«Jeder schreit und niemand diskutiert»

Jenny Keller
23. August 2012
Visualisierung des Schweizer Pavillons in den Giardini von Venedig. Bild: M. Šik

Für wen braucht es eine Architekturbiennale?
Es ist ein Ort der Auseinandersetzung mit dem Thema Architektur. Die Biennale in Venedig zeigt seit 1920 Kunst, zum 13. Mal findet nun alternierend eine Architekturbiennale statt. Ich behaupte, sie hat seit ihren Anfängen die Architekturdiskussion bereichern können.
 
Sie haben Ihre Ausstellung im Schweizer Pavillon unter dem Titel «Und jetzt das Ensemble!» konzipiert. Was meinen Sie damit?
Die Ausstellung zeigt Arbeiten von deutschschweizerischen Büros. Ich wurde von prohelvetia als Vertreter der Schweiz nominiert und wollte mein Wirken erweitern durch Resultate verwandter Büros, die ähnlich arbeiten wie ich. Knapkiewicz & Fickert sowie Miller & Maranta beschäftigen sich auch seit Jahren mit dem kontextuellen Entwurf. Zu betonen ist vielleicht noch, dass das kontextuelle Entwerfen momentan wirklich eine deutschschweizerische Spezialität ist. Wir streben nach einem Pluralismus, einer komplexen Art der Beziehung von Bauten untereinander an einem Ort. So ist das Wort «Ensemble» zu verstehen. Die Gebäude treten in Dialog zueinander, sie bilden jedoch keine Einheit. Und natürlich auch kein Chaos.

Der Giacometti-Pavillon und Šiks Handschrift.

Weshalb arbeiten sie gerade mit diesen beiden Büros zusammen?
Wir teilen architektonische Vorlieben, die weit über das Ensemble hinausreichen; uns interessiert zum Beispiel, welche Stimmung im Raum vorherrschen sollte oder welche architektonischen Geschichten der Stadt zu betonen sind. Ich hätte durchaus auch mehr Büros einladen können. Wir wollen aber gemeinsam auch noch ein Kunstwerk produzieren.
 
Da kommen wir auch gleich zu meiner nächsten Frage. Was werden Sie im Pavillon ausstellen?
Das Ensemble ist zum einen Titel und Schlagwort. Es wird aber gleichzeitig auch zum Objekt, an dem wir die Theorie zeigen: Wir werden Projekte und Bauten der letzten Jahre, die wir für das Thema geeignet halten, in einem Fresko darstellen. Die Bauten werden zueinander Bezug nehmen, und wir werden zeigen, dass man mit gutem Willen fast alles miteinander verheiraten kann.

Der Dialog mit der vorhandenen Architektur ist zentral in Ihrem Unterricht an der ETH. Inwiefern tritt die Ausstellung in den Giardini von Venedig in Dialog zum Pavillon von Bruno Giacometti?
Im grossen Saal von Giacomettis Pavillon wird sich ein 60 Meter langes Wandbild befinden. Eine Intervention, die man danach auch wieder überstreichen kann. Es ist wahrscheinlich eine der kleinsten Eingriffsmöglichkeiten in Giacomettis Architektur. Wir lassen seine Räume durch das Ausstellungskonzept wirken; bei der Idee hinter dem Ensemble geht es auch um einen respektvollen Umgang miteinander. Wir wollen im Umgang mit dem Bau sagen: «Ich verstelle den Giacometti nicht. Ich hole keine fremden Elemente in den Bau der Fünfzigerjahre-Moderne». Es geht uns um einen respektvollen Umgang miteinander.
 
Wir sind nicht Venturi, der nur das Triviale zeigt, wir sind aber auch nicht wie einst bei Rossi oder Giorgio Grassi nur auf der Suche nach dem Schönen oder dem Geschichtlichen. Das was vorhanden ist, ist der Stoff, ist die Ausgangslage. Ich will, dass massstäblich mit den jeweiligen Orten umgegangen wird. Und dass man das Programm, das man zu realisieren hat, mit diesem Ort sozusagen verheiratet. Das ist wörtlich zu verstehen: Es gibt Tausende von Wegen wie Ehepartner miteinander auskommen können, aber sie sind immer auf den Dialog angewiesen. Ansonsten fällt die Ehe auseinander.

Das  wollen wir nicht, aber genau das passiert in der letzten Zeit mit der Stararchitektur. Wunderschöne Objekte, skulptural bearbeitet, mit den schönsten Materialien und Raumabfolgen stehen an einem Ort wie Solitäre. Das wird längerfristig – wenn jeder so arbeitet – zu einem Bild führen, wie wir es von Hongkong, Chicago oder Singapur kennen: Mit der Zeit ist das Schreien der verschiedenen Bauten derart gross, dass ihre Individualität gar nicht mehr wahrgenommen wird. Alles wird sich in seiner globalen Monotonie gegenseitig aufheben. Jeder schreit und niemand diskutiert.

Der Kurator auf der Baustelle. Bild: biennials.ch

Haben Sie sich bei den Vergangenen Ausstellungen der Kunst- und Architekturbiennale inspirieren lassen? Gehört die Geschichte auch zu diesem Dialog?
Ich muss diesen Ort selbstverständlich immer wieder reflektieren, auch geschichtlich. Aber diese Geschichte sollte nicht a priori die akademische Geschichte sein.

Wie soll der nächste, der diesen Pavillon bespielt, auf Ihre Arbeiten eingehen?
Der gesunde Menschenverstand sagt, dass nicht alles so wertvoll ist, dass es für die nächsten Generationen überliefert werden muss. Diese Architekturdiskussion ist vielleicht heute und noch ein paar Jahre spannend, und dann wird eine kommende Generation wieder einen städtebaulichen und architektonischen Problemkreis definieren. Es wird durchaus Menschen geben, die meine Ausstellung nicht anspricht, denn wir treffen eine einzige Aussage: Bauten können miteinander kommunizieren.

Wahrscheinlich kann man diese Ausstellung auf zwei Arten betrachten: Für die einen, die schnell hindurchgehen, werden wir eine schöne Collage machen, ein imposantes Fresko von 6 Meter Höhe und 60 Meter Lauflänge. Das ist wohl auch für Leute ansprechend, die nicht Architekten sind. Man kann sich aber auch in unsere Theorie vertiefen. Die Schweiz präsentiert sich als Land, das eine Architektur in der Theorie und mit praktischen Resultaten zeigt.

Es gibt einen Ort, wo man alle Dinge, die wir projizieren, auch noch analytisch betrachten kann. Inspiriert hat uns dabei die Romeo-und-Julia-Wand in Verona, wo Referenzen aus der ganzen Welt zu finden sind. Wir werden im dritten Saal alle architektonischen Referenzen von Kolleginnen und Kollegen, die Ännliches schon vor uns versucht haben, aufhängen. Das Ensemble ist ja nicht die Erfindung von Šik, Knapkiewicz & Fickert und Miller & Maranta. Wir knüpfen an einem Teppich weiter: Landistil, Wiederaufbau, Novecento und auch postmoderne Architekten werden wir nach Venedig mitnehmen.

La Biennale die Venezia – Schweizer Pavillon
29.8. - 25.11.2012, Giardini della Biennale, Venedig

Fertig mit dem Schaulaufen individueller Architekten und der Aneinanderreihung kommerzieller Monumente: Als Kurator der 13. Architekturbiennale in Venedig will der englische Architekt David Chipperfield, der für die Kunsthauserweiterung in Zürich verantwortlich zeichnet, die Architektur wieder zurück in die Gesellschaft tragen. Sein Leitmotiv «Common Ground» bildet auch für den Schweizer Beitrag unter der Leitung von Miroslav Šik das ideologische Fundament. Als Begleitprogramm ergänzt die prohelvetia, seit diesem Jahr hauptverantwortlich für den kulturellen Auftritt der Schweiz an den Kunst- und Architekturbiennalen, die Ausstellung von Miroslav Šik mit dem «Salon Suisse» im Palazzo Trevisan degli Ulivi. Hier werden Lesungen und Referate sowie Diskussionsrunden statttfinden.

Zur Vertiefung:
geeint: Über die 13. Architekturbiennale von Juho Nyberg und Franziska Quandt,
in eMagazin #20|12, Swiss-Architects.com, 17.5.2012
www.labiennale.org
www.biennials.ch

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