Eishockey als Traumtheater

Falk Jaeger
19. janeiro 2023
© Swiss Life Arena by Caruso St John; Foto: Philip Heckhausen

Caruso St John Architects – der Name des Architekturbüros klingt in London anders als in Zürich. Adam Caruso und Peter St John, die ihr gemeinsames Büro 1990 in London gründeten, haben sich dort als Baukünstler im Museums- und Galeriebereich sowie als Protagonisten unter den Abbruchgegnern profiliert, als Meister im Umgang mit existierender Bausubstanz. Nichts wegwerfen, aus allem etwas machen, ist das Credo, das sie im Kleinen verfolgen, das aber auch für richtig grosse Bestandsbauten Anwendung findet, etwa bei dem monumentalen Lagerhaus Veemgebouw aus dem Jahr 1943 in Eindhoven oder dem 50 Jahre alten Bürogebäude Royal Belge im belgischen Watermaal-Bosvoorde. Und diesem waren sie auch in Zürich bei der Revitalisierung und Aufstockung eines unscheinbaren Verlagsgebäudes in der Erikastrasse gefolgt.

Doch in Zürich stehen auch richtig grosse Neubauten, errichtet vom Zürcher Zweigbüro unter der Leitung der Büropartner Michael Schneider und Florian Zierer, und zeigen eine andere Facette des Büros: ein 13-geschossiger Komplex an der Europaallee aus dem Jahr 2013 (sicher das qualitätvollste Gebäude des bahnhofsnahen Entwicklungsprojekts), der 2018 fertiggestellte Bau der St. Jakob Stiftung, ein sechsgeschossiges Bürogebäude am Escher-Wyss-Platz (2020) und nun die Eissporthalle der ZSC Lions, des örtlichen Swiss-League-Clubs.

Der Grossbau für 12'000 Besucher liegt am Westrand der Stadt, dort wo zwischen Limmat, Autobahn und Gleisanlagen die Gewerbegebiete in Sportfelder und «Familiengärten» auslaufen. Von den Kleingärten wurden 2,5 Hektar geopfert, um Platz zu schaffen für die neue Arena.

Das neue Stadion befindet sich an Zürichs westlichem Stadtrand zwischen Bahnanlagen und der Autobahn, Kleingärten und der Limmat. (© Swiss Life Arena by Caruso St John; Foto: Philip Heckhausen)
© Swiss Life Arena by Caruso St John; Foto: Philip Heckhausen

Wer sich vom Bahnhof Altstetten her kommend der Halle nähert, wird zunächst nach dem Eingang suchen. Das gilt vor allem für die Gästefans, die sich zur Rückseite begeben sollen. Die Architekten haben darauf verzichtet, die Eingangssituation bautypologisch deutlich auszuformulieren. An den Stirnseiten finden sich auf ganzer Länge der Fanshop einerseits und das feine Restaurant «Zett» sowie die raue «Sportsbar 1930» andererseits.

Die Spielfläche liegt quer im Gebäude. Das ist ungewöhnlich, eröffnet jedoch Freiheiten bei der Organisation der peripheren Geschossflächen. (© Swiss Life Arena by Caruso St John; Foto: Philip Heckhausen)
© Swiss Life Arena by Caruso St John; Foto: Philip Heckhausen

In das Foyer der Eishalle führen schlichte Türen entlang der Längsseiten an der Querstrasse. Ein Grund dafür ist, dass die Spielfläche ungewöhnlicherweise quer im Gebäude liegt, was aber Freiheiten bei der Organisation der peripheren Geschossflächen eröffnet, zum Beispiel für das Trainingseisfeld mit Platz für 300 Zuschauer. Die oberen Ränge haben direkte Ausgänge zu einer grossen Terrasse auf dem Dach des Parkhauses, die für Pausen zur Verfügung steht und von der aus breite Freitreppen die Entfluchtung hinab zur Strasse gewährleisten. Gegenüber der Terrasse liegt die Swiss Life Lounge mit eigener Gastronomie für 1200 Gäste von entsprechendem Status. Ein Geschoss höher sind – über erstaunlich nüchterne Gänge – die Logen für VIPs und Premiumgäste zu erreichen.

Wie im ganzen Gebäude ist hier auf Gestaltung wenig Augenmerk gelegt. Das beginnt mit dem Konstruktionssystem. Bei grossen Hallenbauten wird das Haupttragwerk meist als ingenieurtechnischer Leckerbissen und als Gestaltungsmerkmal ausgebildet, um einen zeichenhaften Baukörper mit Wiedererkennungswert zu generieren. Die Swiss Life Arena muss wie jede Industriehalle mit einem pragmatischen Stahlfachwerktragsystem auskommen, das zudem im Bereich der Lounge durch den Feuerschutz überdimensioniert im Weg steht.

Die gestaltende oder zumindest ordnende Hand fehlt auch bei allen Installationen. Es muss nicht Hightech-Design sein, aber Gestalt und Verlauf grossvolumiger Lüftungsanlagen und Kabeltrassen überall an den Decken kann man in dieser Dimension nicht den Installationsfirmen überlassen. So zeigt das Innenleben der Arena anschaulich, dass den Architekten dieser Part aus der Hand genommen war.

Die überall sichtbaren Installationen sind ohne gestalterische Ambition angelegt. Den Architekten war diese Aufgabe aus der Hand genommen. (© Swiss Life Arena by Caruso St John; Foto: Philip Heckhausen)
© Swiss Life Arena by Caruso St John; Foto: Philip Heckhausen
Aufwendig gestaltet ist hingegen die Fassade aus weissem Beton. (© Swiss Life Arena by Caruso St John; Foto: Philip Heckhausen)

Verständlich also, dass sie sich so ungewöhnlich intensiv mit der Fassade beschäftigt haben. Als «Theater of Dreams» sehen sie die Arena etwas euphemistisch, wählten deshalb für die Gestaltung das (Theater)Vorhangmotiv und ummantelten das gesamte Gebäude mit diesem Faltenwurf, der sich auch um die grossen Bullaugenfenster schmiegt. Das Erstaunliche daran: Es handelt sich bei den profilierten Platten nicht um vorgehängte Fertigteile, sondern um tragende Wände aus weissem Beton, denn die Arena ist bis auf das Dachtragwerk ein Ortbetonbau!

So strahlt das Erscheinungsbild des weiss schimmernden, abends farbig angeleuchteten Gebäudes zumindest aussen eine gewisse Festlichkeit aus, die signalisiert, dass im Inneren nicht nur Eishockey, sondern andere Sportarten wie Handball, Tennis und Hockey, aber auch TV-Shows sowie – dank der Business Facilities und des hochwertigen gastronomischen Angebots – auch Firmenanlässe und kulturelle Ereignisse stattfinden.

In den Abendstunden wird das Gebäude farbig angeleuchtet. (© Swiss Life Arena by Caruso St John; Foto: Philip Heckhausen)
© Swiss Life Arena by Caruso St John; Foto: Philip Heckhausen

Vielleicht haben sich Caruso und St John die Realisierung ihres Wettbewerbsgewinns anders vorgestellt. Jedenfalls möchten sie es dabei belassen: «Eigentlich wollen wir gar keine Neubauten mehr machen», sagt Adam Caruso. Spannender finden sie ohnehin den Umgang mit der Baugeschichte. So ist Band 1 der Büromonografie mit den ersten 15 Jahren «Caruso St John – Collected Works», eben bei Mack erschienen, eine Ode an den Zauber des Alltäglichen. Das Buch fokussiert den Blick auf das Vorhandene und zeigt, wie «gebrauchte» Bausubstanz zum Sprechen gebracht werden kann und wie daraus neu empfundene Räume entstehen. Auf diesem Weg wollen Adam Caruso und Peter St John voranschreiten – und haben ihr Zürcher Büro schon mal halbiert. 

Situation (© Swiss Life Arena by Caruso St John)
Grundriss Erdgeschoss (© Swiss Life Arena by Caruso St John)
Grundriss 1. Obergeschoss (© Swiss Life Arena by Caruso St John)
Grundriss 3. Obergeschoss (© Swiss Life Arena by Caruso St John)
Grundriss 4. Obergeschoss (© Swiss Life Arena by Caruso St John)
Grundriss 7. Obergeschoss (© Swiss Life Arena by Caruso St John)
Längsschnittperspektive (© Swiss Life Arena by Caruso St John)
Querschnittperspektive (© Swiss Life Arena by Caruso St John)
Collected Works: Volume 1 1990–2005 Caruso St John

Collected Works: Volume 1 1990–2005 Caruso St John
Caruso St John Architects

220 x 226 Millimeter
416 Páginas
ISBN 978-1-913620-76-9
Mack
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Professor Dr.-Ing. Falk Jaeger ist Architekturkritiker in Berlin und schreibt für die Fach- und Tagespresse im In- und Ausland. Er unterrichtete als ausserplanmässiger Professor Architekturkritik und -theorie an der TU Dresden und war Chefredaktor der Bauzeitung. Im Laufe seiner Karriere hat er zahlreiche Publikationen zu Architektur-Themen vorgelegt und an verschiedenen Hochschulen gelehrt. Für seine Arbeit als Autor wurde er mehrfach ausgezeichnet.

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