Daheim statt im Heim

Bob Gysin Partner
31. August 2023
Die Holzfassade und der mineralische Sockel des neuen Wohnhauses knüpfen an die lokale Baukultur an. (Foto: Roger Frei)
Herr Barberini, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Das Gebäude verkörpert den Spruch «Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile». Es war von entscheidender Bedeutung, ein Wohnhaus zu schaffen, das sich nicht wie eine Pflegeinstitution anfühlt, sondern ein echtes Zuhause für Menschen jeden Alters mit kognitiven, psychischen oder physischen Beeinträchtigungen ist. Hierfür wurde auf städtebaulicher Ebene auf eine gute Anbindung an die Bestandsbauten ringsherum und eine selbstbewusste Integration in die umliegende Landschaft geachtet. Gleichzeitig wurden stimmungsvolle Wohngruppen geschaffen, die langfristig flexibel gestaltbar sind. Ausserdem kamen Materialien zum Einsatz, die durch ihre Verarbeitung die Handwerkstradition in den Fokus rücken.

Blick in eines der Zimmer der Bewohnenden. Holzoberflächen tragen dazu bei, dem Raum eine behagliche Atmosphäre zu verleihen. (Foto: Roger Frei)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Der Ort wird durch bauliche Zeugen aus unterschiedlichen Epochen, deren weilerartige Anordnung sowie durch die weiten Felder und das Bergpanorama geprägt. Der Entwurf reagiert mit seiner facettierten Erscheinung auf die Umgebung und bildet durch die Anordnung der vier Volumen räumliche Schwerpunkte im Aussen- und Innenraum aus. Aussen entstehen ein Hauptplatz und diskrete Seiteneingänge, während im Inneren Rundläufe und gemeinschaftliche Räume klassische Korridorflächen ersetzen. Die Holzfassade und der mineralische Sockel knüpfen an die regionale Bautradition an.

Die Prämissen Wohnlichkeit und Wertigkeit begleiteten das Projekt von Anfang an. Sie prägen die Gestaltung aller Räume. (Foto: Roger Frei)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Von Anfang an war es das Ziel der Bauherrin – der Gemeinde Stans –, einen wertigen Holzbau zu erstellen. Dank dieser Haltung und der konstruktiven Zusammenarbeit zwischen der Gemeinde, dem Betrieb und dem Planerteam konnte ein Bau realisiert werden, der die Prämissen der Wertigkeit und der Wohnlichkeit sowie die Bedürfnisse der unterschiedlichen Nutzer in hohem Masse erfüllt.

Geschützte Aussenräume mit Ausblick ergänzen das reiche Angebot an Aufenthaltsorten. (Foto: Roger Frei)
Die sichtbare Konstruktion erforderte eine frühzeitige Detailplanung und eine hohe konzeptuelle Stringenz. (Foto: Roger Frei)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Das Haus reiht sich insofern in unsere Baubiografie ein, als dass wir bei jedem unserer Projekte in Sachen Nachhaltigkeit einen Schritt weiter gehen möchten. In diesem Fall stehen einerseits die Auseinandersetzung mit nachwachsenden Materialien und die Schaffung von stringenten Konzepten und Strukturen im Zentrum. Andererseits können Pflegeinstitutionen oft ohne einen horizontalen Fluchtweg im klassischen Sinne realisiert werden. Deshalb können wir nunmehr grosszügige Erschliessungs- und Begegnungsräume schaffen; ein Konzept, das wir laufend weiterentwickeln.

Die Gemeinschaftsräume gehen fliessend in den Rundlauf um den Kern über. (Foto: Roger Frei)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Der Holzbau hat in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen. Seine Akzeptanz in der Bevölkerung und bei den Investierenden ist gewachsen. Von dieser erfreulichen Entwicklung hat das Projekt sicher profitiert. Konstruktive Holzbauten auch mit einer Holzfassade zu planen, ist jedoch nicht für jede städtebauliche Situation die richtige Lösung. Hier allerdings, wo der bauliche Kontext von einer reichen lokalen Holzbautradition geprägt ist, macht es Sinn.

Das Erdgeschoss hebt sich hinsichtlich seiner Nutzung und durch die Materialisierung von den Wohngeschossen ab. (Foto: Roger Frei)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Eindeutig das Material Holz. Der Holzbau verlangt beim Entwurf nach einer gewissen Struktur, nach Einfachheit und Klarheit. Themen also, die auch helfen, gute Räume zu entwickeln. Aufgrund der sichtbaren Holzkonstruktion war auch eine frühzeitige Detailplanung mit hoher konzeptueller Stringenz in den Bereichen Konstruktion, Arbeitsabläufe, Brandschutz, Leitungs- und Sprinklerführung notwendig. 

Das Leitthema Handwerkskunst wurde bis hin zur Brettschalung des Ortbetons im Treppenhaus und Erdgeschoss konsequent verfolgt. (Foto: Roger Frei)
Schwarzplan (© Bob Gysin Partner)
Grundriss Regelgeschoss (© Bob Gysin Partner)
Querschnitt (© Bob Gysin Partner)
Bauwerk
Wohnhaus Mettenweg
 
Standort
Weidstrasse 2b, 6370 Stans
 
Nutzung
Betreutes Wohnen mit Pflege
 
Auftragsart
Projektwettbewerb mit Präqualifikation
 
Bauherrschaft
Gemeinde Stans
 
Architektur
Bob Gysin Partner, Zürich
Marco Barberini, Marco Giuliani, Christian Zehnder und Lorenzo Meschini
 
Fachplaner
Baumanagement und -leitung: Schärli Architekten AG, Luzern
Bauingenieur: Wälli AG Ingenieure, Horw
Holzbauingenieur: Holzprojekt AG, Luzern
Bauphysik: Pirmin Jung Schweiz AG, Sursee
HLK-Ingenieure: W&P Engineering AG, Stansstad
Sanitärplanung: tib Technik im Bau AG, Luzern
Elektroplanung: Stromplan AG, Stans
Sprinklerplanung: Minimax AG, Dübendorf
Landschaftsarchitektur: Uniola AG, Zürich
 
Fertigstellung
2023
 
Gesamtkosten BKP 1–9
ca. CHF 23.2 Mio.
 
Gebäudekosten BKP 2
ca. CHF 14.5 Mio.
 
Gebäudevolumen
17'100 m3 (gemäss SIA 416)
 
Kubikmeterpreis
ca. 850 CHF/m3
 
Energiestandard
Minergie
 
Kunst am Bau
Lea Achermann, Luzern: «Gold»
 
Auszeichnung
Best Architects 24
 
Fotos
Roger Frei, Zürich

Vorgestelltes Projekt

TK Architekten

Revitalisierung Shopping Center «Serfontana»

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