Körperarchitekturen

Susanna Koeberle
12. 1月 2023
Installationsansicht der Ausstellung «Exist/Resist» im Museum of Art, Architecture and Technology (Foto: Bruno Lopes)

In der Architektur geht manchmal vergessen, dass der eigentliche Adressat von Bauten der menschliche Körper ist. Der französisch-portugiesische Künstler und Architekt Didier Fiúza Faustino widmet seine Arbeit genau diesem architektonisch etwas vernachlässigten Thema: dem Verhältnis von Körper und Raum. 1968 als Sohn von portugiesischen Einwanderern geboren, wuchs Faustino in einem Vorort von Paris auf. Als Kind war er viel in seinem «Heimatland» und lernte früh zwischen den Welten zu navigieren. 2002 gründete er zusammen mit Pascal Mazoyer das Bureau des Mésarchitectures (ein Wortspiel, das ebenso «Misarchitektur» sowie «meine Architekturen» heissen kann). Seit einigen Jahren hat er zudem auch ein Büro in Lissabon. Seit seiner Abschlussarbeit «Body Building» an einer Pariser Architekturschule im Jahr 1995 hinterfragt der Künstler-Architekt mit seinen Projekten die Standardisierung der heutigen gebauten Umwelt – oder eben ihre glatte und künstlich wirkende «Muskulatur», die in seinen Augen derjenigen eines Bodybuilders gleicht.

Seine zahlreichen Arbeiten umfassen Installationen, Skulpturen, Szenografien, Filme, Publikationen, temporäre Architektur und Bauwerke. Damit lotet er die Grenzen zwischen Design, Kunst und Architektur aus. Die Ausstellung «Exist/Resist» im Museum of Art, Architecture and Technology (MAAT) in Lissabon ist die erste institutionelle Schau, die das beinahe dreissigjährige Werk des Grenzgängers präsentiert. Anlässlich der Ausstellung erscheint auch ein Buch-Manifest bei Lars Müller Publishers. Der Titel der Publikation «Architecture for Disquiet Bodies» bringt Faustinos Suche nach einer «Architektur» zum Ausdruck, die ihre Interaktion mit dem Körper stets mitdenkt. Seine Architekturen sollen eben auch für nomadische, also unruhige Körper funktionieren. Seine Recherche fokussiert dabei auch auf die Rolle des öffentlichen Raums und seine Inbesitznahme durch die Menschen.

Der französisch-portugiesische Künstler und Architekt Didier Fiúza Faustino hat Büros in Paris und Lissabon. (Foto: © Pedro Sadio)

Das MAAT wurde 2016 eröffnet und ist Teil der EDP-Stiftung. Das Museum hat sich der Förderung eines kritischen Diskurses und kreativer Praktiken verschrieben. Diese Ausrichtung soll zu einem neuen Verständnis der Gegenwart und zu einer Auseinandersetzung mit der Zukunft anregen. Der Campus der EDP-Stiftung befindet sich am Flussufer des historischen Stadtteils Belém in Lissabon und umfasst eine Fläche von 38'000 Quadratmetern. Er besteht aus einem umgenutzten Kraftwerk – einem ikonischen Beispiel für Industriearchitektur aus dem Jahr 1908 – und einem neu errichteten Komplex, der von Amanda Levete Architects (AL_A) entworfen wurde. 

Kuratiert von Pelin Tan, schafft die Werkschau «Exist/Resist» eine Art Landschaft im grossen ovalen Raum des neuen Baus. Ein mittig angeordneter, gebauter Korridor mit guckkastenartigen Löchern, in denen Regale stehen, funktioniert dabei als Galerie und analoge Datenbank des vielseitigen Werks von Didier Fiúza Faustino, während die äusseren Zonen installative und interaktive Arbeiten beherbergen. Schon die aparte Szenografie – entworfen durch Faustinos Studio Mésarchitectures – lässt den transdisziplinären Ansatz des Künstler-Architekten erahnen. Zugleich zeigt sich, wie schwierig es ist, seine besondere Rolle innerhalb des Architekturdiskurses in eine räumliche Installation zu übersetzen.

Die Ausstellungsszenografie gliedert den ovalen Raum des Baus von Amanda Levete Architects. (Foto: mit freundlicher Genehmigung der EDP-Stiftung, des MAAT und von Pedra Pina)

Wir besuchten die Ausstellung kurz vor der Eröffnung zusammen mit Didier Fiúza Faustino und der Kuratorin Pelin Tan. Mit seinen erfrischend unprätentiösen Ausführungen schaffte es der Allrounder, seine Denk- und Arbeitsweise zu verdeutlichen. Seinen zuweilen etwas irritierenden Entwürfen ist anzusehen, dass er sich dem Mainstream entziehen will – und zwar sowohl, was die Architektur als auch was die Welt des Designs betrifft. Die vier thematischen Stränge «Housing and Dwelling», «Borders of Bodies», «Design as Resistance» sowie «Antagonism in Public Space» stehen alle mit dem Thema Körper in Verbindung. Architektur sei nie etwas anderes gewesen als die Anordnung oder Positionierung von Körpern im Raum, ist Faustino überzeugt. So gesehen ist alles Architektur, wie das Diktum des Postmoderne-Vertreters Hans Hollein schon sagt. Faustino liegt es allerdings fern, sich formal irgendeiner Schule zuordnen zu lassen, überhaupt geht es ihm nicht um Form an sich, eher um ihre Dekonstruktion – das beweist übrigens auch seine Bezugnahme auf den Künstler und Architekten Gordon Matta-Clark. 

Didier Fiúza Faustino interessieren die Voraussetzungen für eine Architektur, in der Körper und Geist eine Einheit bilden und eben nicht nach der dualistischen kartesianischen Logik operieren. Es ist eine Architektur, die Erfahrungsräume und nicht bloss tote Materie liefert. In diesem Sinne erkunden seine Arbeiten stets auch ideelle Räume. Sie dokumentieren die Realität (etwa seine fotografischen Arbeiten) und erforschen im gleichen Zuge die Grenze zwischen fiktionalen und reellen Bauwerken (wie viele seiner Mischformen von Skulptur und Bauwerk).

Die Arbeit «Stairway to Heaven» (2021) ist einer von Didier Fiúza Faustinos Vorschlägen für den öffentlichen Raum. (Foto: © Didier Fiúza Faustino)

Unsere Welt sei eben komplexer, als wir es uns wünschen würden, sagte Faustino beim Rundgang durch die Schau. Zu dieser Komplexität gehört auch die zunehmende Bedeutung digitaler Räume, die unser Bewusstsein für die physische Realität zuweilen verzerren. Sich künstlerisch mit den Herausforderungen der heutigen Welt auseinanderzusetzen und sie sichtbar zu machen, gelingt ihm etwa durch rätselhafte Objekte, die sich einer klaren Zuordnung entziehen. Wir spüren bei seinen «Behältern» – etwa «Home Suit Home» (2013) – instinktiv, dass es um Grundbedürfnisse des Menschen geht; um unser Bedürfnis nach Schutz, nach einem Zuhause. Und hier sind wir wieder bei der Architektur, die bei Faustino aber zum erweiterten Körper wird, den wir uns durch unsere persönlichen Erfahrungen erst wieder aneignen müssen. Dabei adressiert der Künstler auch politische Themen wie Migration und Flucht. Durch die Verwendung von günstigen Materialien und eine rudimentäre Bauweise wie etwa bei «My First House» (1996), einem seiner frühen Projekte, etabliert er eine Beziehung zu temporären Bauten im Zeitalter von klimabedingter Migration.

Die «Casa en el Cielo» ist ein Haus für drei Familien. (Foto: © Didier Fiúza Faustino)

Die zwei titelgebenden Zeichnungen «Exist» (2016) und «Resist» (2017) benennen, worum es Faustino im Kern geht: um eine existenzielle Form des Widerstands durch kulturelle Artefakte. Er benutzt für seine Arbeiten wiederholt Absperrungen und Gitter, wie sie von der Polizei bei Demonstrationen eingesetzt werden. Die Rückeroberung des öffentlichen Raums geschieht für ihn auch durch eine Geste der Auflehnung. Es ist aber nicht so, dass sich Faustino prinzipiell gegen Architektur wendet, das zeigen beispielhaft zwei der Projekte, die im Buch vorgestellt werden. Die «Casa en el Cielo» (2016) ist ein Haus für drei Familien in Costa Rica, das die Idee einer statischen Architektur an die Grenze treibt. Statt eines festen Daches hat dieses Domizil ein grosses Segeltuch, was ihm etwas Schiffartiges verleiht. «The Good, the Bad and the Ugly» (2022) ist ein Atelier für einen Künstler. Das Gebäude lehnt sich an die Architektur von Fabriken an und reiht zwölf identische Volumen aneinander, die für verschiedene Aktivitäten gedacht sind. 

Was die unterschiedlichen Arbeiten eint, ist das Hinterfragen von Normen, die leider in der Realität viele architektonische Projekte in eine bestimmte Richtung drängen. Viele Architekt*innen werden vor Neid erblassen ob der Freiheit, die sich Faustino mit seinem etwas anderen Verständnis der Disziplin nimmt. Doch seine radikale Art, mit den Mitteln von Design und Architektur selbige zu verändern, führt uns das transformative Potenzial der menschlichen Kreativität vor.

 

Architecture for Disquiet Bodies

Architecture for Disquiet Bodies
Christophe Le Gac (Hrsg.)

210 × 280 Millimeter
352 ページ
214 Illustrations
Hardcover
ISBN 9783037787120
Lars Müller Publishers
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