Weihnachtsmärkte - Eine schöne Bescherung

Juho Nyberg
17. Dezember 2015
Besinnliche Stimmung im Hauptbahnhof Zürich. Bild: commons.wikimedia.org/Reto Schlatter

Meteorologisch erinnert die diesjährige Adventszeit eher an einen immerwährenden Herbst. Wie gut, dass immerhin auf andere Indikatoren der Weihnachtszeit Verlass ist. Marronigeruch zieht als früher Vorbote durch die Strassen. So süss der Geruch der Kastanien, so einheitlich die Erscheinung der Verkaufsstände im Stadtbild. Von der in den 1990er-Jahren vorgenommenen Vereinheitlichung der Marronihäuschen in der Stadt Zürich sind nur eine Handvoll ausgenommen, die mittlerweile wie Relikte aus vergangenen Zeiten unter kastanienbraunen Stoffbaldachinen ihr geröstetes Gut feilbieten.

Doch ein Einkaufsbummel mit einer Tüte Marroni wärmend in der Jackentasche scheint nicht genügend weihnächtliche Stimmung zu verbreiten. Die Entwicklung muss auch hier weitergehen. Und so entstehen Weihnachtsmärkte an allen denk- und undenkbaren Orten und verdichten für einige Zeit die Innenstadt oder verstellen Räume, die oft als Freiraum für die Öffentlichkeit angepriesen, in Wahrheit als Eventspace genutzt werden.
 

Wärmt Hände und Herzen. Bild: kleinefreude.blogspot.ch

In der grossen Wannerhalle des Zürcher Hauptbahnhofs findet der Christkindlimarkt seit 1994 statt. Im ersten Jahr aus rund einem Dutzend Ständen bestehend, hat sich die weihnächtliche Häuschenflut auf über das Zehnfache gesteigert, und es scheint, dass ein Ende kaum abzusehen ist. Beschränkt wird das Wachstum einzig durch Bauarbeiten. Wer dennoch die Wannerhalle einmal leer antrifft, kann endlich das «Philosophische Ei» Mario Merz’ und den Engel von Niki de Saint Phalle in voller Pracht bewundern. So schön kann Leere sein! Derzeit läuft übrigens ein Wettbewerb für ein neues Beleuchtungskonzept des gesamten Bahnhofs. Das zukünftige Konzept soll die Kunstwerke integrieren, wie die NZZ berichtet. Um deren Wirkung zu unterstreichen, wären weniger Anlässe und entsprechende Bauten ein guter Entscheid. Leider sieht die SBB das nicht so und wird künftig die Wannerhalle sogar zwei Wochen mehr vermieten.
 

Auch das Niederdorf mit seinen Gassen und Plätzen bleibt von weihnächtlichen Temporärbauten nicht verschont. Immerhin punktet der Dörfli-Weihnachtsmarkt mit Tradition, er ist der älteste der Stadt, und lässt unterschiedliche Varianten von Verkaufsständen zu. Letztlich dominiert aber doch der hölzerne Typus mit flachem Giebeldach, wahlweise verziert mit Tannenzweigen, Eiszapfen oder Schnee aus Schaumstoff.
 
Wer denkt, mit den rund 200 Ständen im Bahnhof und Niederdorf sei der weihnächtlichen Stimmung genüge getan, hat weit gefehlt. Der im April 2014 feierlich eingeweihte Sechseläutenplatz bildet den oberen Brückenkopf der Weihnachtsachse durch die Stadt Zürich. Bis vor der Fertigstellung der neuen Platzgestaltung hatte hier viermal ein Weihnachtsmarkt stattgefunden – sogar mit einer künstlichen Eisbahn. Entgegen dem Wunsch der damaligen Veranstalter nahm der Stadtrat den Markt nicht in die Liste der wiederkehrenden Anlässe auf, und vergangenes Jahr stand der Platz zur Weihnachtszeit leer. Jedoch rief die Stadt Zürich im November 2014 zur Eingabe von Konzepten für einen Weihnachtsmarkt auf, es sollte «gemäss den Richtlinien der Stadt Zürich zu Weihnachtsmärkten eine reguläre Bewilligung erteilt» werden.

Eiszapfen und Alpaka-Pullover im Niederdorf. Bild: zurich.com

Die frohe Botschaft wurde im April dieses Jahres verkündet: Das Konzept der Frau Gerolds Garten AG erhielt den Zuschlag. «Seine Vorzüge bestehen in der von keinem anderen Gesuch erreichten zeitgemässen ‹Zurichness› und der Kombination von weihnachtlicher Stimmung mit urbanem Flair», begründete die Stadt ihre Wahl. «Kreative Angebote und designorientierte Produkte aus Zürich» heben das Zürcher Wiehnachtsdoorf von den anderen Märkten ab, so die Stadt weiter.
 
Das urbane Flair, also die Gentrifizierung des Weihnachtsmarktes, lässt sich jedoch nicht an der Architektur der Stände ablesen, sondern am Angebot der Waren. Einige individuell gestaltete Bauten wechseln mit den Fronten der Standardhäuschen ab, die mit ihren roten Fassaden den Grundton des Marktes vorgeben und damit an typische skandinavische Häuschen erinnern.
Ein weiterer Punkt, der laut der Pressemitteilung der Stadt Zürich für das siegreiche Konzept gesprochen hat, sei der «Kerngedanke des Upcycling», der auch für die Bauten gelte. Leider lässt sich nicht weiter ergründen, was mit der roten, hölzernen Hundertschaft während der elfmonatigen Betriebspause geschieht.
Und demnächst werden es noch mehr sein, denn der Hunger nach neuen Märkten ist offensichtlich ebenso wenig wie an der Börse auch zur Adventszeit beinahe unstillbar. Bereits vor drei Jahren kündigte ein Artikel im Tagesanzeiger an, dass auch auf dem Münsterhof (ebenfalls gerade frisch instand gestellt) ein weiterer entstehen soll. Entgegen dem Versprechen im Artikel hat es für dieses Jahr nicht gereicht, aber die Ausschreibung für ein Konzept für das nächste Mal ist publiziert. Dieser wird natürlich noch weniger kommerziell und noch authentischer werden, als alle bisherigen. Schliesslich weiss die Stadt Zürich: «Zürichs Potenzial als Weihnachtmarktdestination ist entwicklungs- und ausbaufähig». Und obwohl Zürich «kein zweites Nürnberg oder Strassburg werden» soll, werden die Märkte «zur touristischen und kulturellen Bereicherung beitragen».
 
Weihnachtsbäume mit Kristallen geschmückt, gigantische glitzernde Päckchen locken und verführen zum Einkauf. «Less is more» könnte, wörtlich genommen, ein tolles Konzept für den nächsten Weihnachtsmarkt abgeben. Probieren Sie’s aus!
 
Wir wünschen Fröhliche Weihnachten, bleiben Sie bescheiden.

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