K.118 – eine Pionierleistung für das zirkuläre Bauen

baubüro in situ
8. setembro 2022
Die Fassade der Aufstockung am Lagerplatz besteht aus roten Blechen, die vormals an einem Gebäude in Winterthur verbaut waren. Inzwischen wurde das richtungsweisende Projekt mit dem Global & European Holcim Award for Sustainable Construction ausgezeichnet. (Foto: Martin Zeller © baubüro in situ)
Herr Hentschel, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Unsere Aufgabe bestand darin, eine bestehende Lagerhalle am Lagerplatz in Winterthur aufzustocken. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, mit der bestehenden Gebäudestruktur zu arbeiten und ausschliesslich bereits vorhandene Bauteile aus Rückbauten zu verwenden. Der Planungsprozess hat sich dadurch umgekehrt: Wir begannen bei der Materialsammlung. Im Laufe unserer Suche musste der Entwurf fortwährend angepasst werden, je nachdem, welche gebrauchten Teile aufzutreiben waren. Zudem mussten alle Elemente ausgemessen, inventarisiert und kategorisiert werden, denn um mit ihnen zu arbeiten, brauchten wir möglichst genaue Informationen.

Schlussendlich haben wir Platz für zwölf neue Denkstuben, Werkräume und Ateliers geschaffen. Diese sammeln sich auf jedem Stockwerk um eine Gemeinschaftsküche. Jedes Geschoss ist über den Lift und die Aussentreppe erreichbar sowie mit Sanitärräumen und grosszügigen Balkonlauben ausgestattet.

Das Sulzer-Areal ist das erste grosse Industriegebiet der Schweiz, das für eine neue Nutzung umgestaltet wurde. Der Lagerplatz ist ein Versuchslabor für das Bauen im Bestand. (Foto: Martin Zeller © baubüro in situ)
Die Aussentreppe aus Stahl stammt vom ehemaligen Bürogebäude Orion in Zürich. (Foto: Martin Zeller © baubüro in situ)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Aktuell produziert die Bauwirtschaft eine riesige Menge an Abfall. Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft gibt es noch nicht. Wir möchten helfen, das zu ändern. Unser Ziel ist es, Gebäude und Gebäudeteile weiterzuverwenden, statt sie zu verschrotten. Das dient dem Werterhalt und reduziert Emissionen signifikant. Konkret konnten wir den CO2-Fussabdruck in der Erstellung um 60 Prozent gegenüber einem vergleichbaren konventionellen Neubau verringern.

Auf jedem Stockwerk sind die Denkstuben, Werkräume und Ateliers je um eine Gemeinschaftsküche organisiert. (Foto: Martin Zeller © baubüro in situ)
Foto: Martin Zeller © baubüro in situ
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Das Sulzer-Areal ist ein besonderer Ort: 1988 entschied die Firma, ihren Produktionsstandort in der Stadt aufzugeben. Dieses Ende war zugleich der Startschuss für eine bis dahin einzigartige Entwicklung: Als erstes grosses Industriegebiet der Schweiz wurde das 220'000 Quadratmeter grosse Gelände transformiert. Heute befinden sich dort Wohnungen, Büros, Geschäfte, Restaurants und Ausbildungsstätten. Der Lagerplatz auf dem Areal ist ein Versuchslabor für das Bauen im und mit dem Bestand. Es war rasch klar, dass an einem solchen Ort ein Pionierprojekt für das zirkuläre Bauen entstehen soll.

Foto: Martin Zeller © baubüro in situ
Foto: Martin Zeller © baubüro in situ
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Die Bauherrschaft hat uns die Aufgabe gestellt, ein einfaches Atelierhaus zu entwerfen, das durch die Nutzer*innen ausgebaut werden kann. Sie hat sich von Anfang an gemeinsam mit uns auf das Experiment eingelassen. Ihre Bedingung war, das Gebäude kostenneutral mit einem vergleichbaren Neubau zu erstellen. Zudem sollte das Projekt wissenschaftlich begleitet werden. Aspekte wie Vorgehen, Ökonomie und Ökologie wurden in Zusammenarbeit mit der ZHAW dokumentiert, woraus das Buch «Bauteile wiederverwenden – Ein Kompendium zum zirkulären Bauen» entstanden ist.

Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Wie eingangs angedeutet, musste der Entwurf immer wieder angepasst werden, denn die gebrauchten Teile wurden «as found» verbaut. Die rote Fassade besteht aus Trapezblechen, die vormals zu einer Druckerei in Winterthur gehörten. Jedes der Aluminium-Isolierfenster sieht anders aus, denn alle waren bereits in anderen Häusern verbaut. Konstruiert wurde die Aufstockung schlussendlich aus Stahlträgern, die einst zur Coop-Verteilzentrale auf dem Lysbüchelareal in Basel gehörten. Aussen führt eine Treppe empor, die früher am Zürcher Bürogebäude Orion verbaut war. Von dort kommen auch die Granitfassadenplatten, die wir neu zu Gehbelägen auf den Balkonlauben umfunktioniert haben. 

Neben wiederverwendeten Bauteilen haben wir auch natürliche Materialien wie Lehm, Holz und Stroh eingesetzt. Sie werden wie auch die alten Baustoffe mit minimalem Energieaufwand verarbeitet und garantieren ein exzellentes Raumklima.

Neben wiederverwerteten Bauteilen wurden auch natürliche Materialien wie Lehm, Holz und Stroh verbaut. (Foto: Martin Zeller © baubüro in situ)
Die Träger der Stahlkonstruktion gehörten einst zur Coop-Verteilzentrale auf dem Lysbüchelareal in Basel. (Foto: Martin Zeller © baubüro in situ)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Inzwischen wurde die Aufstockung mit dem Global & European Holcim Award for Sustainable Construction ausgezeichnet. Das Projekt erhält viel Aufmerksamkeit und wird von vielen als richtungsweisend für die Entwicklung einer umweltfreundlichen und ressourcenschonenden Architektur angesehen. Das erfüllt uns natürlich mit Stolz. Für unser Büro ist das Bauwerk sicherlich ein bedeutender Meilenstein.

Situation
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss 2. Obergeschoss
Grundriss 3/4 Obergeschoss
Schnitt A
Schnitt B
Bauwerk
Kopfbau Halle 118
 
Standort
Lagerplatz 24, 8400 Winterthur
 
Nutzung
Gewerbe- und Atelierräume
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Stiftung Abendrot, Basel
 
Architektur
baubüro in situ ag, Zürich
Marc Angst, Benjamin Poignon und Pascal Hentschel
 
Fachplaner
Oberli Ingenieurbüro AG, Winterthur
Urs Oberli
Russo Haustechnik-Planung GmbH, Winterthur
Nicola Grabiele
 
Jahr der Fertigstellung
2021
 
Gesamtkosten BKP 0–5
CHF 5,25 Mio.
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer 
Zehnder Holz und Bau, Winterthur
Andreas Frieden
Wetter AG, Stetten
Marc Kreissig
  
Auszeichnung
Prix Acier 2021 Anerkennung
Holcim Award for Sustainable Construction – Global & European Gold Winner
 
Fotos
Martin Zeller

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