Eine Kleinstadt aus Faultürmen und Klärbecken

Daniela Meyer
24. November 2022
Blüte oder Tempietto? Der runde Pavillon setzt einen gestalterischen und städtebaulichen Akzent auf dem Gelände der Kläranlage. (Foto: Hanspeter Schiess)

Bäume und Hecken verdecken die Sicht auf die in der Gemeinde Thal gelegene Anlage des Abwasserverbands Altenrhein grösstenteils. Ihr ist von aussen nicht anzusehen, dass sie gleich in zweierlei Hinsicht eine Pionierrolle einnimmt: Als eine der ersten Kläranlagen der Schweiz verfügt sie seit 2019 über eine vierte Reinigungsstufe, die der Beseitigung von Mikroverunreinigungen, also etwa Pestiziden oder Arzneimitteln, dient. Zudem zog die Bauherrschaft im Rahmen der Erweiterung der Anlage ein Architekturbüro bei, das anschliessend auch mit der Gestaltung des renovationsbedürftigen Bestandes beauftragt wurde. Dieses Vorgehen, das auf die Initiative eines engagierten Geschäftsführers zurückgeht, könnte Schule machen: Nicht nur die neue Reinigungsstufe und das besondere Verfahren, das in Altenrhein heute bei der Abwasserreinigung zum Einsatz kommt, haben das Interesse anderer Betreiber geweckt. Vermehrt scheinen sich diese bei der Weiterentwicklung ihrer Anlagen auch für deren architektonische Gestaltung zu interessieren.

Die sorgfältige Gestaltung des Neubaus für die vierte Reinigungsstufe zeugt davon, dass ein Architekturbüro in dessen Planung involviert war. (Foto: Hanspeter Schiess)

Aufgrund ihrer Funktion ist es wichtig, dass Kläranlagen am tiefsten Geländepunkt einer Region liegen. So sind sie häufig in der Nähe von Flüssen oder Seen zu finden – und somit in attraktiven Naherholungsgebieten. Aufgrund der steten Ausdehnung des Siedlungsraums ist dieser näher an die Abwasserreinigungsanlagen gerückt. Auch in Altenrhein führt ein Spazierweg dem alten Rhein auf der einen und der Kläranlage auf der anderen Seite entlang. Nur die hohen, runden Stapelbehälter lassen sich durch die grüne Hecke erspähen. Nähert man sich der Anlage über die Strasse auf der gegenüberliegenden Seite, ist es das viergeschossige Betriebsgebäude, das den Blick auf sich zieht. Mit seiner hell verputzten Fassade hebt es sich deutlich von den dunkleren Gebäuden im Hintergrund ab. Links vom Eingangstor findet sich ein erster Hinweis auf die jüngsten Interventionen des Büros Lukas Imhof Architektur: Das kleine Trafohäuschen umgibt eine ebenfalls helle Hülle aus gestocktem Recyclingbeton, worüber ein dünnes Dach auskragt. Hinter zwei schwarzen Gittern in den Längswänden verbergen sich verschiedene Elemente der Lüftungsanlage, zusammengefasst zu horizontalen Bändern. Das markante Vordach und das Überblenden technischer Installationen sind zwei Themen, die auch andere Bauten der Anlage prägen.

Durch die holzverkleidete Fassade dringen Luft und Sonnenlicht ins Innere des Neubaus. Es zeichnet sich ein Spiel aus Licht und Schatten ab. (Foto: Hanspeter Schiess)
Die Annahmestelle für Co-Substrat im Bildhintergrund fügt sich unauffällig in den Bestand ein, dessen Gebäudehüllen ebenfalls über eine vertikale Struktur verfügen. (Foto: Hanspeter Schiess)
Aus geometrischen Körpern werden Häuser

Lukas Imhof und sein Team mussten sich erst an die neuartige Aufgabe herantasten. Je länger sie sich mit der Anlage beschäftigten, desto mehr erschien sie ihnen als eine kleine Stadt. Tatsächlich finden sich auf dem rund 35000 Quadratmeter grossen Areal ganz unterschiedliche Gebäude, verbunden durch kleine Plätze, Höfe und Wegachsen. Auf der Suche nach einer angemessenen Sprache für den Neubau, der die vierte Reinigungsstufe bildet, legte das Team fest, dass sämtliche neuen Gebäudehüllen wenn möglich aus Holz konstruiert werden sollen. Die mehrschichtige Konstruktion lässt sich einfach an verschiedene Anforderungen bezüglich Luftaustausch oder Belichtung der dahinterliegenden Räume anpassen. Vorvergraute, vertikale Holzlatten bilden stets die äusserste Schicht und prägen die Bauten. Eine vertikale Struktur findet sich auch bei den bestehenden Bauten aus den 1970er-Jahren, die mit gewellten Eternitplatten oder Trapezblech verkleidet sind. Bei der Farbgebung orientierten sich die Architekturschaffenden ebenfalls am Bestand. Der Kontrast zwischen hellgrauen Betondächern und dunklen Fassadenflächen prägt die älteren Bauten genauso wie die neuen und lässt Alt und Neu miteinander verschmelzen.

Über neue Holzverkleidungen verfügen auch die inzwischen besser gedämmten, zylinderförmigen Stapelbehälter und die um einen kubischen Turm ergänzte Annahmestelle für Co-Substrat, eine Anlage, wo Speisereste angeliefert werden. Schmale Blechränder gliedern die grossen Fassadenflächen in Abschnitte, die auf die Standardlängen der vorvergrauten Holzlatten abgestimmt sind. Ergänzt um einen markanten Betonsockel und einen auskragenden Dachabschluss, erhalten die Bauten so ihre horizontale Gliederung. Indem die Architekt*innen den geometrischen Körpern Vordächer hinzufügen, machen sie Häuser daraus.

Ein Betonsockel, zwei schmale Blechbänder und ein leicht auskragendes Vordach gliedern die grossen Volumen der renovierten Stapelbehälter. (Foto: Hanspeter Schiess)
Alt und Neu bilden ein stimmiges Ensemble das vom Kontrast zwischen hellen und dunklen Farbtönen geprägt ist. (Foto: Hanspeter Schiess)
Kleiner Pavillon als städtebaulicher Akzent

Die Gelegenheit, einen städtebaulichen Akzent zu setzen, bot sich beim Neubau des Infopavillons. Er bildet den Abschluss eines langgezogenen Platzes, der an den Waldrand im Südosten der Anlage führt. Wie die übrigen Bauten mit einer schlichten Holzverkleidung versehen, weckt das runde, überhohe Gebäude Assoziationen an einen antiken Tempietto, einen kleinen Rundtempel. Im Innern erinnert die nach oben strebende Dachkonstruktion an eine Kuppel und das naturbelassene Fichtenholz verströmt eine wohnliche Atmosphäre. Auch im Aussenraum sorgt der runde Bau für einen gestalterischen Akzent: Sind die zwölf roten Markisen ausgeklappt, scheint sich das Gebäude wie eine Blüte zu öffnen und es bildet einen deutlichen Kontrast zu den industriellen Bauten in seiner Umgebung.

Die hölzerne Dachkonstruktion und die zentrale Feuerstelle sorgen für Geborgenheit im Innern des Pavillons. (Foto: Hanspeter Schiess)

Beim Pavillon handelt es sich um das einzige Gebäude, bei dem sich die Arbeit von Lukas Imhofs Team nicht auf die Gebäudehülle beschränkte. Aufgrund des besonderen Innenlebens der übrigen Bauten, das vorwiegend aus technischen Anlagen besteht, galt der Fokus der Architekturschaffenden der äusseren Erscheinung der Anlage. Dabei suchten sie nach wenigen, einfachen Mitteln, um eine subtile Ordnung zu schaffen. Die Kläranlage wird sich auch zukünftig an neue Vorgaben und Bedürfnisse anpassen müssen. Dabei soll sich auf dem Areal stets ein stimmiges Ensemble präsentieren.

Doch eines unterscheidet die Anlage des Abwasserverbands Altenrhein bis heute von einer Stadt: der fehlende öffentliche Zugang. Nur wer das massive Eingangstor passieren darf, kann einen Blick in diese besondere Kleinstadt werfen. Aus Sicherheitsgründen und um einen ungehinderten Ablauf der Arbeiten auf dem Gelände sicherzustellen, kann zwischen den Faultürmen und den Klärbecken niemand einen Spaziergang machen. Schade eigentlich – diese Kläranlage bräuchte sich nicht zu verstecken!

«Gutes Bauen Ostschweiz» möchte die Diskussion um Baukultur anregen. Die Artikelserie behandelt übergreifende Themen aus den Bereichen Raumplanung, Städtebau, Architektur und Landschaftsarchitektur. Sie wurde lanciert und wird betreut durch das Architektur Forum Ostschweiz (AFO). Das AFO versteht alle Formen angewandter Gestaltung unserer Umwelt als wichtige Bestandteile unserer Kultur und möchte diese in einer breiten Öffentlichkeit zur Sprache bringen. 

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