nutzte man Teile alter Bauwerke bei Neubauten – davon erzählt etwa die «Frankengeschichte» von Bischof Gregor von Tours aus dem 6. Jahrhundert. Lange Zeit später, im Jahr 2008, verwendete der chinesische Architekt Wang Shu Baumaterial von zerstörten Häusern beim Neubau der Chinesischen Hochschule der Künste in Hangzhou. Und in der Schweiz integrierte Rudolf Olgiati (1910–1995) Bauglieder, hauptsächlich aus der Region, bei neuen Projekten. Er trug unzählige Teile aus Abbruch- und Sanierungsobjekten zusammen und archivierte sie. Wie diese wenigen Beispiele zeigen, vermengen sich bei der Arbeit mit alter Substanz konzeptionelle, ästhetische und ökonomische Erwägungen.

Diese Tradition gilt es, so die klare Aussage von «Upcycling», aufzugreifen und intensiviert fortzuführen. Der Blick in die Baugeschichte lohnt, um Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit zu finden. Neben technischen Innovationen können auch alte Strategien helfen, dem Ziel einer nachhaltigen, umweltschonenden Architektur näher zu kommen. Und wie der bayerische Architekt Andreas Hild bereits im Vorwort schreibt: Das Neue besteht stets aus der Kombination des Bekannten. Wieder- und Weiterverwendung haben nicht nur einen ökologischen, sondern insbesondere auch einen grossen baukulturellen Wert.

Upcycling. Wieder- und Weiterverwendung als Gestaltungsprinzip in der Architektur

Upcycling. Wieder- und Weiterverwendung als Gestaltungsprinzip in der Architektur
Daniel Stockhammer (Hrsg.)
Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein

160 x 210 Millimeter
220 Seiten
230 Illustrationen
Schweizer Broschur
ISBN 9783038630463
Triest
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