Raumplanung und Baugesetze in der heutigen Zeit

Juho Nyberg
27. september 2018

Zur Abstimmung über die Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG) vor fünf Jahren gingen die Wogen hoch. Während die Gegner der Revision mit «Horrormieten auf engstem Raum» und Hongkong-artigen Hochhauskulissen hinter der Zürcher Altstadt Stimmung zu machen versuchten, setzten die – letztlich erfolgreichen – Befürworter auf die schützenswerte Landschaft als Argument. Gleich eingangs des neuen RPG sind die «Siedlungsentwicklung nach innen» und «kompakte Siedlungen» als Kernanliegen definiert. Daraus folgend müssen die kantonalen Richtpläne Landreserven für die kommenden 15 Jahre festlegen, dies auch in Lage und Grösse. Die Frist zur Überarbeitung der Richtpläne läuft Ende dieses Jahres aus, die sich daraus wiederum ergebenden Überarbeitungen der Bau- und Zonenordnungen werden nach Schätzungen des Bundes bis zu zwanzig Jahre beanspruchen. Es geht also noch eine gute Weile, bis die neuen Regelungen auf allen Ebenen und Gemeinden greifen werden.

Aufgabe des Architekten
Doch sind die vorhandenen, wenn auch überarbeiteten Instrumente überhaupt geeignet, die vorgegebenen Ziele zu erreichen, unsere Landschaft zu schützen und dazu in den zu verdichtenden Orten qualitative und ansprechende Lebensräume zu schaffen? Gregory Grämiger, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) an der der ETH Zürich hat sich in seiner Publikation «Baugesetze Formen» kritisch mit der Schweizer Baugesetzgebung und der Raumplanung auseinandergesetzt. Er sieht die Architekten in der Pflicht, sich vermehrt und stärker in die Diskussion um Städtebau und Raumplanung einzubringen. Ja, er hält gar fest, dass sie ihre Aufgabe nicht wahrgenommen hätten.

Falsche Lehre
Bereits im Vorwort der Publikation kommt Harry Gugger rasch auf den Punkt, indem er Grämiger zitiert: «Architekten nehmen ihren gesellschaftspolitischen Auftrag nur ungenügend wahr. (…) Anstatt sich aktiv in den Diskurs der Landesplanung einzubringen, (…) tun Architekten das, was sie am liebsten tun: bauen.» Starker Tobak, den Gugger immerhin leicht entschärft, in dem er den Architektinnen und Architekten zugute hält, das Bauen sei vor allem das, wozu sie erzogen worden seien – eine feine Anklage an die Hochschulen also. Die Gewichtung liege zu sehr auf der «ästhetischen Dimension» und zu wenig auf dem Einbinden ins Umfeld, das wohlgemerkt mehrdimensional ist: sozioökonomisch, ökologisch und kulturell. Zu einfach sei die Lehre, indem sie eine klar definierte Aufgabe zur Lösung vorlege, anstatt in bester akademischer Weise die Diskussion und Synthese der Problem- und Aufgabenstellung den Studentinnen und Studenten zu überlassen. Eine einleuchtende Kritik, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit den vorhandenen Grundlagen erzwingen und damit bereits im Vorfeld ein grösseres und breiteres Verständnis fördern würde.

Winterthur vor der Industrialisierung: Siegfriedkarte 1881. Bild: via wikipedia

Historische Entwicklung
Geschichtlich gesehen hat die Siedlungsentwicklung eine gewisse Pendelbewegung vollzogen: historische Orte wurden «als kompakte Siedlungen konzipiert, um das umliegende Acker- und Weideland zu erhalten und zu bewirtschaften». Gestaltung und Entwicklung solcher Orte basierten auf gemeinschaftlich festgelegten Prinzipien, waren also ein gebautes Abbild der Dorfgemeinschaft. Im Zuge der Industrialisierung wuchsen die Städte durch die Zuwanderung der Arbeiter in teilweise rapidem Tempo. Die Erarbeitung von Bebauungsplänen wurden zum Teil arbeitsteilig zwischen Ingenieuren – für die Strassenverläufe – und Architekten – für die Bebauung der einzelnen Parzellen – ausgeführt, teilweise wurden auch Wettbewerbe durchgeführt. Sie boten Architekten, die nicht einverstanden waren mit der Arbeitsteilung zwischen Ingenieur und Architekt, mehr Einfluss auf die Gesamtgestaltung. Der Disput zeigte sich auch in den zwei grundsätzlich unterschiedlichen Bebauungstypen von Blockrandsiedlungen respektive aufgelockerten, durchgrünten Siedlungen. So führte die Stadt Zürich zur Jahrhundertwende den ersten Zonenplan ein, die die Bauweise der einzelnen Zonen regelte. Ein anderes Planungsinstrument wurde 1926 in Winterthur eingeführt: um die Trennung von Wohn- und Industriegebieten zu regeln, trat der erste Nutzungszonenplan der Schweiz in Kraft. Grämiger belegt die Ursprünge der Planungsinstrumente aus dieser Zeit eindrücklich. Die aktuelle Entwicklung zu mehr Verdichtung entspricht in ihrem Motiv weitgehend dem oben erwähnten, nämlich dem Schutz der Landschaft – wenn auch nicht mehr aus primär landwirtschaftlichen Motiven.

Dass die Hoheit der Gestaltung von Bauordnungen auf der Ebene der Gemeinden belassen wird, sieht Grämiger als einen «föderalistischen Kompromiss zugunsten der ländlichen Gemeinden», nicht zuletzt der Mehrheit wegen. Nur ungenügend kümmerte sich der Bund um eine Raumplanung, schuf auch lange keine rechtlichen Grundlagen hierzu. Stattdessen wurde das Strassennetz fleissig ausgebaut, was logischerweise eine dezentrale Bautätigkeit ist und deren Konsequenz, die Zersiedelung der Landschaft, bis heute anhält. Eine weitere Hemmung für eine übergeordnete Gesetzgebung sieht der Autor darin, dass die Raumplanung immer in der Schnittmenge von privatem und öffentlichen Recht agiert. Die Enteignung bildet hier den Extremfall ab.

Sempach. Bild: Manuel Pestalozzi

Alte Instrumente - neue Herausforderungen
Während also die Werkzeuge zur Steuerung der Bautätigkeit und Raumplanung historisch gewachsen sind und jeweils nur revidiert werden, entstehen im Alltag ständig neue Herausforderungen, die diese Instrumente gar nicht bewältigen können. Es ist also an der Zeit, von Grund auf neu zu denken. In einer Aufzählung guter Beispiele führt Grämiger sowohl gelungene auf, wie auch solche, die letztlich nicht das Plazet des Stimmvolks erhalten haben. Ob sie ihrer Zeit voraus waren?

Die Gemeinde Sempach im Kanton Luzern hat 2017 den Wakkerpreis erhalten für die «sorgfältige und zeitgemässe Weiterentwicklung ihrer historischen Ortskerne von nationaler Bedeutung und für die breit verankerte Diskussionskultur über das Bauen und Planen in der Gemeinde.» Besonders den Diskurs hebt auch Grämiger hervor, gelingt es doch so, auch bei den Bewohnerinnen und Bewohnern ein Verständnis für den Bestand und die Architektur zu entwickeln. Das Planungs- und Baugesetz des Kantons Luzern lässt Ausnahmen von Spezialzonen unter bestimmten Voraussetzung zu, und genau dies macht sich Sempach zunutze. So folgt – vereinfacht gesagt – die Zonierung dem Entwurf, und nicht umgekehrt. Der Erfolg zeigt sich schon alleine darin, dass bisher alle vorgelegten Projekte (und die damit verbundenen Nutzungsplanänderungen) vom Stimmvolk gutgeheissen worden sind.

Ein ebenso spannendes, wenn auch leider nicht realisiertes Konzept ist der Entwurf des Zonenplans für die Gemeinde Glarus Nord. Ausgangslage war die Zusammenlegung von acht Gemeinden zu einer einzigen. Die alten Reglemente sollten durch ein neues ersetzt werden. Das aus Peter Märkli, Rita Illien und dem Raumplanungsbüro STW bestehende Team nahm die Landschaft als grundlegendes, zu schützendes Gut zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. So wurden knappe Überbauungsziffern festgelegt, markante Strassenzüge mit Pflichtbaulinien versehen. Autoabstellplätze sollten in den Bauten untergebracht sein und Terrassierungen als Bauten behandelt werden. Bei der ausserordentlichen Gemeindeversammlung im Herbst 2017 wurde die Zonenplanung jedoch mit drei Vierteln der Stimmen verworfen.

Vorbildlich: Wakker-Preisträger 2011. Bild: ouest-lausannois.ch

Neue Ideen
In seinem Fazit kommt Grämiger zum Schluss, dass die Ideale – und also Fundamente – der geltenden baulichen Gesetzgebung veraltet sind. Der aktuelle Auftrag der Gesellschaft ist der Schutz der Landschaft, die Mittel dazu sind die eingangs erwähnten: Entwicklung nach Innen und Verdichtung. So weit, so gut. Doch leider ist die allgemeine gesellschaftliche Haltung ebenso stark ausgeprägt, dass diese notwendige Verdichtung doch bitte nicht in der eigenen Umgebung geschehen soll. NIMBY: Not In My Back Yard!

Den Föderalismus versteht Grämiger als Chance, sofern er richtig eingesetzt wird: für die Erhaltung und gar Förderung von regionalen Identitäten ist sie unabdingbar. Über der tradierten föderalistischen Struktur – den Gemeinden – liegt heute jedoch eine aktuelle Folie, die durch die Mobilität und Entwicklung der Agglomerationen andere Zusammenhänge und Grenzen geschaffen hat. Deshalb ist eine bisweilen auch Gemeindegrenzen überschreitende Zusammenarbeit notwendig. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Wakkerpreisträger von 2011: Ouest lausannois, insgesamt neun Gemeinden, die eine koordinierte Gebietsentwicklung angestossen haben.

Gefordert sind zuallererst jedoch die Architektinnen und Architekten. Sie sollen Probleme aufzeigen und Ideen entwickeln, «die Gemeinden an die Hand nehmen, ihnen die Qualitäten ihres Ortes aufzeigen». Sie sollen als architecte citoyen agieren, sich also der Bedeutung ihrer beruflichen Rolle auch im gesellschaftlichen Kontext als Bürgerin und Bürger bewusst sein und sie auch wahrnehmen. «Baugesetze sind veränderbar!», ruft Grämiger uns zu und fordert uns auf zu öffentlichem Einsatz für eine hohe Qualität und auch hierzu: Gesetzteslücken finden, Paragrafen verbiegen. Klingt nach einer aufregenden Aufgabe – los geht’s!

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