Weiterbauen in geschichtsträchtiger Umgebung

Architekturbüro Beda Dillier
11. Januar 2024
Die Rückversetzung der neuen Aufstockung mit drei Wohnungen erhöht die Präsenz des regionalen Baudenkmals «Züghuss» nebenan. In dem Gebäude aus dem Jahr 1599 befindet sich heute das Historische Museum Obwalden. (Foto: Roger Frei)
Herr Dillier, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Die Hafner- und Plattenleger-Dynastie Dillier – nicht direkt verwandt mit mir übrigens – besteht seit über 225 Jahren und hat ihren Firmensitz seit alters im Sarner «Unterdorf». Das ursprünglich ausserhalb des Dorfkerns liegende Gebiet der «Unteren Allmend», für welches das ISOS national weitreichende Schutzziele formuliert hat und im Zonenplan entsprechend eine Ortsbildschutzüberlagerung besteht, war Standort verschiedener Handwerks- und Kleingewerbebetriebe. Ebenfalls an der einstigen nördlichen Sarner Peripherie befindet sich das 1599 erbaute «Züghuss». Das ursprüngliche Zeughaus und heutige Historische Museum Obwalden geniesst als regionales Baudenkmal hohe Schutzwürdigkeit. Dieser Schutz strahlt als Umgebungsschutz auf die umliegenden Liegenschaften aus, also auch auf die Bauparzelle in unmittelbarer Nachbarschaft – alles in allem also eine besonders anspruchsvolle Bauaufgabe in geschichtsträchtiger Umgebung.

Diese historische Aufnahme zeigt das Magazingebäude der Firma Dillier+Co an der Brünigstrasse 125. Rechts daneben ist das altehrwürdige Zeughaus zu sehen, das hier noch keine Bogenfenster im Erdgeschoss besitzt. Diese wurden erst im Zuge eines Umbaus im Heimatstil im Jahr 1927 hinzugefügt. (Foto: unbekannt)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Unsere Grundidee war es einerseits, dem «Züghuss» von Norden her mehr Präsenz zu geben, indem die neue Aufstockung im Vergleich zu den Obergeschossen aus den 1950er-Jahren um drei Meter nach hinten rückt. Gleichzeitig wird durch diese architektonische «Rückung» der Obergeschosse das Erdgeschoss strassenseitig freigestellt und so zur Erinnerung an das einstige eingeschossige Magazingebäude. Diese punktuelle rekonstruktive Massnahme hat es erlaubt, das Volumen des neuen Gebäudeteils bedeutend «kräftiger» auszuführen als den ersetzten Bestand. 

Ein weiterer Grund für die Verschiebung des «Oberbaus» war ein gebäudestatischer: Das historische, auf einem quadratischen Grundriss errichtete Magazingebäude konnte so ohne aufwendige Abfangkonstruktionen integral erhalten werden. Insgesamt ist das neue Wohn- und Gewerbegebäude so konzipiert und gestaltet, dass die eigentlich markante bauliche Veränderung bereits kaum mehr im allgemeinen Bewusstsein ist: Das umgebaute Gebäude steht heute da, als hätte es nie anders ausgesehen.

Verschiedene giebelständige Wohn- und Geschäftshäuser neben dem Historischen Museum mit den erwähnten Bogenfenstern aus den 1920er-Jahren. (Foto: Roger Frei)
Das Wohn- und Geschäftshaus vor dem Umbau. Über dem historischen Magazingebäude wurde in den 1950er-Jahren die Wohnung der Inhaberfamilie Dillier erstellt. (Foto: © Dillier Feuer + Platten AG)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Die Bauherrschaft ist tief an ihrem Stammsitz verwurzelt und hat sich für das Bauvorhaben genügend Zeit eingeräumt, was zu einer sehr entspannten, vertrauensvollen Zusammenarbeit führte. 

Überdies hat sie ein ausgezeichnetes Einvernehmen mit den Nachbarn, weshalb diese dem Bauvorhaben trotz seiner im Vergleich zum vormaligen Bestand beträchtlichen Mehrausmasse stets wohlgesinnt waren. Die bestehenden Servitute konnten bis hin zu Grenzbau- und Anbaurechten erweitert werden. Auch mit dem Kanton Obwalden als Grundeigentümer der Liegenschaft des Historischen Museums wurde ein einvernehmlicher Weg gefunden. Diese leider nicht immer anzutreffende positive Grundstimmung aufseiten der Auftraggeber und vor allem auch der Nachbarn hat den Entwurf und den ganzen Bauprozess begleitet.

Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Der entscheidende Lösungsansatz, das Hauptvolumen von der Strasse wegzurücken, also das Historische Museum und das ehemalige Magazingebäude freizuspielen, und im Gegenzug rückwärtig im Sinne der inneren Verdichtung einen grösseren «Oberbau» zu realisieren, stand zu Beginn des Entwurfsprozesses schnell fest und führte zielgerichtet zu einem Konsens zwischen kantonaler Denkmalpflege, kommunaler Baubewilligungsbehörde und Bauherrschaft. Die Suche nach der adäquaten formalen Ausgestaltung des neuen Gesamten beanspruchte in der Folge mehr Zeit. Anhand von vielen Modellen wurden insbesondere verschiedene Dachformen geprüft und diskutiert.

Im Vordergrund steht das Magazingebäude, welches durch die Rückversetzung der mehrgeschossigen Aufstockung in Holzbauweise statisch entlastet und integral erhalten werden konnte. (Foto: Roger Frei)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Das Bauen im historischen Kontext nimmt seit einigen Jahren einen nicht unbedeutenden Raum ein in unserer Arbeit. Wir stellen dabei fest, dass in letzter Zeit der Mut oder die Selbstsicherheit für dezidierte architektonische Statements allgemein schwindet. Einem allzu historisierenden (um nicht zu sagen «eskapistischen») Trend versuchen wir uns aber zu entziehen. Dieses Gebäude nimmt sich trotz seiner stattlichen Grösse durch die Rückversetzung nicht nur städtebaulich, sondern auch architektonisch zurück, indem es als «Variation» des Altbestands auftritt und dem benachbarten Baudenkmal seine Hauptrolle nicht streitig macht.

Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Das Gebäude besteht heute ungefähr je zur Hälfte aus Alt- und Neubau. Die Aufstockung in Holzbau wurde über dem bestehenden Sockel aus Erd- und Untergeschoss errichtet – ein möglichst grosser Teil des Gebäudebestands wurde also wiederverwendet. Ebenfalls beibehalten werden mussten der bestehende Liftschacht und der Treppenhausstandort, was auf die Grundrissdisposition der Wohngeschosse entscheidenden Einfluss hatte.

Eine Aufstockung in Massivbauweise wäre allein schon aus statischen Gründen nicht möglich gewesen. Die Verwendung von Holz als Baumaterial stand also von Anfang an fest. 

Für die äussere Erscheinung des Gebäudes kam Holz indes nicht infrage, weil das von der Bauherrschaft aus naheliegenden Gründen favorisierte Fassadenmaterial Keramik mit Holz keine befriedigende Kombination darstellte und weil der neue architektonische Habitus an den massiven, verputzten Vorgängerbau erinnern sollte. Auch die neue Farbgebung mit verschiedenen Rottönen (Altrosa und Beryllrot) stützt sich auf die altgewohnte.

Die drei neuen Wohnungen profitieren vom ruhigen Innenhof und vom schönen Blick in die südländisch anmutende «Museummätteli»-Gartenanlage. (Foto: Roger Frei)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Die untersten beiden Geschosse sollten, wie ich schon erklärt habe, bestehen bleiben und die markante Aufstockung ohne unverhältnismässig aufwendige statische Verstärkungsmassnahmen tragen können. Von daher hat in erster Linie der konstruktive Holzbau einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des Bauvorhabens geleistet. In der sehr beengten Situation des Bauplatzes war eine kurze Rohbauzeit, die durch die Vorfabrikation möglich wurde, ebenfalls ein wichtiges Kriterium. Dass das Gebäude eine Vielzahl von Cheminée-Öfen beziehungsweise Kaminen aufweist und an der Fassade mit Plattenarbeiten glänzt, versteht sich angesichts des Firmennamens Dillier Feuer + Platten AG von selbst.

Situation (© Architekturbüro Beda Dillier)
Grundriss 1. und 2. Obergeschoss (© Architekturbüro Beda Dillier)
Grundriss Dachgeschoss (© Architekturbüro Beda Dillier)
Westfassade (© Architekturbüro Beda Dillier)
Nordfassade (© Architekturbüro Beda Dillier)
Ostfassade (© Architekturbüro Beda Dillier)
Südfassade (© Architekturbüro Beda Dillier)
Bauwerk
Umbau eines Wohn- und Geschäftshauses
 
Standort
Brünigstrasse 125, 6060 Sarnen
 
Nutzung
Wohn- und Gewerbegebäude
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Dillier Feuer + Platten AG
 
Architektur
Architekturbüro Beda Dillier, Sarnen
Manuela Bühlmann, Erich Vogler und Beda Dillier
 
Fachplaner
Holzbauingenieur: Lauber Ingenieure AG, Luzern
Bauingenieur: ZEO AG, Alpnach und Giswil
Brandschutz: Lauber Ingenieure AG, Luzern
 
Fertigstellung
2022
                                                                            
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 3.0 Mio.
 
Fotos
Roger Frei

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