Ein Tag in Mailand

Jenny Keller
19. April 2012

Neben dem «salone» ist auch die gesamte lombardische Hauptstadt im Ausnahmezustand. Zahlreiche Showrooms, Galerien und ganze Quartiere stehen «fuori salone» ganz im Zeichen des – mehr oder weniger guten – Designs. Angesichts der zahlreichen Fülle der Veranstaltungen, wissen Mailand-Besucher dieser Tage kaum, wohin Sie gehen sollen. Wir haben uns am ersten offiziellen Tag des «salone» auf nach Mailand gemacht, um die ersten Eindrücke und subjektiven Highlights in Bild und Wort am selben Abend ganz frisch in die Schweiz zurückzubringen. Die Zusammenstellung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit; wie könnte das an einem einzigen kurzen Tag auch gelingen.

Fuori salone
Nach der offiziellen Möbelmesse haben wir es deshalb nur noch an die MOST geschafft, ein von Tom Dixon initiiertes «Epizentrum frischer Ideen», dessen Besuch wir wärmstes empfehlen können. Die MOST findet dieses Jahr zum ersten Mal statt. Einige Hallen des «Museo Nazionale della Scienza», wo sich die MOST neben alten Lokomotiven und Schiffen an einmaliger Location befindet, kann man getrost links liegen lassen.

Ein Leuchtenmeer von Tom Dixon an der Most. Alle Bilder, falls nicht anders vermerkt: Valentina Herrmann

Der Rundgang durch die fünf Gebäude des Museums beginnt mit einer Gratisregistrierung und führt nach dem temporären Büro von dezeen zu einem Spiegelkabinett mit Leuchten des Initianten, Tom Dixon. Danach kann man sein eigenes Gelato designen und angekommen im ersten Innenhof trafen wir auf Zaha Hadid. Ganz benommen gönnten wir uns einen Drink bei der Soda Bar («Summer Girl» ist zu empfehlen), bevor wir in einem Raum mit alten Lokomotiven dem Maschinenhersteller Trumpf bei der Fertigung der zuvor gesehenen Leuchten zuschauen konnten. Weitere Designer, vornehmlich aus UK präsentieren dann ihre feinen und durchaus zahlbaren Kollektionen um einen wunderschönen Innenhof. Aufgefallen sind Blu Dot und SCP, die nicht nur mit ihren Entwürfen, sondern auch mit schön gestalteten Katalogen im Zeitungsformat auf sich aufmerksam machen.

Zum Glück gibts Wegweiser an der MOST.

Danach kann man eigentlich wieder den Rückweg antreten, weil die Qualität der Designer an der MOST sinkt, je länger der Rundgang dauert. Aber zuerst sollte man sich etwas zu Essen im Spring Restaurant nicht entgehen lassen, das mit Mobiliar von Tom Dixon ausgestattet ist und ursprünglich der Speisesaal der Mönche war, deshalb befindet man sich auch unter einem riesigen Abendmahl-Gemälde.

Stillleben an der MOST.

Salone del Mobile 
Was uns beim Besuch der Halle 20, dort befinden sich die grossen Möbelhersteller, aufgefallen ist: Die Messe ist sehr gut besucht. Auch wenn in der ersten Zeile der Pressemitteilung des «salone» von einer signifikanten Wirtschaftskrise die Sprache ist, die sich in Mailand vor allem darin zeigt, dass das Angebot zurückgegangen ist und sich auch sonst verändert hat. Gleichzeitig hat man ältere Stücke wiederentdeckt, neu aufgelegt und an den heutigen Markt angepasst, zum Beispiel, indem man sie mit zeitgemässen Materialien versehen hat.

Nostalgie an einen verlorenen status quo sei festzustellen, schreibt Marva Griffin, die Kuratorin des Nachwuchs-Salones «salone satellite» in der Medienmitteilung weiter. Die Nostalgie beziehe sich aber auf unterschiedliche Epochen, auf ein zeitliches «Woanders». Wir haben das auch so empfunden, bevor wir die offiziellen Texte des «salone» überhaupt gelesen haben. Retro-Design wie es der dänische Hersteller Jørgensen an seinem blauen (auch eine Trendfarbe) Stand zeigte, ist zwar nichts Neues, aber sehr präsent dieses Jahr.

Handarbeit und Retro-Design beim dänischen Hersteller Jorgensen.

Zeitweilen sieht man auch Produkte, die ein Lächeln auf die Lippen der Betrachter zaubern, weil sie mit einer Leichtigkeit und einer Ironie daherkommen, die gut tun. Designer sind natürlich immer noch Superstars in Mailand, aber werden nicht mehr als solche gehandelt, so stand Ronan Bouroullec ganz entspannt am Vitra-Stand und unterhielt sich ungestört mit Hanns-Peter Cohn. Ebenfalls steht das Handwerk - und damit ebenfalls ein Besinnen an eine frühere Zeit - im Vordergrund. Wir sahen viel Gesticktes, Geflochtenes oder Gehäkeltes.

Der überdimensionierte Kreuzstich bei Gan führt zu Gobelins und Teppichen in der Version 2.0.

Aphabethische Auswahl einiger Aussteller

adele-c
Ein Spiel mit der Ironie und eins mit den Proportionen hat sich der Designer Ron Gilad für das Daybed von adele-c erlaubt. Vier kleine Thonet-Stühle aus Stahl unterstützen nun eine Matratze. Eine schöne Idee und ein schöner Stand, der sehr poetisch und ruhig auf uns wirkte und im lauten Rummel richtig gut tat. Die Tochter von Cesare Cassina, Adele, hat die Firma gegründet und lässt poetische Stücke von Künstlern entwickeln, um das «expressive Potenzial von Materialien und Objekten» in limitierten Stücken zu zeigen.
Halle 20, B03

Das Daybed von adele-c steht auf Thonet-Miniaturen. Bild: Adele-c

Artek
Der Deutsche Gestalter Mike Meiré hat den Messestand von artek in Mailand gestaltet und dem Hocker «60» von Alvar Aalto aus den Dreissigerjahren neue Anstriche verpasst.
Halle 16, D26

Bolon
Bei diesem Stand gibt es Teppich am Boden, an den Wänden und an der Decke. Dazu ein schwarzer Mann mit düsterer Miene, der mal sitzt, mal in der Luft liegt und dabei auch noch liest. Aber halt, den kennen wir doch: Der schwedische Teppichhersteller Bolon präsentiert seinen Stand in Zusammenarbeit mit Jean Nouvel.
Ein Stand, an dem viele Besucher Modell sassen, um auch ein Foto mit dem französischen Architekten zu haben…
Halle 16, Stand B27

Eine Plastik von Jean Nouvel mit Fan am Stand von Bolon.

ClassiCon
ClassiCon stellt mit seinem «Bell Table» von Jungdesigner Sebastian Herkner (Jahrgang 1981) den gewohnten Umgang mit den Materialien auf den Kopf. Auf einen Tischfuss aus farbigem Glas, stellt der Designer die Tischplatte aus schwerem Metall ganz selbstverständlich drauf. Schön.
Halle 20, Stand D07

Die Neuheit bei Classicon.

Kartell
Kartell hat einen riesigen Stand und präsentiert unter dem Thema «Work in Project» einige Neuheiten und Produkte, die nun zum Verkauf bereit sind: mitsamt Prototypen («don't touch»), Skizzen und fingierten skype-Telefonaten mit den jeweiligen Designern (Philippe Starck, Piero Lissoni, Patricia Urquiola, Tokujin Yoshioka, Mario Bellini, Ferruccio Laviani, Eugeni Quitllet und Rodolfo Dordoni) kann man den Herstellungsprozess der Produkte nachverfolgen. Uns hat der «Comback Chair» von Patricia Urquiola am Besten gefallen, der zwar schon seit zwei Jahren auf dem Markt ist, aber wunderbar ins beobachtete Nostalgie-Thema passt.
Halle 20, A15-B14

Patricia Urquiolas Entwurf für Kartell lehnt sich an den Windsor Chair an. Bild: Kartell

Missoni Home
Wer sich immer noch nicht ganz sicher ist, ob ein Missoni-Kleid wirklich Typengerecht für einen ist, kann es ja einfach einmal mit einem Bettbezug versuchen. Das Mailänder Familienunternehmen Missoni zeigt auch dieses Jahr wieder seine Home-Collection, die durch farbige Designs und Muster Leben und Freude ins eigene Haus bringt.
Halle 20

Bettwäsche von Missoni Home.

Vitra
Der Stand von Vitra ist nicht zu übersehen, so gross und weiss steht er in Halle 20 doch ziemlich in der Mitte. Mit Wänden aus Plastiktruhen, in denen sonst allerlei Krimskrams versorgt wird und vielen einzelnen «Zimmern», die mit Vitra-Produkten ausgestattet neue Assoziationen schaffen und äusserst liebevoll daherkommen. Weshalb man die schönen Arrangements auch ungestört betrachten kann: Der Boden der Themenzimmer schwebt auf Kniehöhe, so dass auch die kühnsten Besucher sich nicht trauen, hochzuklettern.

Die «Corniches» bei Vitra stammen von den Gebrüdern Bouroullec. Bild: Vitra

Eine bemerkenswerte Neuheit, die Vitra präsentiert, sind die «Corniches» der Brüder Bouroullec. Wie kleine Felsvorsprünge an Küstenstrassen, auf denen sich in der Natur die Vögel niederlassen, (daher wohl der Name?) bieten sich die Kunststoff-Corniches als flexible Abstellfläche für Bücher, Schlüssel, Blumensträusse etc. an.

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