Zwei ungleiche Schulhäuser aus Holz

Daniela Meyer
12. Januar 2023
In den Unterrichtsräumen des Schulhauses Oberhofen in Münchwilen sorgen die bewegte Dachform und die Deckenverkleidung aus Holz für einen wohnlichen Charakter. Gestaltet wurde der Bau von Allemann Bauer Eigenmann Architekten. (Foto: Hanspeter Schiess)

Im Sommer 2021 und 2022 sind im Kanton Thurgau zwei Primarschulhäuser in Betrieb gegangen, bei denen Holz als Konstruktionsmaterial eine wichtige Rolle spielt: Das Schulhaus Oberhofen in Münchwilen von Allemann Bauer Eigenmann Architekten und das Schulhaus Martin-Haffter in Weinfelden von Isler Gysel Architekten. Ein Augenschein vor Ort in Begleitung von Patric Allemann und Manuel Gysel soll Aufschluss darüber geben, warum sie sich für dieses Material entschieden haben und welche Vorteile und Herausforderungen es mit sich bringt. Dabei zeigt sich schon auf den ersten Blick: Holzbau ist nicht gleich Holzbau. Abgesehen vom Rohmaterial weisen die beiden Schulhäuser äusserlich kaum Gemeinsamkeiten auf. Viel mehr demonstrieren sie, wie die Konstruktionsweise mal mehr und mal weniger zum architektonischen Thema gemacht werden kann. 

Während das Schulhaus Martin-Haffter umgehend zu erkennen gibt, dass es sich um einen Holzbau handelt, gibt das kleinere Objekt in Münchwilen Rätsel auf. Seine mintgrüne Fassade mit den feinen weissen Rippen glänzt in der Sonne und könnte aus der Ferne für eine Metallverkleidung gehalten werden. Verspielte Details wie die gebogenen Fallrohre oder die unter dem Dach weiter werdenden Stützen sprechen eine Sprache, die aus einer anderen Zeit stammen könnte. Das zweigeschossige Gebäude mit den Schrägdächern passt nicht nur äusserlich ins Wohnquartier, es verströmt auch im Innern eine wohnliche Atmosphäre. Diese verdankt es nur teilweise dem Weisstannenholz, das in den sechs Schulzimmern und den drei Kindergartenräumen als Deckenverkleidung zum Einsatz kommt. Einen grossen Einfluss auf das Raumgefühl üben die bewegte Dachform und der Einsatz von Farbe aus. Der geschliffene Hartbetonboden und die türkisfarbenen Kacheln an den Wänden der Erschliessungsbereiche lassen kaum erahnen, dass sich dahinter eine reine Holzkonstruktion verbirgt.

Das bunte und verspielte Schulhaus Oberhofen gibt nicht auf den ersten Blick zu erkennen, dass es sich um einen Holzbau handelt. (Foto: Hanspeter Schiess)
Auch der Hartbetonboden im Eingangsbereich und die gekachelten Wände lassen zunächst nicht erahnen, dass sich dahinter eine Holzkonstruktion verbirgt. (Foto: Hanspeter Schiess)
Strategie und Organisationsform wichtiger als Materialwahl

«Es war der Bauplatz, eine baumbestandene Wiese, der uns dazu inspiriert hat, einen Holzbau zu entwerfen», erklärt Patric Allemann. Hinsichtlich des Wettbewerbserfolgs hält er aber weniger das Konstruktionsmaterial für ausschlaggebend, als vielmehr die gewählte Typologie und die innere Organisation. Beim Schulhaus in Weinfelden war ein anderer Umstand ausschlaggebend: «Unser strategischer Entscheid, den Ersatzneubau neben dem Bestand zu errichten und das dort gelegene Notspital als Fundament zu nutzen, dürfte beim Juryentscheid eine zentrale Rolle gespielt haben», so Manuel Gysel. Sein Team erkannte, dass sich die Dimensionen eines Schulhauses optimal auf das vorhandene Raster des unterirdischen Spitals abstimmen liessen. Ein Holzbau mit Holz-Beton-Verbunddecken wies dabei den Vorteil auf, dass er deutlich leichter ist als ein herkömmlicher Massivbau. Heute erhebt sich über dem Notspital ein dreigeschossiger Kubus, der sich gegenüber den grossmassstäblichen Gewerbehallen der Umgebung kraftvoll präsentiert. Ähnlich wie in Münchwilen führte die Struktur des Holzbaus auch hier zu einem regelmässigen Rhythmus in der Fassade. Im Gegensatz zum farbig gestrichenen Kleid weisen die sägerohen Bretter Alterungsspuren auf – für Gysel ein Prozess, der zum Holz gehört. Mit seinen 14 Klassenzimmern, verschiedenen Spezialräumen sowie Aula und Bibliothek ist diese Schule deutlich grösser. Zwei Lichthöfe erhellen die zentralen Bereiche und sorgen für Blickbeziehungen über die Geschosse hinweg. In den Klassenzimmern verweisen Rippendecken aus Fichte und in den Treppenhäusern offengelegte Stützenreihen auf die Konstruktion.

Anders in Weinfelden: Naturbelassenes Holz prägt die Erscheinung des Schulhauses Martin-Haffter, das über ein weit auskragendes Dach verfügt. Der Entwurf stammt von Isler Gysel Architekten. (Foto: Hanspeter Schiess)
Oberflächen aus Holz verleihen der Aula eine warme Atmosphäre. Die beiden angrenzenden Höfe bringen Tageslicht in das tiefe Gebäude. (Foto: Hanspeter Schiess)
Positives Image dank Marketing, Nostalgie und Klimawandel

Gemeinsam sind den beiden Schulhäusern die grösstenteils verwendeten Hartbetonböden. Diese Materialwahl weist auf eine Herausforderung hin, die beide Architekten beschäftigte: Holz ist kein gutes Speichermedium für Wärme und Kälte. Die massiven Betonböden bringen Speichermasse ins Gebäude und wirken ausgleichend auf Temperaturschwankungen. Beim Schulhaus Martin-Haffter wurde zudem ein mittels Photovoltaik betriebenes Kühlsystem eingebaut, um sicher zu gehen, dass es darin im Sommer nicht zu heiss wird. Generell stellte die Planung der Haustechnik sowie von Brand- und Schallschutz eine weitere Herausforderung dar.

Holzbauten mögen zwar schneller erstellt sein als Massivbauten, dafür benötigen sie mehr Zeit bei der Planung. Diese muss frühzeitig und präzis erfolgen, da viele Elemente im Werk vorgefertigt werden und später auf der Baustelle nicht mehr angepasst werden können. «Der hohe Vorfertigungsgrad und die fortgeschrittene Digitalisierung zeugen davon, dass die Holzbaubranche in den letzten Jahren viel in Innovation und Technologie investiert hat», so Allemann zu den Gründen, warum der Holzbau gerade Aufwind erfahren könnte. Dazu kommt ein erfolgreiches Marketing der Holzbaubranche. Das positive Image, welches das Material in der Bevölkerung geniesst, führt Gysel auch darauf zurück, dass Holz vertraut wirkt und Emotionen in uns weckt: «Fast alle von uns haben in ihrer Kindheit oder Jugend einst in einer Berghütte aus Holz übernachtet.» 

Die Baukommission der Gemeinde Weinfelden habe sich begeistert gezeigt, als der Wettbewerb einen Holzbau zutage förderte. Darauf beschloss sie, für die Fassade, Stützen und Balken Holz aus den Wäldern der Gemeinde zu verwenden, und an der Schule entstand gar ein pädagogisches Projekt: Die Kinder konnten den gesamten Herstellungs- und Bauprozess mitverfolgen; vom Holzschlag im Wald über die Produktion in der Zimmerei bis zur Aufrichtung der Elemente vor Ort.

Wie in den übrigen Räumen sind die Holzbalken auch in den Schulzimmern sichtbar. (Foto: Hanspeter Schiess)

Holz besitzt gegenüber anderen Baustoffen den unbestrittenen Vorteil, dass es ein nachwachsender Rohstoff ist, der zudem viel CO2 speichert und eine lange Lebensdauer aufweist. Dennoch standen bei beiden Schulhäusern nicht Überlegungen zur Nachhaltigkeit im Zentrum. Es war vor allem das persönliche Interesse der Architekten am Material, das sie jeweils dazu verleitete, einen Holzbau zu planen. «Die statischen Dimensionen im Schulhausbau sind mit einem Holzbau in der Regel gut zu bewältigen», erklärt Gysel. «Mit Holz zu bauen bedeutet, einer klaren Struktur zu folgen.» Der natürlich gewachsene Baustoff gibt zudem gewisse Dimensionen vor. So wird das Material zum gestalterischen Kompass, was viele Architekturschaffende zu schätzen scheinen. Ob das reicht, um dem Holzbau zu einem anhaltenden Aufschwung zu verhelfen, muss sich erst zeigen. Denn ein nüchterner Blick auf die Zahlen des Branchenverbands Holzbau Schweiz zeigt: In der Kategorie «Unterricht, Bildung, Forschung» bewegte sich der Anteil an Bauten, bei deren Baubewilligung ein Tragwerk aus Holz vorgesehen war, in den letzten zehn Jahren auf einem relativ konstanten Niveau von rund einem Viertel. 

Auf die Frage, mit welchem Material sie den nächsten Schulhausbau realisieren möchten, reagieren die beiden Architekten ähnlich. Für Manuel Gysel ist klar: «Seit dem Wettbewerb für das Schulhaus Martin-Haffter im Jahr 2017 ist das Gebot, auf mineralische Baustoffe wo immer möglich zu verzichten, noch aktueller geworden.» Bei einem Schulhaus sieht er keinen Grund, nicht erneut auf Holz zu setzen. Auch Patric Allemanns Team hat inzwischen bei mehreren Wettbewerben Holzkonstruktionen oder Mischbauweisen vorgeschlagen. Grundsätzlich würde er gerne wieder ein Schulhaus aus Holz bauen, doch er differenziert: «Die Materialwahl ist immer abhängig von der konkreten Aufgabe. Es gibt einzelne Projekte, die würden wir auch heute noch aus einem anderen Rohstoff bauen, weil sie so besser zum Bestand passen.» Wohin der Trend wirklich geht, muss sich also erst noch erweisen.

«Gutes Bauen Ostschweiz» möchte die Diskussion um Baukultur anregen. Die Artikelserie behandelt übergreifende Themen aus den Bereichen Raumplanung, Städtebau, Architektur und Landschaftsarchitektur. Sie wurde lanciert und wird betreut durch das Architektur Forum Ostschweiz (AFO). Das AFO versteht alle Formen angewandter Gestaltung unserer Umwelt als wichtige Bestandteile unserer Kultur und möchte diese in einer breiten Öffentlichkeit zur Sprache bringen. 

a-f-o.ch


Die Ostschweizerin Katharina Lehmann hat die elterliche Zimmerei zu einem international gefragten Holzbau-Unternehmen aufgebaut. Mit uns sprach sie über ihre Karriere, ihre Lebenseinstellung und Weltsicht sowie – natürlich – den Baustoff Holz.

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