Bei Josef Hoffmann werden auch Vasen zu Architektur

Susanna Koeberle
3. März 2022
Das Palais Stoclet in Brüssel gilt als Gesamtkunstwerk. (Foto © Alan John Ainsworth)

 

Josef Hoffmanns Schaffen umfasst sechs Jahrzehnte und ist von vielen Brüchen geprägt. Das zeigt sich schon nur an der Tatsache, dass er fünf verschiedene politische Regime erlebte. Man kann sich umgekehrt auch fragen, ob es in diesem reichhaltigen Werk und Leben einen roten Faden gibt. Die Ausstellung «Josef Hoffmann. Fortschritt durch Schönheit» schafft einen Spagat: Nämlich die Fülle dieses Werks auszubreiten und zugleich so etwas wie einen Kern herauszuarbeiten. Und das tut sie mit über tausend (!) Exponaten, die von Architektur bis zu kunstgewerblichen Gegenständen reichen. Bevor wir in die eigentliche Materie eintauchen, soll an dieser Stelle die Ausstellungsszenografie des Wiener Architekten und Designers Gregor Eichinger hervorgehoben werden. Diese ist so angelegt, dass es keinen «richtigen» Weg durch die Schau gibt. Das konzentrische Dispositiv erlaubt einen individuellen Parcours und schafft Zugänge auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Sowohl Kenner*innen als auch Anfänger*innen können etwas aus der Ausstellung lernen. Eine textile Raumhülle bildet eine äussere Schale und schafft gleichsam einen biografischen Rahmen mit den wichtigsten Eckdaten von Hoffmanns Leben und Werk. In einer äusseren ringförmigen Zone stehen Vitrinen mit Zeichnungen, Fotos und Plänen sowie auch verschiedene Artefakte. Von hier aus gelangen Besucher*innen radial in einen mittleren Bereich, in dem Kernthemen des Architekten und Allgestalters erklärt werden. Dieses Panoptikum trägt zu einem strukturierten und zugleich vielgestaltigen Blick auf das Wirken dieses international wie auch lokal einflussreichen Baukünstlers und Designers bei, der notabene selbst ein begnadeter Ausstellungsmacher war. 

 

Ausstellungsansicht von «Josef Hoffmann. Fortschritt durch Schönheit» im MAK (Foto © MAK / Georg Mayer)

Die Möglichkeit einer subjektiven Sichtweise passt auch zu Hoffmanns Idee von Gestaltung als Ausdruck individueller Kreativität. Im gleichen Zug betrachtete er Kunst als Ort der Synthese von Gegensätzen. Sein Verständnis von Gestaltung macht keine Unterscheidung zwischen Architektur und Design oder Handwerk und Kunst. Bauwerk und Einrichtung sowie auch Kunst und Funktion bilden bei Hoffmann eine Einheit, was sich insbesondere im Konzept des Gesamtkunstwerks ausdrückt. Dabei erhält vor allem das Thema Handwerk eine ganz eine neue Bedeutung. In Wien trifft die aus der Arts-and-Crafts-Bewegung stammende Idee der Einheit der Künste auf einen besonderen Humus, der zur Bildung der Wiener Moderne und eines eigenständigen Wiener Stils beiträgt. Hoffmanns Wirken ist diesbezüglich bedeutend. Der Titel der Schau verweist zudem darauf, dass sein Schaffen durch zwei Konstanten – oder Pole – gekennzeichnet ist. Der Glaube an die Schönheit als universelle heilende Kraft und die Idee der stetigen Erneuerung widersprechen sich in diesem künstlerischen Universum nicht. Doch wie kommt ein ausgebildeter Architekt überhaupt dazu, sich so stark mit der Bedeutung von Kunst und Handwerk auseinanderzusetzen? Dazu muss man etwas ausholen und Hoffmanns Werdegang im Lichte seiner Zeit kontextualisieren.

 

Josef Hoffmann, Wien, nach 1945 (Foto: Yoichi R. Okamoto © MAK)
Pionier der Wiener Moderne

Josef Hoffmann kommt 1870 in einer wohlhabenden Familie zur Welt und verbringt seine Jugend in Pirnitz, dem heutigen Brtnice in Tschechien. Schon früh erwacht sein Interesse für Architektur und Kunst. Nach der Matura arbeitet er als Baupraktikant und bewirbt sich nach dem Praxisjahr an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo er bei Carl Freiherr von Hasenauer und später bei Otto Wagner studiert und 1895 sein Diplom macht. Als eine frühe Inspirationsquelle kann auch seine Reise nach Italien – ermöglicht durch ein Stipendium der Akademie – gelten, die ihn über Venedig, Rom und Neapel bis nach Capri führt. Die Schlichtheit der mediterranen Architektur fasziniert ihn und er verfasst sogar einen Aufsatz dazu, der in einer Fachzeitschrift publiziert wird. Zu sehen sind in der Ausstellung einige Aquarelle, die auf dieser Reise entstanden. 

Zu Hoffmanns Freundeskreis gehören bald auch Künstler; gemeinsam treffen sie sich in den Wiener Cafés, um über Kunst und Architektur zu diskutieren. Der Wunsch nach Erneuerung starrer Strukturen in den bestehenden Kunstvereinen führt 1897 zur Gründung der Wiener Secession (das Wort Secession benennt diese Abspaltung ganz explizit), deren Gründungsmitglied auch Hoffmann ist. Diese Vereinigung bildender Künstler*innen wird zum avantgardistischen Experimentierfeld, es wird eine neue soziale und ästhetische Dimension von Kunst und Architektur erprobt. 1898 erfolgt der Bau eines Ausstellungsgebäudes nach den Plänen des Otto Wagner Schülers Joseph Maria Olbrich; Hoffmann ist für die dekorative Gestaltung der ersten Ausstellung in der Secession zuständig. Dieser Ort steht sinnbildlich für eine neue gesellschaftliche Bedeutung der Künste für das Bürgertum. Die Zeit der Secession zeigt auch Hoffmanns Geschick im Netzwerken, das fortan seine Karriere bestimmen wird. Zu seinen ersten Auftraggebern gehört der Industrielle Paul Wittgenstein, ein Förderer der Secession, für den er erstmals seine Vorstellung von einem Gesamtkunstwerk umsetzt: Er entwirft alles von der Architektur über die Möbel bis zur Wandverkleidung.

 

Josef Hoffmann, zwei Hocker aus der Ateliereinrichtung Koloman Mosers, 1898 (Foto © MAK / Georg Mayer)

Erst 29-jährig wird Josef Hoffmann auf Vorschlag von Otto Wagner an die Wiener Kunstgewerbeschule an die Fachklasse Architektur berufen; dort wird er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1936 als Lehrer tätig sein. Auch der junge Künstler Koloman Moser – ebenfalls ein Secessionist – wird dort Professor. Hoffmann ist schon früh auch international tätig, etwa für die Weltausstellung in Paris 1900. In dieser Zeit unternimmt er auch eine Studienreise nach England und lernt dort Protagonisten der Arts-and-Crafts-Bewegung kennen. So kommt es, dass in der VIII. Secessionsausstellung ein schottischer Raum eingerichtet wird. 1905 tritt Hoffmann zusammen mit anderen Gründern aus der Secession aus. 

Seine enorme Kreativität als Gestalter, Lehrer und Unternehmer zeigt sich am deutlichsten in der Gründung der Wiener Werkstätte (WW) im Jahr 1903, bei der er zusammen mit Moser die künstlerische Leitung übernimmt. Ähnlich wie die Arts-and-Crafts-Bewegung wollte die WW der Entfremdung von Produktionsprozessen im Zuge der Industrialisierung entgegenwirken. Es entsteht eine enge Zusammenarbeit zwischen Entwerfer, ausführender Hand und Auftraggeber. Die Nähe zu den Handwerker*innen war Hoffmann stets ein Anliegen und er wird sein Leben lang für die Werte der WW kämpfen. Denn es gibt für ihn keine Hierarchie zwischen den angewandten und den bildenden Künsten. Bei den ausgestellten Stücken erkennt man häufig die Signatur der jeweils ausführenden Personen. 

 

Josef Hoffmann, Speisesaal des Sanatoriums Westend, Purkersdorf, 1905 (Foto © MAK)
Die Wiener Werkstätte als zentrales Unterfangen

Die Schau sensibilisiert auch für wiederkehrende Motive des Gestalters und Architekten wie etwa das Quadrat. Zu den Objekten, welche die Gleichberechtigung von Architektur und Design wohl am anschaulichsten vorführen, gehören die weiss lackierten metallenen Blumenständer und Blumenkörbe mit den quadratischen Löchern. Sie könnten ebenso gut Modelle von Bauten sein. Sie beweisen ausserdem die Modernität von Hoffmanns Entwürfen sowie sein beherztes Engagement für die Wertschätzung des Handwerks. Gerade im Zuge der Klimakrise zeigt sich die Aktualität einer Haltung, die Massenware und kurzlebige Strömungen ablehnt. Damit einher geht nicht nur eine ästhetische Aufwertung von handwerklich gefertigten Gegenständen. Vielmehr kommen auch Respekt vor der Arbeit des Individuums und eine soziale Dimension zum Ausdruck. Allerdings steht das Businesskonzept der WW bald auf wackeligen Füssen, was zu einem andauernden wirtschaftlichen Überlebenskampf führt. Die schwierige Finanzierung dieses Unterfangens wäre einen separaten Artikel wert.

Nach 1904 entstehen einige der wichtigsten Bauten des Wiener Architekten. Zu ihnen gehört neben mehreren Villen auch das Sanatorium Westend in Pukersdorf mit seiner radikalen Einfachheit und seiner gewagten Konstruktion. Zwischen 1905 und 1911 arbeitet Hoffmann am Palais Stoclet in Brüssel, dessen Auftraggeber der vermögende Adolphe Stoclet ist. Er entwirft dort das Wohnhaus, die komplette Innenausstattung, die Gartenanlage sowie alle Nebengebäude. An der Ausstattung beteiligen sich verschiedene Künstler. Das Gebäude – seit 2009 Teil des Unesco-Welterbes – ist in seiner Art einzigartig und gilt als Inbegriff eines Gesamtkunstwerks. Die Ausstellung im MAK dokumentiert mit Fotografien, Modellen und schriftlichen Dokumenten die rege bauliche und gestalterische Tätigkeit dieser Jahre. Kurz nachdem dieser wichtige Bau auch international rezipiert wurde, markiert der Beginn des Ersten Weltkrieges einen Bruch im Leben Hoffmanns und seiner Zeitgenossen. Er kann zwar auch in den Kriegsjahren verschiedene Inneneinrichtungen und Villen realisieren, doch die eigentliche Zäsur erfolgt nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie. An die Stelle der privaten Aufträge treten immer häufiger öffentliche, staatlich finanzierte Projekte wie Sozialbauten und Siedlungen. 

Hoffmann war auch für den Österreichischen Werkbund tätig, den er 1912 zwar mitbegründet hatte, doch 1920 wieder verliess, und entwarf für die Wiener Werkbundsiedlung (1929–1932) vier Reihenhäuser; doch seine Bauten übersteigen die erwarteten Kosten und er zieht sich in der Folge aus dem Werkbund zurück. Dass der Architekt nach wie vor auch Villen und ganze Interieurs für eine wohlhabende Klientel entwirft, hängt sicher mit seinem guten Netzwerk zusammen. Hoffmann hält auch weiterhin an der Bedeutung des Kunstgewerbes fest, was auf eine konservative Grundhaltung schliessen lassen könnte. Er willigt allerdings ein, Entwürfe für die WW auch in grösseren Stückzahlen herzustellen. 1932 muss die WW dennoch Konkurs anmelden, was für Hoffmann ein ziemlicher Schlag gewesen sein muss, denn er verliert damit eine ganze Infrastruktur. Im Hintergrund schwelen Konflikte um die Ausrichtung und Bedeutung des Kunsthandwerks. Während etwa Josef Frank zu den «progressiveren» Vertretern gehörte, die sich auch für die industrielle und damit demokratische Produktion öffneten, zeigte Hoffmann diesbezüglich wenig Interesse und hielt an einer vielleicht auch überkommenen Auffassung von Handwerk fest. 

 

Josef Hoffmann, Henkelkorb für die Wiener Werkstätte, Gitterware, Silber, 1906 (Foto © MAK / Georg Mayer)
Unermüdliche Suche

Hoffmann nutzt das Medium der Ausstellung, um ein breiteres Publikum zu erreichen. Auch das Entwerfen verschiedener Länderpavillons an internationalen Ausstellungen dient dem Gestalter als Experimentierfeld und lässt ihn eine neue Formensprache ausprobieren. So setzt Hoffmann neue ästhetische Stilmittel wie Farbe oder – speziell bei Möbeln – etwa die Maserung von Furnierhölzern ein. 1934 wird der österreichische Pavillon für die Biennale in Venedig nach den Plänen von Josef Hoffmann errichtet; Entwürfe dafür gab es bereits viel früher, das belegen Zeichnungen. Mit der Ausführung wurde allerdings der Architekt Robert Kramreiter betraut. Hoffman bleibt der Eröffnung fern und äussert später Kritik an der Umsetzung. 

 

Österreichischer Pavillon der Biennale von Venedig bei seiner Eröffnung, 1934 (Foto © MAK)

1938 marschieren die deutschen Truppen ein, und es kommt zum «Anschluss» Österreichs an das «Dritte Reich». Hoffmanns Rolle während der NS-Zeit wird in der Ausstellung und im umfangreichen Katalog dazu vorbildlich aufgearbeitet. Der Architekt bezeichnete sich wiederholt als unpolitischen Menschen, nutzte aber seine Beziehungen zur Wiener Stadtverwaltung, um weiterhin zu Aufträgen zu kommen. Die Antisemitismus-Vorwürfe gegen ihn lassen sich indes nicht erhärten. 

Sein Einsatz für das Kunsthandwerk bleibt auch während des Krieges bestehen, Hoffmann geht weiterhin seinen Weg. Sein Lebenswerk ist geprägt durch eine unermüdliche Suche. Auch die heutige Generation von Gestalter*innen kann einiges von dieser Recherche lernen. Aktuelle Themen wie Materialgerechtigkeit, Nachhaltigkeit oder die Grenzen des industriellen Wachstums nimmt Hoffmann vorweg. Dem Kuratorenteam bestehend aus Matthias Boeckl, Rainald Franz und Christian Witt-Dörring gelingt es mit der Retrospektive, einen differenzierten und vielfältigen Blick auf die unterschiedlichen Schaffensphasen dieses Mehrfachtalents zu liefern. Die Schau trägt dazu bei, uns auch unbekannte Seiten an Josef Hoffmanns Arbeit nahezubringen.

 

Foto © MAK / Georg Mayer
Die Ausstellung im MAK – Museum für angewandte Kunst läuft noch bis zum 19. Juni 2022.

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