ETH Forum Wohnungsbau 2013

Juho Nyberg
2. Mai 2013
Einkommensverteilung wie zu Beginn der Industrialisierung (Grafik: parisschoolofeconomics.eu)

Die Folgen der Finanzkrise von 2008 sind immer noch allgegenwärtig. Obwohl die Schweiz sich (bisher) weitgehend schadlos gehalten hat, lassen sich die Folgen in verschiedenen europäischen Ländern täglich in der Presse verfolgen. Im Zusammenhang damit sind verstärkt andere, damit verknüpfte Aspekte in unser Sichtfeld geraten. Allen voran die Gegenüberstellung von privaten und öffentlichen Gütern – vorab behandelt am Beispiel der Privatisierung der Gewinne gegenüber der Vergesellschaftung der Risiken. Man denke hier an das Thema der Bankenrettung, zuletzt illustriert am Beispiel Zyperns.


Kapitalismus und Blasen
Den Einstieg in den Tag macht Kolumnist Daniel Binswanger mit einem tour d’horizon, in dem er am Beispiel der wirtschaftlichen Entwicklung der USA sowohl die Entwicklung des Kapitalismus, wie wir ihn heute kennen und wie er auch unseren Alltag beeinflusst, als auch dessen gesellschaftliche Auswirkungen erklärte. Seit Beginn der 1980er-Jahre lässt sich ein fundamentaler Wandel der amerikanischen Gesellschaft von einer sehr egalitären und produktiven Phase zu einer immer stärker segregierten Gesellschaft nachvollziehen. Der Rückbau des Sozialstaates und die massive Senkung der Steuern reichen also gut 30 Jahre zurück. Das wirtschaftsliberale Eldorado scheiterte zuletzt an vielen wohl gut gemeinten, aber eben gescheiterten Interventionen wie dem Versuch, der steigenden Arbeitslosigkeit mit exzessiver Bautätigkeit zu begegnen.

Als ebenso vielschichtig wie die Ursachen der Krise erweisen sich bei längerem Hinsehen auch die Reaktionen darauf. Gesellschaftliche Phänomene wie Occupy Wall Street oder der Arabische Frühling entziehen sich derzeit noch einer Bewertung. Ob sie letztlich tatsächlich Impulsgeber für einen gesellschaftlichen Wandel gewesen sind, oder bloss regionale Strohfeuer, kann erst mit gebührendem zeitlichem Abstand beurteilt werden.

Binswanger schliesst mit einem Blick auf den Schweizer Immobilienmarkt und gibt sich erstaunt ob der Gelassenheit der lokalen Akteure. Man könne durchaus auch hierzulande von einer Blase sprechen, entspreche doch der Wert des Immobilienmarktes etwa 115% des Bruttoinlandproduktes. Gesetzlich vorgeschriebene Eigenkapitalquoten könnten hier einen dämpfenden Effekt haben, existieren jedoch nicht.

Eine bunte Nachbarschaft. (Quelle: nena1.ch)

Nachbarschaften und Visionen
Hans Widmer, Gründungsmitglied der Bau- und Wohngenossenschaft KraftWerk1 ist ein Verfechter ökosozialer Stadtkommunen. Unter dem Titel «Nachbarschaften und Commons» proklamiert er «mehr individuellen Nutzen dank kooperativer Strukturen», und weiss dies auch anhand eines Beispiels zu illustrieren. Nach seinem Modell sind drei grundsätzliche Sphären zu unterscheiden: die staatliche Sphäre der öffentlichen Dienstleistungen, die kreative kooperative Sphäre und die Sphäre der Subsistenz (Selbständigkeit, Selbsterhaltung) und Nachbarschaft.

Mit Blick auf letztere präsentiert Widmer ein Wohnmodell, das den Teilnehmenden zwar eine Anpassung an neue Arbeits- und Wohnstrukturen abverlangt, im Gegenzug aber eine andere hohe Lebensqualität verspricht. Darüber hinaus soll es sogar möglich sein, mit 1000 Watt pro Person auszukommen. Auf einer Parzelle von 100 x 100 Metern soll der Vision nach ein «Dorf in der Stadt» entstehen mit rund 500 Bewohnerinnen und Bewohnern. Alle Dienstleistungen sind innerhalb des Gebäudes verfügbar und damit zu Fuss zu erreichen. Gemeinschaftlichen Räumen, etwa einem Restaurant oder Café wird Vorrang gegeben. Diese sollen sich als Treffpunkte etablieren und so neben anderen Vorteilen auch generationenübergreifendes Wohnen leicht machen. Als ein mögliches Areal für die Umsetzung hat die Bau- und Wohngenossenschaft NeNa1 das Zürcher Kasernenareal ausgemacht.

Bedenkliche Polemisierung (Bild: wwf-bs.ch/landhof)

Zu viel Demokratie?
Nachmittags macht sich Fritz Schumacher, Kantonsbaumeister von Basel-Stadt, Gedanken zur «Demokratietauglichkeit» von Planungen. Die Möglichkeit zur Einflussnahme des Souverän in der Schweiz ist tatsächlich sehr gross, man denke an drei bedeutende Abstimmungen der letzten Zeit: die Zweitwohnungsinitiative, die Kulturlandinitiative im Kanton Zürich und schliesslich die Revision des RPG. In der Annahme dieser drei Initiativen manifestiert sich ein breites Unbehagen der Bevölkerung mit der aktuellen Situation. Bemerkenswert ist dabei, dass die Zustimmung jeweils besonders in städtischen Regionen hoch war. Die Probleme sind also erkannt, aber die Lösungen sind bitte woanders zu suchen, als bei uns. Denn Konzepte zur Verdichtung werden nirgends gegeben, die Kompetenz bleibt föderalistisch-traditionell bei Gemeinden und Kantonen, was eine übergeordnete Planung verunmöglicht. Statt Konzepte für die allseits erwähnte Verdichtung zu liefern, fördert der Bund den Ausbau von Strassen und öffentlichem Verkehr, was primär zu einer besseren Erschliessung der Agglomerationen führt und damit zur Zersiedelung.

Wie schwierig es auf kommunaler Ebene ist, auch massvolle und gut gestaltete Verdichtungen zu realisieren, zeigt Schumacher anhand zweier Beispiele aus Basel auf. Neue Wohnbauten im Innenhof eines Blockrandes wurden mit falschen Illustrationen erfolgreich von den Ansässigen bekämpft. Lakonisch erläutert Schumacher die – naheliegenden – Motive: Die Gegner haben ja schon eine Wohnung im fraglichen Quartier. Eventuelle Zuzüger können darüber nicht mitentscheiden.

So gibt uns der Kantonsbaumeister eine grundlegende Erkenntnis mit auf den Weg: Städtische Verdichtung ist die Konsequenz des Landschaftschutzes.

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