Eintauchen mit allen Sinnen

Stefanie Haunschild
26. gennaio 2023
Auf der Nordwestseite des neuen Hallenbads ist im Obergeschoss der Wellnessbereich mit Ruheterrasse angeordnet. Ein Whirlpool im Erdgeschoss ergänzt das Angebot. (Foto: Beni Blaser)

Es ist der Duft, der für die erste Überraschung sorgt. Beim Betreten des im Juni 2022 eröffneten Hallenbads in Appenzell empfängt die Besucherin der zarte Geruch von Nadelholz – nicht das erwartete Chloraroma. Und auch der zweite Eindruck berührt die Sinne: Der typische Schwimmbadlärm fehlt völlig. Beides hängt direkt mit der ungewöhnlichen Konstruktion des Neubaus zusammen. 

Doch zurück: Vor 50 Jahren erhielt Appenzell sein erstes öffentliches Hallenbad. Um die Finanzierung auf die Beine zu stellen, organisierte der örtliche Schwimmclub seinerzeit Seifenkistenrennen und ein Dorffest. Mit Erfolg: Im Juni 1971 konnte der Bau am nordöstlichen Ortsrand eingeweiht werden. Allerdings war ihm kein allzu langes Leben beschieden: 2014 musste das marode Bad aus Sicherheitsgründen geschlossen werden. Bereits 2013 hatten die Verantwortlichen einen Architekturwettbewerb für einen Neubau durchgeführt; dies, nachdem eine Machbarkeitsstudie ergeben hatte, dass eine Instandsetzung nicht verhältnismässig sei. Aus dem Wettbewerb ging das Projekt von Seiler Linhart Architekten siegreich hervor, das die Funktionen doppelgeschossig auf dem Standort des Vorgängers bündelte. Doch die veranschlagten Gesamtkosten von 23.5 Millionen Franken waren zu viel für die Bevölkerung. An der Landsgemeinde im April 2015 bodigte sie das Projekt. 

Wie sorgfältig der Bau konzipiert ist, zeigt sich auch in den Nebenräumen – so sind Spiegel, Ablageflächen und Beleuchtung in den Garderoben in die Konstruktion integriert. (Foto: Beni Blaser)
Auch das zweigeschossige Entrée ist in derselben reduzierten, sorgfältigen Architektursprache ausgeführt. (Foto: Beni Blaser)
Neue alte Wege

Der Wunsch nach einem neuen Bad war aber nach wie vor vorhanden und breit abgestützt. Ein neuer selektiver Projektwettbewerb, diesmal mit einem Kostendach von 20 Millionen Franken, sorgte 2017/18 für einen Neuanfang. Peter Moor Architekten aus Zürich liessen die Konkurrenz mit einem sensiblen, präzis in die Landschaft zwischen heterogenen Wohnbauten und der Sitter eingefügten Volumen hinter sich. Das auf den ersten Blick unkonventionelle Material ihrer Wahl: heimisches Fichtenholz.

Was für ein Schwimmbad zunächst ungewohnt erscheint, ist offenbar für die Architektenschaft nur bedingt exotisch: Schon das Siegerprojekt des Jahres 2013 setzte auf Holz, ebenso wie die drei nächstrangierten Entwürfe des zweiten Wettbewerbs.

Für Peter Moor liegt die Wahl des Materials im Holzland Appenzell auf der Hand: «Der Holzbau hat hier eine lange Tradition. Die Menschen kennen das Material und vertrauen ihm.» Auch die Gemeinde Appenzell als Bauherrschaft zweifelte nicht am potenziell unterhaltsintensiveren Holz. 

Die Fassadenaufteilung des zweigeschossigen Baus ist klassisch: ein umlaufender Betonsockel als Basis, aussenliegende Zwillingsstützen aus Brettschichtholz und ein auskragendes Flachdach als Kapitell. Die Ausfachungen zwischen den Stützen referenzieren gemäss Moor die traditionellen Appenzellerhäuser mit ihren getäferten (und oft bemalten) Wandflächen. Die grossmassstäbliche und schmucklose Anwendung dieses Prinzips auf ein doppelstöckiges Volumen mit einem Fussabdruck von rund 43 mal 45 Metern lässt die Analogie allerdings eher als Inspiration denn als Referenz erscheinen. Was aber nicht stört, denn der Bau im heterogenen Wohn- und Gewerbegebiet strahlt eine fast sakrale Ruhe aus. 

Ebenfalls gelungen ist der Umgang mit Topografie und Landschaft. Während sich die vollständig verglaste Westfassade der Sitter zuwendet, wurde der Küechlimoosbach auf der Südseite des Baus offengelegt, sodass er als natürliches Kneippbecken für den dortigen Saunabereich dienen kann.

Die grosszügig verglaste Südostfassade erlaubt den Schwimmenden im 25-Meter-Becken den Ausblick bis zu den Appenzeller Bergen. Die Gebäudetechnik ist in die Tragkonstruktion integriert. (Foto: Beni Blaser)
Das Kaltwasserbecken ist im Betonkern untergebracht, der sich im Zentrum des Bads befindet. (Foto: Beni Blaser)
Funktionen im Gleichgewicht

Im Innern herrscht die gleiche logische Klarheit: Wie die Flügel einer Windmühle gruppieren sich die einzelnen Funktionen um einen Erschliessungskern, dem auch das Bademeisterbüro und der Kassenbereich zugeordnet sind. Die Garderoben befinden sich im Norden, das Lehrschwimmbecken im Westen und das 25-Meter-Becken im Süden. Grossformatige Fenster erlauben den Blick nach draussen, im Westen auf den Flusslauf der Sitter, auf der Südseite bis in die Appenzeller Berge.

Im oberen Geschoss ist über dem Lehrschwimmbecken ein sorgfältig gestalteter Saunabereich untergebracht, komplettiert durch einen kleineren Aussenbereich mit Sprudelbad an der südwestlichen Ecke des Baus. Zwar gehört Appenzell nicht zu den grossen Schweizer Tourismusdestinationen, doch der Entscheid, das Bad mit einem Wellnessbereich auszustatten, fiel auch in der Hoffnung, damit externe Besucherinnen und Besucher anzuziehen. 

Das kann gelingen. Im Innern besticht das Bad mit einer aussergewöhnlichen Aufgeräumtheit. Zum einen liegt das daran, dass auf typisches Schwimmbadmobiliar weitgehend verzichtet wurde. Sprungtürme etwa sucht man vergebens. Daneben ist es aber auch das Zusammenspiel von Konstruktion, Material und Details, das diese visuelle und auch akustische Ruhe schafft. So sind die Beleuchtung und weitere Installationen in den Raum zwischen den Zwillingsträgern integriert, die Sitzbänke liegen in den tiefen Fensterlaibungen. Gerillte Dreischichtplatten in den Ausfachungen zwischen den Balken sorgen für eine angenehme Akustik. Diese Reduktion auf wenige auf der Konstruktion basierende Elemente zieht sich durch bis in die Garderoben. Kleines Detail am Rande: Selbst die Trainingsuhr zur Zeitmessung bei Schwimmwettkämpfen ist ein Eigenentwurf der Architekten.

Ruheraum im Wellnessbereich mit Blick auf die vorgelagerte Terrasse. Auch die Ruheliegen haben die Architekten entworfen. (Foto: Beni Blaser)
Nicht mehr, aber anders

Und das Holz? Wird es tatsächlich schneller altern als eine konventionelle Plättliverkleidungen? Peter Moor winkt ab: «Der umlaufende Betonsockel reicht bis auf 40 Zentimeter Höhe. Damit können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Boden wie gewohnt abspritzen.» Eine Mitarbeiterin, die schon im Vorgängerbau beschäftigt war, ergänzt: «Wir müssen nicht unbedingt mehr putzen, aber anders, sorgfältiger. Doch das liegt in unserem eigenen Interesse. Wir sind sehr glücklich mit dem neuen Hallenbad.» Was zeigt: Hochwertige Architektur bedeutet nicht unbedingt, teuer zu bauen, sondern die vorhandenen Mittel und Qualitäten gezielt zu nutzen. So kann nicht nur ein Gebäude entstehen, das die Nutzerinnen und Nutzer schätzen, sondern eines, zu dem sie im besten Fall Sorge tragen. 

«Gutes Bauen Ostschweiz» möchte die Diskussion um Baukultur anregen. Die Artikelserie behandelt übergreifende Themen aus den Bereichen Raumplanung, Städtebau, Architektur und Landschaftsarchitektur. Sie wurde lanciert und wird betreut durch das Architektur Forum Ostschweiz (AFO). Das AFO versteht alle Formen angewandter Gestaltung unserer Umwelt als wichtige Bestandteile unserer Kultur und möchte diese in einer breiten Öffentlichkeit zur Sprache bringen. 

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