Die Musikschule Adliswil ist «Bau des Jahres»

Elias Baumgarten
1. Februar 2024
Grafik: Swiss-Architects.com, basierend auf Fotos von Roger Frei und Nakarin Saisorn

In unserer Rubrik «Bau der Woche» stellen wir regelmässig neue Bauwerke von Schweizer Architekturschaffenden vor. Auch Arbeiten, die ausländische Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz verwirklicht haben, finden Beachtung. Immer im Januar haben alle Interessierten die Möglichkeit, aus den im Vorjahr präsentierten Bauten ihren Favoriten zu wählen – den «Bau des Jahres».

Die zehn beliebtesten Bauwerke werden seit 2020 zusätzlich beim Kurzvortragsabend «Eure Besten» von den Architektinnen und Architekten live präsentiert. Wir richten den Anlass gemeinsam mit dem Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen der ZHAW aus. Er findet jedes Jahr im Herbst statt. Weitere Informationen zur heurigen Ausgabe folgen in Kürze.

Das Schöne an einem Publikumspreis ist, dass er zeigt, wie sehr Architektur Menschen zu berühren vermag. Manche Bauten wecken so starke Emotionen, dass Tausende für sie abstimmen und andere überzeugen, es ihnen gleichzutun. Unsere Leserwahl zum «Bau des Jahres» hat schon viele solche Geschichte geschrieben: Voriges Jahr zum Beispiel gewann der beliebte Aussichtsturm im Hardwald von Nadja und Lukas Frei mit überwältigendem Vorsprung. In den fünf Zürcher Gemeinden, die den Holzturm gemeinsam bauten, war die Begeisterung riesig und es kam eine Rekordzahl an Stimmen zusammen. Ähnliches ereignete sich 2020: Mit dem Muzeum Susch von Chasper Schmidlin und Lukas Voellmy wurde ein Umbauprojekt ausgezeichnet, auf das ein ganzes Tal stolz ist. Und auch in diesem Jahr gibt es wieder eine Geschichte von Begeisterung und grossen Emotionen zu erzählen: Die Menschen in Adliswil mögen den Umbau einer alten Kapelle zur Musikschule so sehr, dass sie ihm zum Titel «Bau des Jahres 2023» verholfen haben.

Warum aber identifizieren sich überhaupt so viele mit dem Projekt des Zürcher Büros Züst Gübeli Gambetti? Was zeichnet die neue Musikschule architektonisch aus? Die Kapelle neben der Schulanlage Kronenwiese wurde im Jahr 1900 gebaut und bereits 1904 zum Kindergarten umgestaltet. Immer wieder wurde der frühere Sakralbau in der Folge verändert – und immer wieder litt dabei seine architektonische Qualität. Die historischen Rundbogenfenster wurden zum Beispiel gekappt, eine Zwischendecke verunstaltete den schönen Kapellraum. Züst Gübeli Gambetti brachten die Qualität des Bauwerks wieder zum Vorschein. Sie entfernten die Zwischendecke, konstruierten ein neues Gewölbe und setzten die Rundbogenfenster wieder ein. So machten sie aus dem Kapellraum einen wunderbaren Musiksaal. Neu verbindet ein skulpturales Treppenmöbel Erd- und Obergeschoss – mit etwas Fantasie fühlt man sich an eine Kanzel erinnert. Im ersten Stock sind sechs intime Kabinette entstanden. Die Dachschrägen und schief zulaufende Wände verleihen ihnen eine einzigartige Atmosphäre und sorgen für eine gute Akustik. Den Kindern gefallen besonders die grossen Bullaugen in den blauen Türen der Zimmer. Apropos Blau: Einzigartig macht die Musikschule auch der Einsatz fröhlicher Farben in den Innenräumen und an den Fassaden.

Fragwürdige Änderungen hatten die architektonische Wirkung des Kapellraums beeinträchtigt. Mit rekonstruierten Rundbogenfenstern, einem neuen Deckengewölbe, Täfern und raumhohen Vorhängen in kräftigen Farben dient er nun als Musiksaal und Gemeinschaftsraum. (Foto: Nakarin Saisorn)
Die Architekten haben eine skulpturale Treppenanlage gestaltet, die vom Foyer ins Obergeschoss führt. (Foto: Roger Frei)
Blick in eines der sechs Kabinette im Obergeschoss. (Foto: Roger Frei)

Betreten wird die Musikschule über einen Anbau, den die Architekten neu hinzugefügt haben. Er nimmt das Foyer, die Erschliessung, einen Schulraum sowie das Schulleiter- und Lehrerzimmer auf und hat eine ausdrucksstarke geknickte Form. Auf diese Weise wollten Züst Gübeli Gambetti einen Ort des Ankommens schaffen. Dass der neue Gebäudeteil eine andere Architektursprache spricht als der Bestand, stört dabei keineswegs – im Gegenteil: Das facettenreiche Gebäude bringt einen willkommenen Farbtupfen in die Nachbarschaft. Das vormals blass wirkende Baudenkmal hat seinen Glanz zurückgewonnen.

Der hergerichtete Bestandsbau hat eine Ergänzung erhalten. Farbe und Materialisierung binden Alt und Neu zusammen. (Foto: Roger Frei)
Von links nach rechts: Grundrisse von Erd- und Obergeschoss (© Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau)
Schnitt (© Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau)
Das Erschliessungssystem der Siedlung Waldacker in St.Gallen bildet einen halbprivaten Schwellenraum. Die Bewohnerinnen und Bewohner halten sich gern dort auf. (Foto: René Dürr, Zürich)
Rang zwei: Eine starke Gemeinschaft

Viele Stimmen entfliehen auch auf ein Ostschweizer Projekt: die Siedlung Waldacker in St.Gallen. Obwohl die Anlage mit 110 Wohnungen recht gross ist, hat das Team des Büros Oxid Architektur es geschafft, ein starkes Wir-Gefühl zu erzeugen. Die Siedlung besteht aus zwei zeilenartigen Holzbauten, die den Höhenlinien folgen. Zwischen den Häusern befindet sich ein begrünter Gemeinschaftsraum. Die Bewohnerinnen und Bewohner erreichen ihre Wohnungen über ein aussenliegendes Erschliessungssystem mit Veranden, das eine hohe Aufenthaltsqualität bietet. Dieses Konzept findet sich bei den Wohnbauten des Nachfolgebüros von Burkhalter Sumi übrigens des Öfteren – zum Beispiel bei der Casa di Ringhiera in Bellinzona, die 2021 fertiggestellt wurde.

Wichtig ist den Architekten das enkelgerechte Bauen, weshalb sie bei Neubauten bevorzugt auf den Naturbaustoff Holz setzen. Die Gebäude der Siedlung Waldacker sind so konstruiert, dass sie sich besonders einfach rückbauen lassen und ihre Teile anschliessend erneut verwendet werden können.

Die Holzkonstruktion der Häuser wird offen gezeigt. (Foto: René Dürr, Zürich)
Besonders der begrünte Gemeinschaftsraum zwischen den Häuserzeilen macht die Anlage aus. Er erzeugt ein Wir-Gefühl unter den Bewohnerinnen und Bewohnern. (Foto: René Dürr, Zürich)
Beat Lengen und Arza Hajdarevic haben ein tristes Bürogebäude zu einem ansprechenden Mehrfamilienhaus umgestaltet. Abriss und Neubau kamen für die Bauherrschaft zu keinem Zeitpunkt infrage. (Foto: Federico Farinatti)
Rang drei: Vom Bürogebäude zum Wohnhaus

Grossen Anklang fand auch das Projekt von Beat Lengen und Arza Hajdarevic. In Uitikon-Waldegg nahe Zürich haben die beiden jungen Architekten ein Bürogebäude zu einem Wohnhaus umgebaut. Der vormals unansehnliche Bau ist kaum wiederzukennen: Das Treppenhaus haben die Architekten verschoben, den Eingang verlegten sie an die Zürcherstrasse. Die Fassaden wurden neu gestaltet, auf den Giebelseiten gibt es nun grosse Öffnungen. Im Inneren wichen die altbackenen Büros räumlich reichen Wohnungen. Durch die Umgestaltung hat das Haus eine klare Adresse erhalten. Es ist jetzt eine Bereicherung für das Ortsbild.

Das Treppenhaus wurde verlegt, neu befindet sich der Eingang an der Zürcherstrasse. (Foto: Federico Farinatti)
Auf den Giebelseiten wurden die Fassaden grossflächig geöffnet. (Foto: Federico Farinatti)
Foto: Federico Farinatti

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