Schlacht um das Zürcher Stadtschloss

Juho Nyberg
2. Februar 2011
Ansicht vom Platzspitz aus (Bild: Architekten) 

Wie kam es zu dieser mittelalterlich anmutenden, dogmatischen Auseinandersetzung? Anno 2002 ging aus einem international ausgeschriebenen Architekturwettbewerb das Büro Christ & Gantenbein als Sieger hervor – zwei junge Schweizer liessen namhafte in- und ausländische Büros weit hinter sich. So bescheinigte etwa Peter Zumthor, damaliges Jurymitglied, dem Projekt eine «vorbehaltlose, beinahe zärtliche Identifikation» mit dem Schöpfer des Altbaus. Mit anderen Worten – die Jury hatte sich in einem demokratischen Prozess für dieses Projekt entschieden, als der besten Lösung des Bauvorhabens.
Zur Wettbewerbsaufgabe gehörte auch die Sanierung des Bestandes, der nach verschiedenen Teileingriffen arg gelitten hatte, sich strukturell in einem bedenklichen Zustand befand und den heutigen Anforderungen nicht mehr entsprach.

Fast wie damals: Handlauf im neuen Fluchttreppenhaus (Bild: Architekten)

Christoph Gantenbein bezeichnet die Gelegenheit zur Sanierung des bestehenden Teils als «Glücksfall». So konnten sie ein intimes Verhältnis zum urspünglichen, von Gustav Gull erbauten und 1898 eröffneten Bestand entwickeln und sich in Gulls Welt einfühlen. Dabei ging es ihnen nicht darum, Spuren als Architekten zu hinterlassen, vielmehr haben sie neue Fragmente behutsam in den Bestand eingebettet, so dass sie teils kaum bemerkbar sind. Sie bemühten sich um einen Dialog, einer Verträglichkeit zwischen dem Schloss und notwendigen Anpassungen an einen modernen Ausstellungs- und Museumsbetrieb. Als ein schönes Beispiel sei hier der Handlauf genannt, den Axel Simon an dieser Stelle vor gut einem Jahr bereits erwähnt hatte. Im geplanten Erweiterungsbau findet sich dieser Ansatz des Weiterbauen im Sinne Gulls wieder. So soll der Sichtbeton des Neubaus durch Zugabe von Tuffstein die Farbe des Bestandes annehmen, die Betonoberfläche durch Bearbeiten eine ähnliche Textur. Auch mit der Gebäudevolumetrie entsteht ein Dialog – die expressive Dachform des geplanten Anbaus führt die lebendige und abwechslungsreiche bestehende Dachlandschaft weiter.

Weiterführung des Vorhandenen: neue Dachlandschaft (Bild: Architekten)

Das Projekt erfuhr in der Folge eine Überarbeitung, die von der eidgenössischen und kantonalen Kommission für Denkmalpflege begleitet wurde und mit einer Redimensionierung einherging. Ferner wurde mit der Natur- und Heimatschutzkommission des Kantons Zürich zusammengearbeitet, so dass auch der Schweizer Heimatschutz das Projekt unterstützt. Trotzdem formierte sich eine Phalanx der Nein-Sager, die schliesslich Ende letzten Jahres das Referendum erreichte. Dabei hätte seit der Prämierung von Christ & Gantenbeins Siegerprojekt, spätestens aber seit einer von der Denkmal­pflege begleiteten Überarbeitung des Projekts die Möglichkeit bestanden, etwaige Bedenken zu äussern und auf einen Konsens hin zu arbeiten, über dessen Form und Resultat zu dieser Zeit nur spekuliert werden kann. Es wäre bestimmt anständiger gewesen, seine Interessen in die Projektierung mit einzubringen, als das Vorhaben erst kurz vor der Ziellinie zu beschiessen.

Erdgeschoss mit dem geplanten Anbau – und dem Platzspitzpark (Bild: Architekten)

Wo sind die Befürworter? Geht man derzeit durch die Stadt, so fallen bloss populistische Plakate der Gegner auf, die die Erweiterung als gesichtslosen roten Klumpen darstellen, mit einem fetten Nein betitelt – fertig ist die Meinungsbildung. Schaut man auf der entsprechenden Webseite nach, wird einem klar, wes Geistes Kind diese Affichen sind – bekannt aus vergangenen Schlammschlachten.
Es wird nicht zum ersten Mal ein einseitiger Abstimmungskampf geführt. Ob die Befürworter darauf vertrauen, dass sich der gesunde Menschenverstand selbstverständlich durchsetzen wird – wie sich in der Märchenwelt in der Regel am Ende «das Gute» durchsetzt? Dass es damit – und also auch mit dem erhofften positiven Ausgang ohne eigenen Einsatz – nicht sehr weit her ist, sollte spätestens seit dem letzten Herbst klar sein. Oder ist es nicht schick genug, sich für das Landesmuseum stark zu machen? Hemmt eine Furcht, als biedere Patrioten zu gelten? Dabei hat sich die Stadtzürcher SVP selbst gegen die Erweiterung des Landesmuseums ausgesprochen. Somit überlässt die Patriotenzunft den «Heimatmüden», «Linken» und «Netten» für einmal das Feld – und diese machen: NICHTS.
Hier bleibt eine Chance ungenutzt. Die Deutungshoheit des Patriotismusbegriffs einmal in die eigenen Hände zu nehmen und damit nicht nur dem Landesmuseum, sondern eben auch der Liebe zur Heimat eine frische, zeitgenössische, selbstdefinierte Form zu geben. Aber nein, statt dessen ereifert man sich darüber, dass Michael von der Heide im Halbfinal des Eurovision Song Contest ausgeschieden ist, und sieht sich zu unrecht aus dem heiteren Wettbewerb gekippt. Definieren wir uns lieber über Schlagerparaden, derer sich morgen schon keiner mehr erinnern mag, als vielmehr über einen schön gestalteten Raum, der uns die Möglichkeit bietet, uns selbst, unsere Herkunft und Kultur auszustellen und vielleicht auch daraus zu lernen?

Ausblick unter der Brücke hindurch in den Park (Bild: Architekten) 

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