Die Sanierung eines Technikdenkmals der Schweizer Moderne

Itten+Brechbühl AG
28. September 2023
Blick von der Leitwarte in die Maschinenhalle: Das neue Glasprismendach und das Boden-Palimpsest aus ertüchtigten und den Originalen nachempfundenen Klinkern geben dem Raum die Anmutung des Originalzustands zurück. Links befindet sich das Lehrgebäude ML 1, rechts das frühere Fernheizkraftwerk. (Foto: Luca Zanier)
Herr Klink, als Standortleiter IB Zürich und Mitglied der Geschäftsleitung agierten Sie über die letzten drei Jahre als Gesamtleiter beim Umbau des Maschinenlaboratoriums. Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Die Herausforderung für uns bestand bei der Sanierung und dem Umbau des Maschinenlaboratoriums und des Student Project House der ETH Zürich darin, äusserst sensibel mit einem denkmalgeschützten Bau der Schweizer Moderne umzugehen. Dies erforderte ein hohes Mass an Planung mit vielen involvierten Parteien, etwa der Denkmalpflege der Stadt Zürich, den Expertinnen und Experten für Bauten Otto Rudolf Salvisbergs, der Eigentümerin, also der ETH Zürich, der Gebäudeversicherung oder auch der Feuerpolizei. 

Bestehende Gebäudeteile wurden möglichst erhalten und, wo es nötig erschien, durch neue, den Originalen nachempfundene Elemente ergänzt. In Absprache mit den verschiedenen Partnerinnen und Partnern wurden Spuren, die während der Eingriffe entstanden, belassen. Im einstigen Fernheizkraftwerk, dem heutige Student Project House, zeigt sich dies etwa im narbenartigen Abdruck, den das Originaltreppenhaus bei dessen Rückbau im Beton hinterlassen hat. Das so entstandene Palimpsest betont die Geschichte der einzelnen Gebäudeteile. Dieses Zusammenspiel von Alt und Neu spiegelt sich vor allem an den Wänden und Böden des Fernheizkraftwerks und der Maschinenhalle wider. Die dem Original nachempfundene Fassadengestaltung und Materialisierung des Bestands sowie die Wiedergabe des ursprünglichen Farbkanons waren für das Projekt ebenfalls zentral. Und schliesslich lautete ein wichtiger Grundsatz des für diesen Bauauftrag erstellten denkmalpflegerischen Konzepts, die ursprüngliche im Stadtbild verankerte Gebäudesilhouette wieder sichtbar zu machen. Im Zusammenschluss mit einer Vielzahl von hochspezialisierten ausführenden Firmen gelang es uns, dieser vielschichtigen Aufgabe gerecht zu werden.

Von der Leitwarte in der Maschinenhalle sind die Rekonstruktionen der historischen Leuchten gut zu sehen. (Foto: Luca Zanier)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Es war uns und den gerade erwähnten Partnerinnen und Partnern ein grosses Anliegen, die vom Architekten und ETH-Lehrstuhlinhaber Otto Rudolf Salvisberg interpretierte Moderne möglichst wiederherzustellen und, wo es nötig war, in heutige Normen zu übersetzen. Eine aus der Moderne entliehene Inspiration bestand beispielsweise im Anspruch, die aussergewöhnliche Schlichtheit und zugrunde liegende Eleganz des Gebäudekomplexes wiederherzustellen. Dies bedurfte der grundlegenden Räumung und dem Freispielen verschiedener Gebäudebestandteile, deren räumliche Grosszügigkeit im Laufe der Jahrzehnte immer stärker durch den Einbau von Labors, Büros und Provisorien sowie andere pragmatische Raumerweiterungen beeinträchtigt wurde. 

Um die damalige Schönheit zu unterstreichen, legten wir ein besonderes Augenmerk auf die getreue und zugleich zeitgemässe Wiederherstellung – oder erneute Freilegung – verschiedener Details, etwa der Handläufe, der Leuchten, der Farbgebung, der Türen oder der kompositorischen Lichtführung. Unser Vorgehen war vergleichbar mit der Restaurierung eines historischen Gemäldes – auch dabei ist ja die grösstmögliche Nähe zum Original von zentraler Bedeutung. 

Der historische Windkanal und die Abluftkanäle in der Maschinenhalle. Links im Bild ist die Kunst-am-Bau-Arbeit von Maya Rochat zu erkennen. (Foto: Luca Zanier)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Da es sich um einen Sanierungs- und Umbauauftrag während des laufenden Hochschulbetriebs handelte, arbeiteten wir hinsichtlich der Planung und Ausführung äusserst eng mit der Bauherrschaft zusammen, und es galt, viele Faktoren zu berücksichtigen und aufeinander abzustimmen. So nahmen wir beispielsweise Rücksicht auf bereits angelaufene Forschungsprojekte von Professuren, Prüfungssessionen von Studierenden oder andere bereits gestartete Projekte des Lehrbetriebs. Im Laufe des Weges, den wir während fast zehn Jahren an der Seite der ETH Zürich zurückgelegt haben, kamen immer weitere Punkte hinzu, welche das Projekt auf verschiedenen Ebenen beeinflussten. 

Dieser das Original zitierende Handlauf in der Maschinenhalle ist an heutige Normen angepasst. (Foto: Luca Zanier)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Otto Rudolf Salvisberg ist neben Otto Brechbühl einer der Gründerväter unseres Büros. Das Maschinenlaboratorium war sein erstes Grossprojekt nach seiner Rückkehr aus Berlin. Die Mischung aus Industrie- und Lehrgebäude bildet gewissermassen den Grundstein für spätere Technikbauten von IB. 

Das unverwechselbare Material-, Form- und Farbvokabular, das Salvisberg für das Maschinenlaboratorium entwickelte, ist auch für seine späteren Bauten charakteristisch. Sein für das Basler Chemieunternehmen Hoffmann-La Roche konzipierter Campus steht dafür exemplarisch. Aufgrund dieser beiden konzeptuell gestalteten Baukomplexe in den Bereichen Maschinenbau und Pharmatechnologie spezialisierte sich das Architekturbüro in der Folge auf hochtechnisierte Gebäudetypen wie Labors und Spitäler. Als Erben Otto Rudolf Salvisbergs haben wir diese Spezialisierung bis heute beibehalten, was sich etwa an unserer langjährigen Zusammenarbeit mit Hoffmann-La Roche zeigt. Dieses Frühjahr wurden wir bereits zum sechsten Mal seit 2009 für ein umfassendes Mandat im Bereich Humanbiologie beauftragt. 

Die »The Storyteller«-Etage im 1. Obergeschoss des Student Project House wird für Präsentationen und als Ort des Austausches und Aufenthalts genutzt. (Foto: Luca Zanier)
Im neuen Treppenhaus des Student Project House zeigen sich Spuren des rückgebauten Originaltreppenhauses. (Foto: Luca Zanier)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Das für das Maschinenlaboratorium so charakteristische Glasprismendach, das mittels Totalsanierung freigelegt und wiederhergestellt wurde, symbolisiert einen wichtigen Meilenstein für die Erfolgsgeschichte dieses Projekts. Die Freilegung des etappenweise rückgebauten Dachs förderte 168 modulartige Elemente zutage, die je 65 oder 78 Glasbausteine aufwiesen. Über das ganze Dach verteilt existierten acht unterschiedliche Glasbautypen. Die Stärke der vorgefundenen Glasbauelemente entsprach lediglich einem Drittel der Aufbauhöhe eines heutigen Glasbausteinelements, die sich aufgrund der bauphysikalischen Anforderungen auf 24 Zentimeter beläuft und durch zwei Lagen Glasbausteine sowie einen mit Edelgasen gefüllten Zwischenraum zustande kommt. 

Den historischen Glasprismen nachempfundene Kopien betten sich in die unterste Ebene der heute gebräuchlichen Doppelglasbausteine ein. So liess sich die filigrane Optik und der damit einhergehende Effekt des originalen Dachs erhalten. Zugleich stellten die technischen, ästhetischen und bauphysikalischen Anforderungen an das neue Glasbausteindach eine der grossen Herausforderungen dar. Durch die eben erwähnte dreifache Stärke und die Verwendungen unterschiedlicher Schichten an Beton kam es zum Beispiel zu einer massiven Gewichtszunahme des neuen gegenüber des alten Dachs. 

Doch der Effort hat sich allemal gelohnt. Denn die Totalsanierung des historischen Glasprismendachs ermöglicht zum ersten Mal seit dessen Holzverschalung in den 1950er-Jahren und dem Hinzufügen einer extensiven Begrünung zu einem späteren Zeitpunkt wieder einen natürlichen Lichteinfall. Die Lichtdurchlässigkeit und die dadurch erzielte Lichtführung im Gebäude tragen dem übergreifenden und in der Moderne verankerten Raumprogramm Otto Rudolf Salvisbergs Rechnung. Sie steuern wesentlich dazu bei, dass der Gebäudekomplex nun wieder die Anmutung des Originalbestands besitzt.

Situation (© Itten+Brechbühl AG)
Axonometrie (© Itten+Brechbühl AG)
Grundriss Gerschoss H (© Itten+Brechbühl AG)
Längsschnitt (© Itten+Brechbühl AG)
Bauwerk
Maschinenlaboratorium und Student Project House der ETH Zürich
 
Standort
Sonneggstrasse 3, 8006 Zürich
 
Nutzung
Das Maschinenlaboratorium ist ein Gebäudekomplex, der aus zwei Lehrgebäuden (ML 1 und ML 2), der Maschinenhalle (MLH), den Maschinenlaboratorien Nord (ML N) und West (ML W) sowie dem Fernheizkraftwerk (FHK) besteht.
  • Aus dem ehemaligen FHK, einem denkmalgeschützten Bau, wurde ein Forschungsgebäude mit Werkstätten (Geschoss D), Arbeitszonen (Atrium und Galerien), Präsentations-, Aufenthalts- und Arbeitsflächen (Podium und offene Tribüne), Cafeteria und Terrasse.
  • In der MLH befinden sich Räumlichkeiten für die Forschung, ein Labor und eine Werkstatt für maximal 300 Personen. 
  • Im ML 1 gibt es Hörsäle für 346 Personen sowie einen Seminarraum für 40 Personen.
  • Das ML N nimmt die Technik der ETH Zentrum und der MLH auf.
  • In den Untergeschossen des ML und des FHK sind die Anlagen zur Wärme- und Kälteversorgung der ETH Zentrum untergebracht.
 
Auftragsart
Offenes Submissionsverfahren
 
Bauherrschaft
ETH Zürich
 
Architektur
Itten+Brechbühl AG
  • Gesamtleitung: Marcus Klink (Standortleiter, 2020–2023), Alexandro Bühl (2013–2020), James Pike (2018–2020) und Alain Krattinger (Standortleiter, 2013–2016)
  • Kostenplanung: René Walder und Victor Walker
  • Planung: Águeda Salas, Sara Young, Nadja Weingart, Ramona Truog, Fluregn Damur, Martina Piccitto, Farhan Kahn, Anna Chong, Robin Schiltknecht, Petros Lazaridis und Tianxing Dai 
  • Bauleitung: Hanspeter Wetter, Marc Jungmann, Holger Meissner und Nicolas Steiner 
  • Projektassistenz: Karin Baeriswyl und Rajko Lazarevic
 
Fachplaner
Bauingenieur: Gruner AG, Zürich
Brandschutz: Amstein+Walthert AG, Zürich
Elektro: Inelplan AG, Rapperswil
Heizung, Lüftung, Klima, Kälte und Sanitär: Haerter und Partner AG, Zürich
Schadstoffsanierung: P. Meuwly AG, Zürich
Bauphysik/Akustik: Gartenmann Engineering AG, Zürich
Gebäudeautomation: Jobst Willers Engineering AG, Zürich
Türplanung: Inep AG, Aarau
Fassadenplanung: Fachwerk F+K Engineering AG, Zürich
Fachkoordination räumlich: Haerter und Partner AG, Zürich
Fachkoordination technisch: Inelplan AG, Rapperswil
Signaletik: Frehner-Grafik, Kyburg
 
Fertigstellung
2023
 
Energiestandard
Minergie P
 
Kunst am Bau
Maya Rochat, Lausanne: Grossflächige bedruckte Glasfolien und Wandbeläge, Teppich 
 
Fotos
Luca Zanier

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