Laute und leise Töne

Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau
14. Dezember 2023
Übergrosse Bullaugen vereinfachen die Innen-Aussen-Kommunikation und werden von Kindern wie Lehrern geschätzt. (Foto: Roger Frei)
Herr Züst, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Im Umgang mit einer über 100-jährigen Bausubstanz und in deren Transformation. Die Geschichte des Hauses wird zur Leinwand für die Auseinandersetzung mit der bestehenden Substanz und deren Neuinterpretation. Die ursprüngliche Errichtung des Hauses als Kapelle hat die Atmosphäre in den Räumen massgeblich beeinflusst; zum Beispiel durch die imposante Raumhöhe oder die Rundbogenfenster im Saal. Wir konnten Elemente wie diese wieder freilegen und für unsere Zeit und Zwecke erlebbar machen. 

Der «herausgeschälte», ehemals sakrale Kapellraum hallt in der Stimmung des Musiksaals als neuer Gemeinschaftsraum nach. (Foto: Nakarin Saisorn)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Wichtig war uns, Bezüge zur Geschichte und zur Umgebung herzustellen. Weiterbauen schliesst immer das Vergangene mit ein. Im Zentrum des Hauses steht damals wie heute die Idee einer kleinen, schützenswerten Gemeinschaft.

Im Erdgeschoss lag der Fokus auf dem Herausschälen des sakralen Gemeinschaftsraums. Heute ist der von Bausünden und Zwischenböden befreite Musiksaal wieder das Herzstück des Hauses. Der ausgreifende Erweiterungsbau mit dem Eingang im Knick kann als umarmende Geste des Empfangs gelesen werden. Innen unterstützt die Geometrie das Foyer als einen Ort der Bewegung und des Austausches. Das Ruhepodest des eingestellten Treppenmöbels hat etwas von einer Kanzel …

Auch die gebrochene Geometrie im Obergeschoss ist ein bewusster Entscheid: Die polygonale Geometrie ergibt unterschiedliche Räume und hat etwas Anthroposophisches. Sie stellt das Individuum in den Vordergrund und begünstigt die «Cosiness». Nicht zuletzt spielte natürlich die Akustik eine Rolle.

Weiterbauen unter Bezugnahmen: Das Ruhepodest des Treppenmöbels spielt auch mit dem Bild der Kanzel. (Foto: Roger Frei)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Tatsächlich hatte die Lage des Hauses an der Strasse und am Rand des Schulhausareals einen Einfluss auf die Gestaltung und Adressierung. Das Haus wirkt nun wie eine Pforte oder ein Entrée zum angrenzenden Kronenwiesenareal. Und auch als Schnittstelle zur Öffentlichkeit sowie für die externen Nutzer war die Frage der Zugänglichkeit ein wichtiges Thema. Die spezielle Inszenierung des seitlich ausgreifenden Zugangs macht das Haus von beiden Richtungen gut erreichbar.

Von aussen wirkt das Haus mit seinem Erweiterungsbau auch als Pforte zum angrenzenden Schulhausareal. (Foto: Roger Frei)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Sehr! Die Stadt Adliswil hat uns viel Vertrauen und Verständnis geschenkt. Sie hat unsere Ideen von Anfang an mitgetragen, angereichert und uns auch einfach mal machen lassen. Bei der Gestaltung hatten wir auch die Kinder im Visier: Wir wollten eine «Wohlfühlatmosphäre» kreieren und eine gewisse «Wohnlichkeit» im Haus erreichen. Gestaltung, Materialien und Farbe sollten einen kindgerechten Massstab und Geborgenheit vermitteln.

Die Übungsräume wurden zum Beispiel unter dem Dachstuhl angesiedelt – Räume unter der Dachschräge versprühen ein ganz eigenes Gefühl. Zudem wird die Raumgeometrie mehrfach gebrochen – auch in der Höhe. Fein austarierte Elemente wie etwa übergrosse Bullaugen in den Türen dienen der Innen-Aussen-Kommunikation und werden von Kindern und Lehrern gleichermassen geschätzt. Darüber hinaus tragen auch Paravents, Teppiche, Wandtäfer oder Vorhänge zur heiter-wohnlichen Atmosphäre bei.

Die polygonalen Unterrichtsräume unter dem Dach entspringen einem bewussten Entscheid: Sie unterstreichen das Individuelle und vermitteln zugleich Geborgenheit. (Foto: Roger Frei)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


In der ersten Projektskizze hatten wir für die Stirnwand des Saals ein Triptychon-Fenster vorgesehen – zum einen als Reminiszenz an die sakrale Ursprungsnutzung, zum anderen, um einen visuellen Bezug zum angrenzenden Schulhaus zu schaffen. Allerdings fiel es schon bald aus Kostengründen weg; ebenso wie die beweglichen Wände vom grossen Saal zum Übungsraum oder ein zusätzlicher Proberaum im Untergeschoss. Die für das Projekt massgeblichen Ideen blieben aber bis zum Schluss erhalten.

Verzicht kann auch zu einer Entschlackung führen – zugunsten von etwas Höherwertigem. Die Wandtäfer sind schön anzusehen und tragen zu einer guten Akustik bei. (Foto: Roger Frei)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Es ist ein kleines Haus, das erst auf den zweiten Blick seine Raffinesse offenbart. Tatsächlich umfasst unser Werk eine Reihe von Klein- und Spezialbauten, die ein sehr hoher Detaillierungsgrad verbindet; eine Art «Gesamtkunstwerk». Was aber sicher all unsere Projekte eint – ob gross oder klein – ist der Wunsch, mittels punktueller Eingriffe oder Transformation des Bestands und der (Neu)Programmierung eine Aufwertung zu erreichen, die auch auf den Kontext abfärbt.

Das Musikschulhaus will gerade auch für seine sehr jungen Nutzer Geborgenheit und «Wohnlichkeit» ausstrahlen. (Foto: Roger Frei)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Auf jeden Fall das Thema der Nachhaltigkeit und Langlebigkeit: Der Erhalt von Objekten oder der Bausubstanz, um eine möglichst lange Nutzbarkeit zu garantieren – am besten über 100 Jahre! Das Nachhaltigste ist das, was nicht gebaut wird. Vor allem nicht neu.

Darüber hinaus bietet die Wiederverwendung des Vorgefundenen einen reizvollen Fundus, aus dem sich schöpfen lässt. Mit einem Bestandsbau bekommt man einen «Behälter», in dem die Geschichten und Themen bereits eingeschrieben sind. Daraus lassen sich dann einzelne Elemente herauslösen oder aktivieren, die gut für die neue Nutzung passen und sie atmosphärisch anreichern. Die Überhöhe des Musiksaals kommt aus dem Ursprungsbau heraus. Bei einem Neubau wäre sie kaum wirtschaftlich umsetzbar gewesen.

Die 100-jährige Bausubstanz bot einen reichen Fundus für die Gestaltung der Musikschule. Manch räumlich qualitätsvolle Lösung wäre so bei einem Neubau kaum wirtschaftlich gewesen. (Foto: Roger Frei)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Wohl die Farben, die in der Kombination mit dem vielen Naturholz eine gewisse Heiterkeit und Wärme ausstrahlen. Im Obergeschoss sticht das Blau ins Auge. Es ist ein Ton, der nicht zu aufdringlich ist und gut kombinierbar. Für punktuelle Akzente haben wir gerne eigensinnigere Farbzusammenstellung wie Pink, Türkis oder Flaschengrün kombiniert, etwa für Wandtäfer, Staketengeländer und Böden. Im Musiksaal bestimmen die üppigen Vorhänge in Mauve und Olive die Atmosphäre massgeblich. Insgesamt haben wir vorwiegend mit Naturmaterialien wie Holz, Anhydrit oder Linoleum gearbeitet. Dazu kommt der hohe und feine Detaillierungsgrad, der ebenfalls viel zur Stimmung im Haus beiträgt.

Eigensinnige Farbakzente, viel Naturholz und ein hoher Detaillierungsgrad tragen zur heiter-wohnlichen Atmosphäre bei. (Foto: Nakarin Saisorn)
Schwarzplan (© Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau)
Situation (© Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau)
Grundrisse Erd- und Obergeschoss (© Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau)
Schnitt (© Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau)
Name des Bauwerks 
Musikschule Adliswil
 
Ort 
Kilchbergstrasse 9, 8134 Adliswil
 
Nutzung 
Musikschule
 
Auftragsart 
Konkurrenzverfahren, 1. Rang; Transformation, Sanierung, Erweiterung und Ausbau
 
Bauherrschaft 
Stadt Adliswil, Liegenschaften
 
Architektur 
Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau AG, Zürich
Anton Baumann, Eva Kiseljak, Beni Braun, Aline Frei, Paolo Gaberthüel und Mimi Gebreyesus
 
Fachplaner 
Landschaft: Singenberger Gartenbau AG, Adliswil
Statik: K2S Bauingenieure AG, Wallisellen
HLKS: 3-Plan Haustechnik AG, Winterthur 
Elektro: 3-Plan Haustechnik AG, Winterthur 
Bauphysik: Kopitsis Bauphysik AG, Wohlen 
Beleuchtung: Neuco AG, Zürich
 
Bauleitung
CAAB GmbH, Zürich
 
Fertigstellung
2023
 
Gebäudekosten BKP 2 
CHF 2.9 Mio. inkl. MwSt.
 
Gebäudevolumen 
2'307 m3 (gemäss SIA 416)
 
Energiestandard 
Minergie Eco, ohne Lüftung, nicht zertifiziert
 
Fotos 
Roger Frei, Zürich, und Nakarin Saisorn, Adliswil

Verwandte Artikel

Vorgestelltes Projekt

EBP AG / Lichtarchitektur

Schulanlage Walka Zermatt

Andere Artikel in dieser Kategorie