Pritzker-Preisträger Francis Kéré: «Ich freue mich, wenn sich unsere architektonische Arbeit mit gesellschaftlichen Themen verbindet»

Ulf Meyer
30. März 2022
Screenshot von Vimeo: John Hill

 

Hochverdient hat Francis Kéré den Pritzker-Preis erhalten. Lesen Sie unsere Einordnung.

Das sind Kérés beste Bauten und Projekte.

Voriges Jahr erhielt Kéré bereits die Jefferson-Medaille.

 

 

Herr Kéré, Sie haben mit dem Pritzker-Preis auch so etwas wie den Lifetime Achievement Award der Architektur gewonnen. Herzlichen Glückwunsch! Wie fühlt sich das an?

Überraschend. Nicht zu glauben. Es ist eine grosse Erleichterung, weil es heisst, dass ich die richtige Richtung eingeschlagen habe und dass meine Arbeit Sinn macht. Sie hat Bedeutung und Wichtigkeit. Dass ich den Preis erhalten habe, sagt mir, ich soll weitermachen.

Auch Sie hatten also im Laufe Ihrer Karriere Bedenken und Zweifel?

Nun, unsere Arbeit ist nicht einfach. Man rennt und rennt, es gibt so viele Aufgaben zu lösen, dass man manchmal das Gesamtbild aus den Augen verlieren kann. Aber jetzt habe ich Gewissheit, dass wir das Richtige getan haben. Ich fühle mich wie neu geboren. Ich war sprachlos. Ich hätte nie damit gerechnet. Als ich den Anruf bekam, gingen die Emotionen mit mir durch.

Sie haben bereits im Jahr 2004 den Aga Khan Award for Architecture gewonnen. Obwohl dieser Preis im Westen vielleicht nicht ganz so bekannt ist wie der Pritzker-Preis, ist er doch eine sehr prestigeträchtige Auszeichnung.

Das war ein entscheidender Moment in meiner Karriere. Ich stand noch ganz am Anfang und war gerade dabei, mein Studium an der TU Berlin abzuschliessen. Ohne diese Auszeichnung hätte die Fachwelt meine Arbeit nicht anerkannt. Der Aga Khan Award war die Grundlage für alles, was danach kam.

Sie haben die Auszeichnung damals für Ihre Primarschule in Ihrem Heimatdorf Gando erhalten. Heute arbeiten Sie an viel grösseren Gebäuden.

Sie spielen wohl auf den Bau der Nationalversammlung in Benin an, an dem wir seit 2019 arbeiten. Ich habe auch schon vorher grosse Projekte für Wettbewerbe in Burkina Faso entworfen. Der Massstab ändert in der Architektur vieles. Doch ich habe meine Parameter, um sicherzustellen, dass die architektonische Qualität von einer kleinen Schule bis hin zu einem grossen Parlamentsgebäude stets erhalten bleibt. Beim Pavillon der Serpentine Galleries in London habe ich gezeigt, dass ich Materialien Charakter verleihen kann, um Qualität und Innovation zu erreichen. 
Ich bin gespannt, wie sich das Projekt Benin entwickeln wird. Wir werden dort gefärbten Beton verwenden. Zudem versuchen wir, angepasst an die speziellen klimatischen Bedingungen vor Ort und so ökologisch wie möglich zu bauen. Wir streben ein dauerhaftes und wartungsarmes Gebäude an. Wie einst Le Corbusier werden wir Brise-Soleil-Elemente verwenden, um unser Bauwerk zu verschatten und kühl zu halten. Inspiration für das Projekt war der Palaver-Baum, unter dem in Westafrika traditionell Konsensentscheidungen im Interesse der Gemeinschaft getroffen werden. 

 

Das Gebäude der Nationalversammlung von Benin wird von einem grossen Park umgeben sein. Dieser soll die reiche Pflanzenwelt des Landes präsentieren und zu einem Erholungsraum und Treffpunkt für die Menschen werden. (Visualisierung: Francis Kéré)
So soll es im Inneren des Parlaments in Porto-Novo dereinst aussehen. Francis Kéré und sein Team arbeiten seit 2019 an dem Projekt. (Visualisierung: Francis Kéré)

Sie arbeiten derzeit in verschiedenen Ländern und in unterschiedlichen Klimazonen. Benin und Mali sind viel trockener als zum Beispiel Burkina Faso.

Es stimmt zwar, dass die Regenmengen unterschiedlich sind und Mali sogar eine Wüste ist, doch meine Konzepte sind mit Variationen durchaus übertragbar. Man darf übrigens auch nicht vergessen, dass es in Afrika oft schon innerhalb eines Landes unterschiedliche Klimazonen gibt. In Benin beispielsweise hat man es mit zwei Regenzeiten zu tun. Und unser Bauplatz in Porto-Novo liegt unweit der Küste, was ebenfalls einen Einfluss hat.

Mittlerweile haben Sie Regierungen als Bauherren. Was bedeutet das für Sie? 

Die Bürokratie vieler afrikanischer Länder ist wie eine billige Kopie westlicher Vorbilder. Sie kann schlimm sein. Die Regierungen delegieren die Einzelheiten an diverse Ausschüsse. Es gibt viele Partner. Während viele meiner Projekte mit der lokalen Bevölkerung entstanden sind, werden wir es nun auch mit grossen Bauunternehmen zu tun haben. Aber der Gewinn des sprichwörtlichen «Nobelpreises für Architektur» wird mir mehr Autorität verleihen.

Ist es unter diesen Umständen weiterhin praktisch, von Berlin aus zu arbeiten?

Ja. Wir haben zusätzlich ein tolles Team in Afrika mit Ingenieuren und Bauleitern. Ich muss zwar hin und her reisen und an vielen Gesprächen teilnehmen, aber in Berlin werden die Pläne produziert. Ich werde mittlerweile als eine exponierte Figur angesehen und bin die letzte Instanz in unserem Büro. Früher habe ich den Arbeitern auf der Baustelle auf die Schulter geklopft. Das ist jetzt vorbei. Meine Rolle ist heute repräsentativer geworden.

Sie haben schon an vielen Orten erfolgreich gebaut, doch Ihr Schwerpunkt liegt auf Afrika. Würden Sie gerne weitere Projekte in Deutschland oder etwa den Vereinigten Staaten realisieren?

The sky is the limit! – Ich bin froh, dass ich meinen Beruf in seiner ganzen Bandbreite ausüben darf. Ich entwerfe beispielsweise auch Möbel. Ich möchte an Projekten arbeiten, bei denen ich klimagerecht und in einem Esprit Nouveau arbeiten kann. Wenn ein Bauherr nur viele Wohnungen möglichst günstig bauen möchte, bin ich nicht der richtige Architekt dafür. 
Dennoch arbeite ich derzeit an einem Chalet in der Schweiz. Ich möchte meine Kunden zufriedenstellen. Ich habe eine klare Haltung, bleibe aber offen für alle Projekte.

 

Als er noch ein Student war, gründete Kéré seine eigene Architekturstiftung, um Geld für den Bau einer Primarschule in seinem Heimatdorf zu sammeln. Heute werden in der Anlage rund 2000 Kinder unterrichtet, und die Stiftung kümmert sich noch immer um die Pflege der Lehmbauten. (Foto: Erik-Jan Ouwerkerk)

Bitte erläutern Sie den Unterschied zwischen Ihrem Architekturbüro und Ihrer Architekturstiftung.

Ich habe schon als Student an der TU Berlin eine Stiftung gegründet, um Geld für den Bau der Schule in meinem Heimatdorf zu sammeln, die Sie eingangs bereits erwähnt haben. Ich hatte Glück, und es hat funktioniert. Die Stiftung hat aber kein Kapital, das verzinst wird, sie ist eher ein Verein mit dem Ziel, Geld zu sammeln. Im Jahr 2005 habe ich weitere Aufträge bekommen und mich als Kammermitglied eintragen lassen. Die Stiftung kümmert sich nur um die Schule in meinem Dorf. Jetzt bauen wir ein Gesundheitszentrum nebenan. Die Schule ist bis heute auf über 2000 Schüler angewachsen.

Nachdem es viel Kritik hagelte, hat sich der Pritzker-Preis in den vergangenen Jahren verändert. Die Jury legt nun mehr Wert auf die gesellschaftliche Bedeutung von Architektur. Zuletzt hat sie Architekturschaffende ausgezeichnet, die in gewissem Masse Aktivisten sind. 

Ich freue mich, wenn sich unsere architektonische Arbeit mit gesellschaftlichen Themen verbindet. Ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Ich nutze mein Wissen, um die Bedingungen in meinem Heimatland zu verbessern. Mein Professor an der TU Berlin, Peter Herrle, kann bezeugen, dass ich zunächst kein Diplom machen wollte; ich wollte lieber nach Burkina Faso zurückkehren, um dort zu bauen. Aber Professor Herrle bestand darauf, dass ich nach Berlin zurückkomme. Nun freue ich mich, dass meine Arbeit im Kontext von sozialer Architektur gesehen wird. Das schien ausserhalb meiner Reichweite, aber es funktioniert – mit viel Glück!

Neben Ihnen wurde auch David Adjaye, der ebenfalls aus Afrika stammt, als möglicher Kandidat für den Pritzker-Preis gehandelt. 

David ist tough und grossartig. Wie beispielsweise auch Zaha Hadid musste er Pionierarbeit leisten. Chapeau! Ich dachte, er würde den Pritzker-Preis bekommen. Meine Arbeit ist anders, aber ich wertschätze seine. Auch in Afrika wird er immer aktiver. Ich habe grosse Bewunderung für ihn.
Ich sehe mich selbst als (Material)Opportunisten. Ich mache das Beste aus dem, was da ist. Das muss zum Beispiel nicht immer Stampflehm sein. Gibt man mir Holz, mache ich das Beste daraus. David sagt, ich solle mich nicht auf soziale Aspekte beschränken. «Hinter deiner Arbeit steckt auch Ingenieurskunst», meinte er einmal zu mir. Ich hatte Glück, dass es bisher gut geklappt hat, und ich hoffe, dass es so weitergeht.

Haben Sie eigentlich einen Lieblingsarchitekten?

Renzo Piano rief mich an, um mir in bestem Französisch zu gratulieren: «Sie kombinieren Architektur und Kunst so, wie sie kombiniert werden sollten, – und fügen Ethik und Poesie zur Architektur hinzu. Das können nur wenige Menschen.» Jean Nouvel, Frank O. Gehry und Jacques Herzog haben mich auch angerufen. Aber mein Lieblingsarchitekt ist und bleibt doch Ludwig Mies van der Rohe. Sein Haus Lemke (1933) in Berlin ist so elegant und schlicht, es hat mich schon als Student fasziniert. Ich habe damals eine Dokumentation darüber gemacht.

Ich möchte Ihnen zum Abschluss eine etwas indiskrete Frage stellen: Werden Sie das Preisgeld für eine Party ausgeben, es teilen oder kommt es Ihrer Stiftung zugute?

Es ist viel Geld, aber nicht genug, um es mit allen zu teilen, die mir auf meinem Weg geholfen haben. Es ist wahr, dass meine Mitarbeiter früher nicht nur nicht bezahlt wurden, sondern am Anfang sogar mein Mittagessen bezahlten. Das ist kein Märchen! Natürlich werden wir mit einem Teil des Geldes hier in Berlin mit dem Team (bei Olafur Eliasson) und in Burkina Faso feiern. In meinem Dorf leben 5000 Menschen, die muss ich einladen. Der Rest des Preisgeldes geht tatsächlich an meine Stiftung, um meine älteren Projekte zu renovieren. Denn in Burkina Faso pilgern jetzt viele Menschen zu meinen Gebäuden, um sie zu besichtigen. Und ich bin eitel wie alle Architekten: Meine Gebäude sollen gut aussehen.

Vielen Dank, Herr Kéré, für dieses Interview.

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