Veranden, Holz und ein grüner Binnenraum – die Siedlung Waldacker
Wie erzeugt man in einer Siedlung mit 110 Wohnungen Gemeinschaft und Zusammenhalt? Yves Schihin erklärt, wie bei der Wohnanlage Waldacker in St.Gallen zwei zeilenartige Volumen einen begrünten Gemeinschaftsraum fassen.
Herr Schihin, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Die Siedlung zeichnet sich vor allem durch eine warme, behagliche und nachbarschaftliche Atmosphäre aus, die durch das Baumaterial Holz in Verbindung mit den raumhaltigen Veranden und dem gemeinschaftlichen Binnenraum entsteht.
Wir wollten trotz der hohen Anzahl an Wohnungen – 110 sind es insgesamt – eine Nachbarschaft schaffen. Darum haben wir einen durchgrünten, identitätsstiftenden Binnenraum zwischen zwei zeilenartigen Baukörpern aufgespannt. Dieser bildet das gemeinschaftliche Herz der Siedlung, jede Wohnung hat einen räumlichen Bezug zu ihm. Ein den Wohnungen vorgelagertes, aussen liegendes Erschliessungssystem über Veranden verstärkt als Schwellenraum den Bezug der Bewohner*innen zum gemeinsamen Binnenraum.
Die Bauten liegen in unmittelbarer Nachbarschaft des Naherholungsgebiets Burgweiher mit dem weithin sichtbaren Tröckneturm aus Holz. Durch die überraschende Drehung des Binnenraums längs zum Hang und weil sich die beiden geknickten Zeilen mäandrierend an die Höhenkurven anschmiegen, bleibt einerseits der Blick von der Ahornstrasse zum Tröckneturm frei, andererseits fliesst der Grünraum des Naherholungsgebiets in die Siedlung hinein. Die Bewohner*innen leben also quasi im Naherholungsgebiet …
Die Bauherrschaft und der Gesamtleister waren von Anfang an mit im Boot. Sie haben sowohl das Baumaterial Holz als auch die spezielle Erschliessung seit dem Wettbewerb mitgetragen und im Austausch auch mit beeinflusst.
Die im Wettbewerb vorgeschlagenen peripheren privaten Balkone wurden im Laufe der Planung durch Wintergärten ersetzt. Diese gewährleisten pro Wohnung einen der Veranda abgewandten individuellen Aussenraum.
Die Siedlung fügt sich in unsere «recherche patiente» über die konstruktiven, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteile eines den Wohnungen vorgelagerten Erschliessungssystems ein (siehe hierzu: Kopfbau am Saurerplatz in Arbon, 2020, oder die Casa di Ringhiera in Bellinzona, 2021). Durch die Veranden entstehen neben der Erschliessung Schwellenräume, welche gemeinschaftlich oder privat genutzt werden können, Räume für informelle Begegnungen und zufälligen Austausch. Dies trägt wesentlich zur Belebung der Nachbarschaft bei.
Gleichzeitig fügt sich die Siedlung auch nahtlos in die Reihe unserer Neubauten in Holzbauweise ein (siehe hierzu: Pile up Giesshübel, 2013, Wannenholz, 2016, Casa di Ringhiera, 2021, und Schulhaus Sonnenberg, 2021).
Wir haben uns bei Oxid der klimarelevanten und enkeltauglichen Bauweise verschrieben. Wo immer es möglich ist, arbeiten wir mit dem Bestand. Und wenn ein Neubau unumgänglich ist, bauen und denken wir in Holz.
Durch die hohe Systemik des Holzbaus und den hohen Kostendruck ist eine auf das Material abgestimmte Konstruktionsweise mit optimierten Deckenspannweiten und einem hohen Repetitionsgrad entstanden. Die strukturelle Wiederholung verleiht der Siedlung einen kraftvollen Ausdruck. Gleichzeitig ist die Anlage nicht zuletzt wegen des nachhaltigen und ressourcenschonenden Baumaterials Holz als schweizweit erstes Gebäude mit dem SNBS-Platin-Label ausgezeichnet worden. Die in der Siedlung verbaute Menge an Holz speichert 3500 Tonnen CO2 und ist in der Schweiz in 15 Minuten nachgewachsen. Zudem kann das Material einfach rückgebaut und in grossen Teilen wiederverwendet werden.
Holz! Die in der Fassade und den Veranden sichtbare Holzbauweise verleiht der Wohnwelt eine grosse Behaglichkeit und geniesst bei der Bewohnerschaft eine hohe Akzeptanz. Die runden Veranda-Stützen aus Holz und die sichtbare lineare Primär-und Sekundärstruktur der Verandadecken zeigen die Konstruktionsweise und wirken für die Siedlung charakterbildend.
Wohnüberbauung Waldacker
Standort
Ahornstrasse 21, 21a, 21b, 23, 23a und 23b, 9000 St.Gallen
Nutzung
Mehrfamilienhäuser
Auftragsart
Wettbewerb, 1. Preis
Bauherrschaft
Previs Vorsorge, Bern
Architektur
Oxid Architektur (vormals burkhalter sumi architekten), Zürich
Yves Schihin, Urs Rinklef, Marianne Burkhalter, Christian Sumi, Célia Rodrigues, Dorota Haaza-Iglesias, Pietro Maria Romagnoli, Gergö Vatyi, Simone Biaggi, Isabelle Schulz, Marco Mariotti und Annamaria Bonzanigo
Gesamtdienstleister
Renggli AG, Schötz und Sursee
Fachplaner
Appert Zwahlen Partner AG, Cham
Nänny + Partner AG, St.Gallen
3-Plan AG, Winterthur
Renggli AG, Schötz
Engytec AG, Rotkreuz
LBM Partner AG, Schaffhausen
Fertigstellung
2017–2022
Gebäudekosten BKP 2
CHF 36.8 Mio. exkl. MWST.
Gebäudevolumen
48'820 m3
Kubikmeterpreis
754 CHF/m3 exkl. MWST.
Energiestandard
MukEn 2018
Zertifizierung SNBS Platinum
Fotos
René Dürr, Zürich