Ein Rohling im Zürcher Hochschulquartier

Itten+Brechbühl AG
15. Juni 2023
Foto: Yohan Zerdoun
Herr Blum, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Schon in der Wettbewerbsausschreibung war die geplante Nutzungsdauer des Bauwerks auf 20 Jahre begrenzt. Da lag es nahe, sich intensiv damit auseinanderzusetzen, dass Gebäude generell nicht nur aufgebaut, sondern auch wieder demontiert werden – und idealerweise anderenorts wieder zusammengesetzt. Wir dachten dieses Projekt folglich von Beginn an in Kreisläufen – von der modularen Bauweise bis hin zur Verwendung möglichst roher Materialien.

Hinzu kam die komplexe Situation, in die sich unser Rohling einfügen musste: Das Projekt befindet sich mitten im Zürcher Hochschulquartier, einem Teil der Stadt also, der sich aktuell durch mehrere Grossprojekte rasant wandelt. Der Bauplatz war eine bestehende Baugrube, die auf drei Seiten von Strassen umgeben ist. Es handelt sich um ein Hanggrundstück, das unmittelbar an den wunderschönen Bau von Bruno Giacometti grenzt, der mitsamt seiner Umgebung denkmalgeschützt ist.

Das Hanggrundstück im Zürcher Hochschulquartier wird in einer weiten Kehre vom Tram umfahren. Zur heterogenen Nachbarschaft gehört auch ein denkmalgeschützter Bau von Bruno Giacometti. (Foto: Yohan Zerdoun)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Wir traten mit einem eingespielten Team an, machten aber doch alles anders: Anstatt «aus dem Bauch heraus» zu entwerfen, setzten wir uns mit dem Planerteam zusammen, um zunächst dessen Bedürfnisse und Lesart des Projekts abzuholen. So sind die drei verschränkten Volumina entstanden: Sporthalle, Umkleiden und Lagerräume. Alle drei Volumentypen stellen spezifische Anforderungen an Tragwerk, Haustechnik und Tageslicht. So konnten wir jeden Raum konsequent rational denken und entwerfen. Das war gut, reichte aber noch nicht, denn am Ende ist auch das Sporthallenprovisorium ein Haus in der Stadt, das neben den inneren Anforderungen auch seiner Rolle als Teil des Hochschulquartiers gerecht werden muss. Also setzten wir die drei Volumina so, dass sie sich respektvoll in die Umgebung einfügen. Gleichzeitig versuchten wir mit der kräftig rhythmisierten Fassade, dem Haus aus rohem Lärchenholz zu ermöglichen, eine städtische Präsenz zu erlangen.

Die Holzfassade weist in ihrer Gliederung einen kraftvollen Rhythmus auf. Obschon nur auf 20 Jahre ausgelegt, ist der Bau ein vollwertiger Stadtbaustein. (Foto: Yohan Zerdoun)
Das Gebäude ist aus drei verschränkten Volumina zusammengesetzt. Sie nehmen Sporthalle, Umkleiden und Lagerräume auf. (Foto: Yohan Zerdoun)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Der Ort stellte, wie eingangs angedeutet, eine grosse Herausforderung dar: ein steiler Hang, Nachbarbauten in unterschiedlichen Massstäben, ein Kontext, der sich in der äusserst kurzen Projektierungs- und Bauzeit bereits massiv verändert hat. Des Weiteren fährt das Tram fast 270 Grad um das Grundstück herum, der Bau ist also sehr exponiert. Und natürlich war es eine Herausforderung, angemessen auf das subtile Nachbargebäude von Bruno Giacometti zu reagieren, das so schön in den Hang komponiert ist. Von diesem Bau haben wir auch die feingliedrige Durchwegung der Parzelle übernommen und weitergeführt, denn gerade in diesem Quartier sind die vielfältigen fussläufigen Verbindungen eine hohe Qualität, die wir aufnehmen und verstärken wollten.

Wo immer es möglich war, wurden die Materialien roh verbaut. Das macht es einfacher, sie später erneut zu verwenden. (Foto: Yohan Zerdoun)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Das Projekt ist aus einem Gesamtleistungswettbewerb hervorgegangen – einer der ersten seiner Art im Kanton Zürich. Dabei gab es einen Lerneffekt auf allen Seiten. Einerseits war bereits mit der Wettbewerbsabgabe vieles detailliert definiert, andererseits änderte sich während des Prozesses teilweise die zukünftige Nutzerschaft. Es fand ein intensiver Austausch statt – sehr offen, respektvoll und zielgerichtet. Die Gespräche hatten fachlich immer ein sehr hohes Niveau. Nun haben alle grosse Freude am Resultat, das dank dieses grossen gemeinsamen Efforts erreicht werden konnte.

Blick in die Sporthalle (Foto: Yohan Zerdoun)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Wir planten das Haus im Wettbewerb äusserst radikal, liessen alles weg, was nicht unbedingt notwendig war, und dachten konsequent in Kreisläufen. So haben wir zum Beispiel beide Treppenhäuser ausserhalb des Dämmperimeters und die Sicherung der bestehenden Baugrube in Gabionenkörben vorgeschlagen. Hier nahmen wir im Prozess Anpassungen vor. Für eine stärkere städtische Präsenz formulierten wir ausserdem die rohe Lärchenholzfassade im Laufe der Weiterentwicklung des Entwurfs noch ausgeprägter und erfuhren auch dabei grosse Unterstützung vonseiten der Bauherrschaft. Es war also im besten Sinne ein Einpendeln innerhalb des Teams hin zu einer guten Gesamtlösung.

Auch in den Umkleiden des Temporärbaus zeigt sich der starke Fokus der Architekt*innen auf die Gestaltung. (Foto: Yohan Zerdoun)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Unser Rohling am Gloriarank ist für uns trotz seines bescheidenen Ausmasses ein wichtiger Meilenstein und dient als Beispiel für zwei Kernthemen, die uns beschäftigen: zum einen der Fokus auf eine Architektur, die mit wenig auskommt und doch viel erreicht – vielen architektonischen Herausforderungen kann mit Intelligenz statt mit grossem Ressourceneinsatz begegnet werden. Zum anderen manifestiert das Sporthallenprovisorium unser Bekenntnis zu den Nachhaltigkeitszielen des Bundes («Architekturstrategie 2030»). Ab Mitte dieses Jahres wird sich jedes unserer Projekte an ihnen messen lassen müssen.

Foto: Yohan Zerdoun
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Wichtig für den Erfolg des Projekts war der etwas unkonventionelle Prozess. Wir lernten, dass auch bei der Nachhaltigkeit gilt: Nur in multidisziplinären Teams und ergebnisoffenen Prozessen werden Lösungen mit Substanz erreicht. Und: Den grössten Hebel gibt es ganz zu Beginn des Projekts. Ein Haus kann nicht mehr einfach entworfen und dann materialisiert und technisch ausgestattet werden. Ein Holzbau etwa muss von Anfang an als Holzbau entworfen werden, nur so entsteht ein architektonischer Gesamtausdruck bestehend aus Material, Konstruktion und Ort.

Einen temporären Bau zu entwerfen – oder vielleicht besser gesagt, einen Bau zu entwerfen, dessen Nutzungsdauer bekannt und zudem überschaubar ist –, bietet die Chance, in manchen Aspekten konsequenter und radikaler zu denken. So gesehen hatte die Idee der Subsistenz, die Kunst des Weglassens also, in diesem Projekt etwas Befreiendes.

Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Das Material Holz in all seinen Spielarten. Generell versuchten wir, Material roh zu belassen, damit es leicht wiederverwendet werden kann.

Situation (© Itten+Brechbühl AG)
Grundriss Erdgeschoss (© Itten+Brechbühl AG)
Längsschnitt (© Itten+Brechbühl AG)
Bauwerk
Rohling (Sporthallenprovisorium Gloriarank)
 
Standort
Gloriastrasse 32, 8006 Zürich
 
Nutzung
Sporthalle mit Trainingsräumen
 
Auftragsart
Gesamtleistungswettbewerb 2020, 1. Preis mit Hector Egger Gesamtdienstleistung AG, Langenthal
 
Bauherrschaft
Universität Zürich, vertreten durch das Hochbauamt des Kantons Zürich
 
Architektur
Itten+Brechbühl AG, Basel
Daniel Blum (Leiter Entwurf), Julienne Zürn (Projektleiterin), Lukas Thiel und Serdar Akcay
 
Fachplaner
Holzbau: Hector Egger Holzbau, Langenthal
Statik: Caprez Ingenieure, Rapperswil
Landschaftsarchitektur: Atelier Soto, Basel
 
Bauleitung 
Hector Egger Gesamtdienstleistung AG, Langenthal
 
Fertigstellung
2023
 
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 7.9 Mio.
 
Energiestandard
Minergie P-Eco
 
Kunst am Bau 
San Keller und Kueng Caputo: Installation in der Sporthalle
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Holzbau: Hector Egger Holzbau, Langenthal
Metallbauarbeiten: Gemet Metallbau, Gelterkinden
Garten: Spross AG, Zürich
 
Fotos
Yohan Zerdoun

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