Objekte, die die Sinne berühren

Susanna Koeberle
26. september 2022
Die Ausstellung «Raw Senses» versammelt eine grosse Bandbreite an Arbeiten. (Foto: Maurice Haas)

«Raw Senses» nennen Heinz Caflisch und Fabio Hendry ein Ausstellungsformat, mit dem sie handwerklich gefertigten und künstlerischen Artefakten eine Bühne bieten möchten. Zurzeit sind über 100 Arbeiten von mehr als 50 Gestalter*innen aus der Schweiz und dem Ausland in einem unterkellerten Raum an der Bäckerstrasse in Zürich zu sehen. Die Ausstellung beweist, wie sinnlich und vielgestaltig solch experimentell gestaltete Objekte sein können, sei es die Materialien oder die Formensprache betreffend. Und sie führt vor, wie lebendig das freie Designschaffen auch hierzulande ist – trotz mangelnder Wahrnehmung seitens eines grösseren Publikums. Caflisch, Architekt und Inhaber der Galerie Okro in Chur, und Hendry, Designer von Hot Wire Extensions, wollen mit «Raw Senses» zeigen, dass Design eben nicht auf seriell und industriell produzierte Entwürfe zu reduzieren ist. Denn viele Produktdesigner*innen arbeiten nebenbei an freien Projekten; einzelne unter ihnen haben sich ganz dem Handwerk verschrieben.

Die grosse Vielfalt an Materialien und Formensprachen ist beeindruckend. (Foto: Maurice Haas)

Fabio Hendry hat mehrere Jahre in London gelebt und erzählt bei unserem Besuch, dass er die Londoner Gestalter*innen als experimentierfreudiger und unbekümmerter erfahre als die hiesige Szene, bei der immer alles in geregelten Bahnen ablaufen müsse. Natürlich spielt dabei der finanzielle Druck eine Rolle, denn die Schweiz ist ein teures Pflaster. Doch das kann man von London auch behaupten. Die britischen «Makers» scheinen stärker von der Materie als solcher auszugehen statt von einer Skizze oder einem CAD-Modell. Man probiert einfach mal aus, das Endprodukt an sich steht nicht im Vordergrund. Das hat eher etwas von einem künstlerischen Ansatz.

Allerdings ist auch in der Schweiz insbesondere bei der jüngeren Generation von Architekt*innen und Designer*innen vermehrt das Interesse an Lowtech-Methoden zu beobachten, also an Materialität und Handwerk. Die so entstehenden Bauten oder Objekte mögen vielleicht zeitintensiver in der Herstellung sein, doch sie sind zugleich auch langlebiger und nachhaltiger. Spannend ist auch der Trend zu einer stärkeren Vernetzung unter den Disziplinen. In der Schau gibt es auch einige Arbeiten von Architekt*innen und Stücke, die das Resultat einer Kollaboration zwischen mehreren Expert*innen sind.

Zu sehen sind sowohl Objekte von Newcomern als auch solche von bekannten Gestalter*innen. (Foto: Maurice Haas)

Die Mischung von bekannten Namen und Newcomern ist erfrischend und vermittelt einen guten Eindruck von der Vielfalt unterschiedlicher Techniken und Arbeitsweisen. Einige Arbeiten aus Keramik – etwa die wunderschönen Stücke von Maria Roy, Céline Arnould oder Attua Aparicio – sind zu sehen, doch auch die Werkstoffe Holz, Metall, Stoff, Stein, Metall oder Glas sind vertreten. Zwei Objekte von Céline Gabathuler zeigen paradigmatisch, wie Funktionalität und skulpturale Erscheinung  zusammengehen können. Die Designerin forscht unter anderem zu Eigenschaften und Verhalten von Materialien und arbeitet regelmässig mit Wissenschaftler*innen zusammen. Ihr Schleifstein «The Beginner» besteht aus zwei unterschiedlichen Steinarten, die in Kombination mit Wasser das Schleifen von Klingen ermöglichen. Das Objekt könnte locker als Kunstwerk durchgehen.

Die Schau macht deutlich auch, wie schmal der Grat zwischen Kunst und Design ist, wobei das Thema «Einheit der Künste» eigentlich nichts Neues ist. Schon die Wiener Secession wollte Ende des 19. Jahrhunderts den Kunstbegriff revolutionieren und verstand das Handwerk als Teil der Kunstproduktion. Der hohe Stellenwert von Kunsthandwerk ist bis heute in Österreich, aber auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder Belgien zu spüren. In der Schweiz ist dieses Verständnis von Gestaltung nicht so ausgeprägt, das Handwerk wird eher als rurale Praxis wahrgenommen. Diese Feststellung soll keine Wertung sein, sie zeigt vielmehr, dass es noch einer gewissen Überzeugungsarbeit bedarf, um die Wertschätzung für diese Art von Erzeugnissen zu festigen. Es sind Ausstellungen wie «Raw Senses», die für interdisziplinäres und experimentelles Kreativschaffen sensibilisieren.

Die Ausstellung (Bäckerstrasse 26, 8004 Zürich) ist noch bis zum 8. Oktober zu sehen. Sie ist am 28., 29. und 30. September, am 1. und 2. Oktober sowie vom 6. bis zum 8. Oktober von 14 bis 19 Uhr geöffnet. Am 30. September findet ein Apéro mit einer Soundperformance von Sofia Boarino statt (Apéro von 19 bis 24 Uhr, Performance von 20 bis 21 Uhr). Ebenfalls sind Besichtigungstermine nach Vereinbarung möglich ([email protected]).

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