Matt Black – Amerikas Schattenseite

Nadia Bendinelli
21. Januar 2021
Matt Black, El Paso, Texas, USA, 2015 (© Matt Black / Magnum Photos)

Im Central Valley befinden sich einige der ärmsten Gemeinden der Vereinigten Staaten. Wie der amerikanische Fotograf Matt Black erklärt, wird in dieser Gegend Kaliforniens zwar ein Viertel der in den Staaten konsumierten Landwirtschaftsprodukte angebaut – doch davon profitieren kann sie kaum. Black muss es wissen: 1970 im Central Valley geboren, lebt er heute in Exeter, einer kleinen Ortschaft in der Region. Seine Karriere als Fotojournalist begann bei einer Lokalzeitung. Schnell verstand er die Macht der Fotografie und der publizierten Reportagen und Fotoessays: Man kann entscheiden, was gezeigt wird und somit wichtig ist. Die Diskrepanz zwischen seinem Central Valley und dem Bild, das in den amerikanischen Medien bis heute von den USA transportiert wird, haben den Fotografen bewogen, diese Macht für ein Projekt mit dem Titel «American Geography» einzusetzen. Seine Aufmerksamkeit galt dabei anfangs der direkten Umgebung seines Heimatortes, dann weitete sich das Arbeitsfeld aus, als Black einen Zusammenhang zwischen Geografie und Armut zu erkennen glaubte.

Matt Black, Pleasant Point, Maine, USA, 2019 (© Matt Black / Magnum Photos)
Why Geography?

Es ist ein verbreitetes Klischee, dass Armut etwas mit der Ethnie eines Menschen zu tun hat. Blacks Beobachtungen weisen in eine andere Richtung: In den USA hat Armut – oder in diesem Fall Perspektivlosigkeit – stark damit zu tun, wo man geboren ist, ungeachtet der ethnischen Zugehörigkeit. Auf einer sechsjährigen Entdeckungsreise durch das ganze Land besuchte der Fotograf Gemeinden, die eine Armutsquote über zwanzig Prozent aufweisen. Dort verweilte er, beobachtete und führte lange Gespräche mit den Menschen, um deren Lebensumstände kennenzulernen und ihnen schliesslich eine Stimme zu geben. Auszüge davon sind in Tagebuchform an den Wänden der Ausstellung zu lesen und geben den Bildern einen Kontext. 

Armut und Perspektivlosigkeit seien in Amerika kein Rand-Phänomen, sie seien Amerika, meint Matt Black. Er sagt ausserdem, sein Land wolle dieser Realität nicht ins Auge blicken, sie nicht wahrhaben und versuche bisweilen gar, sie zu vertuschen. Blacks Beweggründe sind klar: Diese andere Realität sehr vieler Amerikaner soll endlich gesehen werden. Der Mythos vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten lebt nur an ganz wenigen Shiny-Spots, während es im grossen Rest der USA beim Träumen bleibt. «Ich lebe in Kalifornien, aber das ist nicht das Kalifornien, das ich aus Fernsehserien wie Baywatch kenne. Du hast hier Disneyland, das Silicon Valley und Hollywood. Ich befinde mich buchstäblich genau in der Mitte davon, drei Autostunden in jede Richtung, doch das Leben hier hat nichts mit dem Leben dort gemeinsam. Mit diesem Kontrast bin ich aufgewachsen: Alles ist grossartig – nur nicht da, wo ich bin. Gegen diesen Mythos des ‹Golden State› wollte ich ankämpfen», erklärte er Damian Zimmermann in einem Interview für Halle4, das Online-Magazin der Deichtorhallen Hamburg.

«… we have to recognize what America is, and who gets to define what America is. These hierarchies of power are what the work is exploring, who gets what and when and where, and who gets to say what America is. And that’s what I’m talking about. America from the ground level is very different …»

Matt Black

Matt Black, Allensworth, California, USA, 2014 (© Matt Black / Magnum Photos)
Matt Black, Storefront, Piedmont, Missouri, USA, 2016 (© Matt Black / Magnum Photos)
«To say, for example ‹in the Central Valley of California or in rural Mississippi, these stories exist› – by doing it that way, it makes it easier to ignore … So, the idea was to try to bring it as close as possible, to show how universal these issues and these sorts of experiences are in this country.»

Matt Black

Vorarbeit

Matt Black ist nicht der erste Fotograf, der sich mit Amerikas Schattenseiten beschäftigt. Walker Evans, just dafür bekannt geworden, porträtierte eingehend arme Farmer-Familien während der Grossen Depression in den 1930er-Jahren, um die Krise und deren Folgen zu dokumentieren. Dies geschah im Auftrag der Farm Security Administration (damals New Deal Resettlement Administration) – also wohl im Sinne der US-Regierung. Der Schweizer Fotograf Robert Frank richtete in den 1950er-Jahren einen kritischen, manchmal auch ironischen Blick auf die amerikanische Gesellschaft. Er schaute hinter die schillernde Fassade und zeigte Rassismus, übersteigerten Patriotismus und zügellosen Konsum. Franks Arbeit gefiel den Amerikanern nicht: Die Konfrontation mit der Wahrheit war nicht gerade schmeichelhaft – welche Unverschämtheit dieser Schweizer doch besass, Amerikas greatness so böswillig infrage zu stellen. 

An der extrem ungleichen Verteilung von Wohlstand, der grossen Chancenungleichheit, aber auch der weiten Verbreitung von Rassismus und nationaler Überheblichkeit scheint sich wenig geändert zu haben. In letzter Zeit kann man sich sogar dem Eindruck nicht erwehren, dass sich all dies immer weiter verschlimmert. Manche besonders benachteiligten Orte verfügen in den reichen USA nicht über sauberes Wasser und Strom, wie Matt Black aufzeigt.

«[These places] feed the raw materials for that American story to unfold [elsewhere] … And there’s a built-in sense of disempowerment that goes with that. Anyone who’s from a place like this knows the feeling very well. I tried to harness and internalize that feeling as much as possible, the tragedy and disillusionment that goes along with that. I used that to inform the pictures.»

Matt Black

Matt Black, Farm in Ontario, Wisconsin, USA, 2017 (© Matt Black / Magnum Photos)
Matt … Schwarz-Weiss

Vorwiegend sind Matt Blacks Fotografien schwarz-weiss, mit hohem Kontrast und im Fall der Ausstellung «American Geography» hauptsächlich quadratisch. Dieser Stil hat durchaus pragmatische Gründe: Als Black zu fotografieren lernte, waren seine ersten Aufnahmen Schwarz-Weiss-Fotografien. Im Central Valley sind die Temperaturen hoch und das Licht ist gleissend – um graue Bilder zu vermeiden, war Filmmaterial, das einen hohen Kontrast zulässt, notwendig. Diese Gegebenheiten hat Black bisher nie infrage gestellt, geschweige denn hat er das Bedürfnis, sich über sie hinwegzusetzen: «So sehen nun mal Fotografien aus», sagte er einmal. Durch seine Technik wird eine visuelle Dramatik erzeugt, die den Inhalt trägt. Menschen werden zu dunklen Silhouetten, klein, in der Umgebung verloren, Schatten ihrer selbst. Blacks Kompositionen und sein Umgang mit hell und dunkel verleihen seinen Fotografien eine grosse erzählerische Kraft; Machtlosigkeit, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit seiner Sujets sind beim Betrachten fast physisch spürbar.

Inhaltlich ist Blacks Arbeit alles andere als einfarbig: Seine Berichte – in fotografischer, aber auch in geschriebener oder gesprochener Form – dringen Schicht um Schicht in die Tiefe einer komplexen Realität vor. Seine Geschichten werden regelmässig unter anderem in den wichtigen Zeitschriften TIME Magazine, The New Yorker und The California Sunday Magazine veröffentlicht. Sie wurden bereits mit dem Robert F. Kennedy Prize und dem W. Eugene Smith Memorial Award for Humanistic Photography ausgezeichnet. Seit 2015 ist Matt Black Mitglied der renommierten Agentur Magnum Photos.

Matt Black, Downtown, Fulton, Kentucky, USA, 2017 (© Matt Black / Magnum Photos)
Die Ausstellung der Deichthorhallen im Haus der Photographie in Hamburg ist bis 28. Februar 2021 verlängert worden. Sie soll später in weiteren Museen gezeigt werden.
 
Derzeit ist die Schau wegen des Kultur-Shutdowns in Deutschland geschlossen. Bis ein physischer Besuch wieder möglich ist, lohnt sich ein Blick auf Matt Blacks Website, wo viele seiner Fotografien zu sehen sind. Material zur Schau bieten natürlich auch die Deichtorhallen selbst auf ihrer Website. Auf die Wiedereröffnung freuen wir uns dennoch besonders!
 
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