Machtarchitektur

Juho Nyberg
26. novembre 2014
Ein Zuhause für Shopping-Nomaden: Das Königliche Zelt in Astana. Bild: wikipedia

König Ludwig XIII. Jadgschloss taugte noch wenig zur Vermittlung, wie die überlieferte Aussage von François de Bassompierre zu Beginn des 17. Jahrhunderts zeigt: Das Jagdschloss sei so «ein armseliges Schloss, bei dem nicht mal ein einfacher Edelmann Neid empfindet», so der Diplomat ganz undiplomatisch. Rund 50 Jahre später waren die vom Thronfolger König Ludwig XIV. in Auftrag gegebenen Bauarbeiten in Versailles in vollem Gange und das Resultat derart eindrücklich, dass es zur Blaupause für zahlreiche weitere Prachtbauten wurde.
 
Zwar stand in Versailles nicht primär die Vermittlung eines politischen Weltbildes im Vordergrund, sondern vielmehr der Ausdruck von Macht und Reichtum. Damit steht das Schloss einerseits in der Linie von antiken Prachtbauten – etwa den Triumphbögen des antiken Roms. Andererseits lässt sich diese Linie auch in die Gegenwart verlängern. Moderne Varianten von Prachtbauten verweisen oft auf das technologische und wirtschaftliche Potenzial eines Landes und lassen bisweilen bizarre Gebäude entstehen. In autokratisch regierten Staaten ist mit solchen Projekten oft auch der Herrscher eng verbunden, wie etwa das «Khan Shatyr», zu deutsch Königliches Zelt, in der Kasachischen Hauptstadt Astana belegt. Das von Norman Foster entworfene Ding gilt mit 150 Metern Höhe als das grösste Zelt der Welt und wurde am 70. Geburtstag des Kasachischen Präsidenten 2010 eröffnet. Das formal an eine Jurte, also die traditionelle Behausung der Nomaden aus jener Region, erinnernde Gebilde wird als Konsumtempel genutzt: Shoppingmalls, Kinos und ein Spassbad mit beheiztem Sandstrand finden sich darin.
 
Die politische Komponente des «Königlichen Zeltes» in Astana lässt sich – abgesehen von den offensichtlichen Bezügen zum Präsidenten – also vor allem am Zitieren der Form und des Typs der Jurte festmachen und schafft offensichtliche, leicht verständliche Bezüge zu Traditionen des Landes. Das architektonische Zitat, respektive der Blick zurück ist keineswegs eine Besonderheit kruder Alleinherrscher in entlegenen Winkeln der Welt. In Berlin kam kurz nach der Wiedervereinigung 1990 die Diskussion über einen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses auf, der letztlich in den 2008 entschiedenen Architekturwettbewerb mündete. Nach den Plänen des siegreichen Büros von Franco Stella wird seit letztem Jahr der Neubau vorangetrieben. Zuvor hatte eine detailgetreue Darstellung der historischen Fassade an einem Gerüst als 1:1 Modell die Bevölkerung bereits darauf eingestimmt. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich an diesem Objekt beispielhaft ein ideologischer Konflikt, der in Berlin seit dem Ende des zweiten Weltkrieges mit verschiedenen Mitteln geführt worden ist, und der unsere Sicht auf Architekturstile nachhaltig beeinflusst hat.

Arbeiterpaläste, leicht geschmückt: Wohnhäuser an der Karl-Marx-Allee. Bild: wikipedia

Mit dem Entwurf Hermann Henselmanns für die Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee) in Berlin wurde zu Beginn der 1950er Jahre ein grundlegender Entscheid durch die politische Führung der DDR gefällt: Die Gestaltung der Gebäude sollte sich mit seinen dekorativen Fassaden am «sozialistischen Klassizismus» orientieren. Damit war die architektonisch-ideologische Festlegung erfolgt und das Feld des Dekorativ-Historischen war fortan vom Ostblock besetzt. Für die westliche Welt blieb so gut wie keine Wahl: Als einzige Alternative bot sich die Moderne an, die an der Interbau im Jahr 1957 rigoros umgesetzt wurde. 53 Architekten aus 13 Ländern wurden zu dieser internationalen Bauausstellung eingeladen. Die neuen Maximen der Architektur des Westens jener Zeit fasst Inge Beckel in Werk, Bauen+Wohnen 06/2010 treffend zusammen: «Sachlichkeit, Wissenschaftlichkeit und Objektivität, Reduziertheit und Abstraktion waren zentrale Stichworte westlichen Wollens und Handelns nach 1945.»

War das was? Der Palast der Republik war als Bauzeuge unerwünscht. Bild: wikipedia

Mit etwas Verzögerung hielt die Moderne auch östlich des Eisernen Vorhangs Einzug, davon zeugen etwa das Kino Kosmos oder der Palast der Republik, beide in Berlin. War die Moderne also tatsächlich der International Style, wie von Philip Johnson bereits früher propagiert, und somit global gültig und unabhängig von politischen Weltbildern? Als ununterbrochen dominierend hat sich die Moderne nicht halten können, doch taucht sie immer wieder in unterschiedlich abgewandelter Form auf. Daneben hält sich beständig die Sehnsucht nach Vergangenem – sofern dieses Vergangene nur genug weit zurück liegt. Motivierendes Element dabei mag Nostalgie sein, die gute alte Zeit, auch wenn man sie nur vom Hörensagen kennt.

Manchmal jedoch, so diagnostizierte Claudius Seidl neulich in der FAZ, erinnern solche Bauten auch an Überwundenes. Doch nicht an alles erinnert man sich gleich gerne. Am Ort des bald wiederaufgebauten Stadtschlosses Berlin stand von 1976 bis 2008 der Palast der Republik, in dem in den gut drei Jahrzehnten, als Volksheim konzipiert, politische wie kulturelle Anlässe stattfanden. Im Jahr 2006 lehnte der Deutsche Bundestag insgesamt 880 Einwände gegen den Abriss ab. So wird anstelle eines streitbaren, aber geschichtsträchtigen Gebäudes in wenigen Jahren ein Artefakt, eine Simulation von etwas zu sehen sein, das die Deutungshoheit der Geschichte zum Ausdruck bringen wird. Dieser Arroganz ist wenig entgegen zu setzen. Zumindest scheint das Dekorative und Historische eine Rennaissance zu erfahren, gegen die man sich vor 50 Jahren hatte zur Wehr setzen wollen. Ist es nicht wieder Zeit dafür?

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