Die Schweiz in Venedig

Jenny Keller
2. Juni 2016
Blick vom Schweizer Konsulat, während den Biennalen der «Salon Suisse», auf Giudecca. Bild: jk

Schweizer Architektur hat mit anderen Problemen zu kämpfen als der Rest der Welt. Während hierzulande beklagt wird, dass der Alltag eines Architekten derart vielen Zwängen, Reglementierungen und Budgetrestriktionen unterworfen ist, gibt es andernorts schlimmstenfalls gar kein Budget. Um der eigenen Front zu entgehen, gehen die (Schweizer) Architekten gerne an die Biennale in Venedig, dieser Architekturausstellung, die Ideen Raum gibt, denen man im Alltag nicht nachkommt, weil die Zeit drängt, der GU zu billige Türklinken einsetzen will und danach auch noch ein Treffen mit der Denkmalpflege ansteht. In Venedig erinnert man sich kollektiv daran, weshalb Architektur die höchste Form der kreativen Tätigkeiten darstellt – und feiert sich selbst.

Aber man erhält auch neue Eindrücke, Antworten und Ideen, dieses Jahr besonders eindrückliche aus der Hauptausstellung, die Alejandro Aravena dem Thema «Reporting from the Front» untergeordnet hat. Mit der Front meint er insbesondere gesellschaftliche, ökologische, ja informelle und banale Themen, oder eben solche, die den Alltag der Architektinnen bestimmen. «Niemand soll seine gebauten Triumphe zeigen», sagte der Kurator dann auch an der Pressekonferenz.

An der Biennale finden sich auch Antworten auf die Frage, wie man denn Architektur ausstellen soll, Architektur, die ja immer nur durch eine sie abbildende Darstellung repräsentiert werden kann. In der langen Halle im Arsenale beginnt Aravena mit einem Prolog, der die Schizophrenie einer temporär vergänglichen Ausstellung auf den Punkt bringt, indem das Material der letzten Biennale wiederverwertet wird. Dieser Auftakt macht Lust auf mehr.

«Making of» der Biennale Architettura 2016. Bild: La Biennale

Die Hauptausstellung, insbesondere im Arsenale, ist gelungen, das liegt auch daran, dass sich die 88 eingeladenen Teams ausnahmslos an Aravenas thematische Vorgaben gehalten haben, obwohl dieser niemanden dazu gezwungen hat. Oder vielleicht gerade deswegen. Der Kurator selbst hat aber auch dazu beigetragen, dass die Aussagen der Aussteller gehört und verstanden werden: An einem Bewehrungseisen, das auf einem Backstein montiert wurde, hängt zu jedem Projekt ein Beschrieb auf Englisch und Italienisch, den Alejandro Aravena in zweiwöchiger Klausur selbst verfasst hat und wo er zusammenfasst, weshalb er diese Architekten eingeladen hat und wie sie seiner Frage begegnen. Diese Texte machen auch den Katalog zur Ausstellung äusserst wertvoll. Ein Rundgang durch die Ausstellung im Arsenale mit Fokus auf die Schweizer Projekte, zeigt im Kleinen die Bandbreite der Ausstellung:

Christ & Gantenbein im Arsenale. Bild: jk

Das Buch
Drei Säle nach dem Prolog, in der Corderie, liest man mit Licht auf die Wand projiziert «MORE THAN A HUNDRED YEARS». In a nutshell, Christ & Gantenbeins Antwort auf die Frage der Front, mit der sie sich beschäftigen. Ihr Beitrag zu einer nachhaltigen Umwelt besteht darin, dass sie den Anspruch an ihre Bauten haben, dass diese eben mehr als hundert Jahre Bestand haben sollen. Sie sollen in materieller Hinsicht gut altern, aber auch ästhetisch wertvoll, keiner Mode unterworfen, sondern zeitlos sein. In der Ausstellung wird das mit einem riesigen Buch vermittelt, das durch die Linse von Fotograf Stefano Graziani Bauwerke aus dem alten Rom vor dem Kunstmuseum Basel, ihrem Vorzeigewerk, zeigt. Analogien darf der Betrachter selbst herstellen.

Block Research Group. Bild: Iwan Baan

Das Tragwerk
Die Block Research Group unter Philippe Block, Professor an der ETH, MIT-Professor John Ochsendorf und Cambridge-Dozent Matthew DeJong, forscht an Tragwerken, die resourcenschonend erstellt werden und langlebig sind. Mit «Beyond Bending» werden rein druckbeanspruchte Formen ausgestellt, die, so Block, auch ästhetischer Natur sind. «Man sieht die Kräfte wirken und stolpert beinahe über sie», erklärt der Ingenieur, der hier die Statik visuell erfahrbar machen will und damit eine Kritik an der Freiform-Architektur übt, die nur ein Bild sei. Seine Formen ergeben sich seiner Meinung nach aus der Struktur.

Der Widerstand
Luigi Snozzi ist mit Monte Carasso dabei. 1968 hat er dort eine Schule nicht am vom Masterplan vorgesehnen Ort ausserhalb des Dorfes entworfen, sondern den Auftrag abgelehnt und einen städtebaulichen Vorschlag gemacht, der Monte Carasso noch heute prägt. «Wenn wir besser über die Aufgaben nachdenken, entstehen bessere Resultate», dies sagte Aravena an der Pressekonferenz und hat dabei vielleicht Snozzis Haltung im Kopf. Ausstellungsmässig sehen wir bei diesem Vorschlag aber nichts Revolutionäres.

Peter Zumthors Modell des LACMA mit einer Spezialkollektion von Christina Kim, dosa inc. Bild: jk

Die Zeit
Peter Zumthor wurde von Aravena eingeladen, weil sein Büro «in a small village in Switzerland» liegt. Diese physische Distanz von der tosenden Welt sehe man seinen Arbeiten an. Insbesondere den verwendeten Materialien und dem Handwerk. Auch nehme sich Zumthor die Zeit, die ein Bauwerk brauche, weshalb kein Entwurf dem anderen gleiche. So arbeite er konsequent gegen die Homogenisierung unserer Leben. Mit einem Modell des Los Angeles County Museum of Art, LACMA, ist Peter Zumthor in Venedig vertreten. Angereichert durch Werke, die dort dereinst zu sehen und hören sein werden.

Prototyp des Drohnenports. Bild: jk

Die Infrastruktur
Als Epilog unserer Reise durch die Ausstellung begegnen wir der Architektur in Form von  Entwicklungshilfe. Ganz hinten auf dem Gelände des Arsenale unter freiem Himmel findet sich wieder ein Tragwerk, das von Philippe Block stammt. Es handelt sich um einen Prototyp eines Drohnenflugplatzes für Afrika, der für die Fondation Norman Foster entwickelt worden ist. Die Stiftung will ein Drohnennetz aufbauen, das Gegenden in Afrika, die an kein Strassennetz angebunden sind, mit Medikamenten und anderen Gütern des täglichen Bedarfs versorgen kann. Ein solches Netz braucht Häfen, die modular und flexibel sind, aus lokalem Baumaterial bestehen, und – sollte das Netz nicht zustande kommen oder zusammenbrechen – auch für andere Nutzungen gebraucht werden können.

Man kann die Hauptausstellung als Lehrstück verstehen, wie vielfältig Architektur ausgestellt werden kann und wie viel spannender es ist, inhaltlichen Fragestellungen nachzugehen, als Bauten in Grundriss, Schnitt, Bildern und Modell zu zeigen.


Die Ausstellung beginnt streng genommen in den Giardini im italienischen Pavillon. Dort stellen aus der Schweiz Christian Kerez (ihm ist die Ehre zuteil, zweimal an der Biennale vertreten zu sein) und Raphael Zuber aus. Räumlich ist der Pavillon viel heterogener und somit anspruchsvoller zu bespielen. Die Projekte stehlen sich hier etwas die Show.

Weitere Orte mit Schweizer Beteiligung


15. Architekturbiennale in Venedig
28. Mai bis 27. November 2016
www.labiennale.org

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