Wettbewerbsprojekte erkunden: Ausstellung im Textilmuseum St. Gallen

Manuel Pestalozzi
28. März 2022
Eine imposante Kassettendecke über dem neuen unterirdischen Ausstellungssaal soll die Lasten des historischen Palazzo Rosso darüber abfangen. (Visualisierung © Christian Kerez)

 

St. Gallen war einst ein bedeutender Standort der globalen Textilindustrie. Schon im Jahr 1878 wurde darum ein eigenes Textilmuseum in der Stadt eingerichtet. Gewebe und Stickereien aus aller Welt, Musterbücher, Entwurfszeichnungen und Fotografien dokumentieren die Geschichte der Schweizer Textilindustrie zwischen regionaler Verbundenheit und internationalen Verflechtungen. Untergebracht ist das Museum im Palazzo Rosso in der Vadianstrasse. Der repräsentative Bau wurde nach einem Wettbewerbsentwurf von Gustav Gull (1858–1942) errichtet, der später das Zürcher Landesmuseum gestaltete. Zunächst diente der Bau als Ausbildungsstätte des Textilgewerbes und auch als Verbandsgebäude.

Ein zeitgemässes Museum verlange heute nach geeigneten Räumlichkeiten für die Ausstellung, aber auch den rückwärtigen Betrieb sowie nach einem Archiv, findet die Stiftung Textilmuseum. Dem genügt der Palazzo Rosso nicht. Darum wurde 2019 ein zweistufiger Wettbewerb um die Grundsanierung und Erweiterung des historischen Baus ausgeschrieben. Gesucht war ein Entwurf, der einerseits die historische Bausubstanz respektiert, andererseits die eklatanten Platzprobleme des Hauses überzeugend löst und überdies eine professionelle Lagerung der wertvollen Ausstellungsstücke ermöglicht. In der ersten Runde wurden 181 Ideen abgegeben. Für die zweite Stufe wurden dann noch 15 Teams eingeladen (acht aus der ersten Runde und sieben neue). Aufgrund der Pandemie verzögerte sich die Jurierung und konnte erst im März 2021 abgeschlossen werden. Dabei fiel der Jury die Entscheidung nicht leicht: Zunächst blieben fünf Vorschläge im Rennen, ehe man sich für den Beitrag von Christian Kerez entschied.

 

Das äussere Erscheinungsbild des Palazzo Rosso wird sich mit dem Umbau nicht über Gebühr verändern. Allerdings wird der Sockel durchbrochen, denn das Eingangsgeschoss soll neu ebenerdig sein. (Visualisierung © Christian Kerez )

Christian Kerez und sein Team nutzten nach Ansicht der Jury den in der Ausschreibung vorgegebenen Spielraum maximal aus. Trotzdem kommt ihr Projekt mit einem Minimum an strukturellen Eingriffen in den Obergeschossen des bestehenden Gebäudes aus, sodass dessen ursprünglicher Charakter erhalten bleibt: Die rund 1300 Quadratmeter grosse neue Ausstellungshalle entsteht unterirdisch. Dank einer beeindruckenden Kassettendecke können die enormen Kräfte abgefangen und in den Baugrund abgeleitet werden. Diese Konstruktion erlaubt es, das heutige Sockelniveau des Erdgeschosses ebenerdig zum Strassenraum abzusenken. Christian Kerez hat mit seinem Projekt «Das Schwere ist des Leichten Wurzelgrund» viel gewagt und gewonnen.

Aufgrund der durchwegs hohen Qualität der 15 Finalisten entschied das Preisgericht, alle im Rahmen einer Ausstellung im Palazzo Rosso der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ausserdem erhielten alle 15 Teams einen Preis für ihre hervorragenden Leistungen. Die Schau begann Mitte dieses Monats und bleibt noch bis zum 3. April geöffnet.

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