Von der Industriestadt zum Architektur-Hotspot – Winterthur im Fokus

Elias Baumgarten
22. September 2024
Das Haus Krokodil bietet Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen ein Zuhause. Gestaltet haben den Holzbau Kilga Popp Architekten und das Büro Baumberger Stegmeier. (Foto: Jürg Zimmermann)

Einst wackelten in Winterthur die Wände, wenn bei Sulzer Schiffsmotoren dröhnend zur Probe liefen. Die Stadt war ein Zentrum des Schweizer Maschinenbaus, aber auch der Textilindustrie. Heute ist die einstige Arbeiterstadt, die immer im Schatten Zürichs stand, ein Ort der Kultur – und der Architektur. Das im Vergleich zur reichen Kantonshauptstadt geringe Interesse grosser Investoren hat einzigartige städtebauliche Entwicklungen mit ermöglicht. Am bekanntesten ist die Transformation des Sulzer-Areals neben der mittelalterlichen Altstadt: Viele der historischen Industriebauten konnten erhalten und umgebaut werden, nachdem zwei Grossprojekte zur Neuüberbauung am Widerstand der Bevölkerung und dem Ausbleiben potenter Geldgeber scheiterten. 

Am Open-House-Zürich-Wochenende, also dem 28. und 29. September, findet eine Quartierführung auf dem Lagerplatz statt, der Teil des Sulzer-Areals ist. Die von der Stiftung Abendrot entwickelte Anlage zeigt beispielhaft, dass auch mit sozial verträglichen und umweltfreundlichen Investitionen schöne Renditen erwirtschaftet werden können: Die Zwischennutzer durften bleiben, die Industriehallen wurden umgebaut – und die Jahresnettorendite betrug so schon beim Projektstart 4.5 Prozent. Interessierte haben die Chance, den mit gebrauchten Bauteilen aufgestockten Kopfbau der Halle K.118 (baubüro in situ) am Lagerplatz zu besichtigen, ein sogar im Ausland vielbeachtetes Leuchtturmprojekt. Und auch das Haus der Genossenschaft Zusammen_H_Alt, der einzige Wohnbau am Platz, kann erkundet werden. 

Doch nicht nur Bauten auf dem Sulzer-Areal stehen Architekturinteressierten in Winterthur offen. Auch die Schulhäuser Sprössling (Marazzi Reinhardt) und Wallrüti (Schneider Studer Primas) können besichtigt werden, ebenso der Umbau eines historischen Bauernhauses in der Wieshofstrasse (von Ballmoos Architektur) am Stadtrand.

Schneider Studer Primas haben das Schulhaus Wallrüti entworfen. Der Bildungsbau der Stadt Winterthur wurde von der Fachzeitschrift Hochparterre mit dem «Hasen in Silber» geehrt und gilt als Modell einer Architektur für die Klimakrise. (Foto: Dirk Podbielski)
Nicht nur zeitgenössische, sondern auch historische Gebäude wie das Bodmerhaus der Universität Zürich können besichtigt werden. Ernst Niklaus Fausch Partner haben das Baudenkmal in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege hergerichtet. (Foto: Juliet Haller)

Insgesamt werden im Rahmen von Open House Zürich in 120 Gebäuden und Parkanlagen nicht weniger als 400 Führungen angeboten. In Zürich kann zum Beispiel der Kindergarten-Umbau in der Mööslistrasse (Bischof Föhn) in Augenschein genommen werden. Bei dem Vorzeigeprojekt der Stadt kamen viele gebrauchte Teile zum Einsatz: Die Aussentreppe stammt genauso aus einem Abbruchobjekt wie die Holzträger, die Waschtische und die Küche. Ihre Tore öffnen auch das Sporthallenprovisorium am Gloriarank (Itten+Brechbühl) und die Sportbauten der Kantonsschulen Freudenberg-Enge (pool Architekten), die gerade beim Holzbaupreis Prix Lignum mit der Goldmedaille ausgezeichnet wurden.

Erkundet werden können ausserdem zukunftsweisende Wohnbauten wie das Haus Krokodil in Winterthur (Kilga Popp und Baumberger Stegmeier), dessen Wohnungen auf verschiedene Wohnbedürfnisse zugeschnitten sind, oder der Westhof in Dübendorf (Conen Sigl). Die bemerkenswerte Anlage beim Bahnhof Stettbach ist nicht nur das Zuhause von Menschen mit ganz unterschiedlichem sozialen und kulturellen Hintergrund, sondern auch Lebensraum vieler Vögel, Insekten und Pflanzen. 

Der Westhof in Dübendorf darf sozial wie ökologisch als zukunftsweisend gelten. Auch auf die lärmige Lage unmittelbar an den Bahngleisen haben Conen Sigl Architekt:innen klug reagiert. (Foto: Roman Keller)

Die kostenlosen Führungen können online gebucht werden. Zusätzlich wird in der Vorwoche von Open House Zürich ein umfangreiches Rahmenprogramm angeboten: Architektur-Debatten, Filmvorführungen, Präsentationen, Workshops und Ausstellungen sollen zum Diskutieren anregen und den Austausch zwischen Fachleuten und allen, die sich für Architektur interessieren, fördern. Ein Überblick zu den verschiedenen Rahmenevents findet sich online.

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