Nagelhaus Zürich

Juho Nyberg
22. September 2010
Ansicht von Süden. (Bild: Stadt Zürich)

Im Rahmen von grossen Infrastrukturprojekten wird jeweils ein gewisser Prozentsatz – etwas zwischen einem halben und anderthalb Prozent der gesamten Bausumme – für Kunst am Bau verwendet. Treffen verschiedene Grossprojekte aufeinander, wird die Sache naturgemäss komplizierter. Im Fall der Sanierung der Hardbrücke und der Verlängerung der Tramlinie Zürich West wurde entschieden, die Kunst getrennt zu behandeln. Im Schnittpunkt der beiden Bauvorhaben befindet sich der Escher-Wyss-Platz: einerseits ein durch die Brücke verdeckter Knotenpunkt, andererseits so etwas, wie das Tor zu Zürichs aktuellem Entwicklungsgebiet, das dereinst gleich viele Einwohner wie Uster haben wird, ca. 30'000! Bereits jetzt sind erste Objekte vollendet oder im Entstehen: Die Viaduktbögen von EM2N oder der Swiss Prime Tower von Gigon/Guyer. Beide stehen noch am Rand des Gebietes, aber die Richtung ist bereits klar.

Entwicklungsgebiet Zürich West: Das Nagelhaus als Drehpunkt (Stern). (Bild: Flyer Stadt Zürich)

Am Eingangs- und Drehpunkt zu diesem neuen Gebiet soll das Nagelhaus zu stehen kommen. Hervorgegangen aus einem internationalen Wettbewerb vermochte das Projekt die Jury zu überzeugen. Dabei war neben der konsequenten Verwebung von Architektur und Kunst ebenso wichtig, dass es als einziger Beitrag den Escher-Wyss-Platz mit zwei Volumen einfasst. Das dadurch aufgespannte Feld wird durch die verschiedenen Nutzungen unterschiedlich bespielt: Während der Kiosk unter der Brücke zwischen den beiden Wendeltreppen in eher gewohnter Weise Passanten versorgt, lugt das Nagelhaus an der neu verkehrsfreien Ecke zwischen Hard- und Limmatstrasse unter der Brücke hervor und lädt aus der Kompression entlassen zum Durchatmen ein. Hierin befindet sich das Restaurant, das im Wettbewerbsprogramm nicht ausdrücklich gefordert war. Farblich kontrastieren die beiden Antipoden: Rot, wie das Vorbild, das Nagelhaus; grün der Kiosk unter der Brücke. Der Zwischenraum der beiden Baukörper wird mit Kugelleuchten erleuchtet, die sich die Unterseite der Hardbrücke zu eigen machen und formal an die allseits bekannten asiatischen Lampions erinnern. Die Leuchten wurden in Zusammenarbeit mit einem Leuchtenhersteller entwickelt, um den Anforderungen zu entsprechen. Die Serienfertigung der Leuchte steht demnächst an, womit ein Stück der bereits jetzt schon wechselvollen Geschichte des Zürcher Nagelhauses in die Welt hinaus getragen wird – ob es letztlich gebaut sein wird oder nicht.

Neu gefasster Escher-Wyss-Platz, links das Nagelhaus, rechts der Kiosk. (Bild: Stadt Zürich)

Überhaupt ist das ein, wenn nicht der Trick des Siegerprojektes. Dadurch, dass Thomas Demand ein medial omnipräsentes Objekt zur Grundlage seiner Arbeit macht, hat so gut wie jeder eine Konnotation dazu. In erster Linie ist dies natürlich die Geschichte des chinesischen Nagelhauses. Wie viel im Zuge dieser auf der Hand liegenden Assoziation in das Projekt hinein interpretiert worden ist und immer noch wird, ist erstaunlich. Gleichzeitig zeigt es das Potential, das in der Kunst im Allgemeinen und in diesem Projekt im Besonderen steckt. Während die Rechte – ganz pragmatisch – es als überteuerte Bedürfnisanstalt ansieht, ereifern sich am linken Rand des politischen Spektrums Exponenten ob der Usurpation des Symbols, das das Vorbild darstellte. Dass dabei das Kunstwerk dem Feind Autobahn zugeordnet wird, um eine wohlfeile Projektionsfläche für ihre Angelegenheiten zu haben, zeugt nicht gerade von Redlichkeit. Ebenso könnte es, wollte man es denn positiv attribuieren, auch dem Tram Zürich West zugeordnet werden, was einem links-grünen Adelsschlag gleich käme.
Wieder andere diskutieren, wogegen sich denn der Protest, der vom Nagelhaus ausgeht, richte. Dass ein solcher davon ausgeht, wird vorausgesetzt. Aber warum denn? Und wogegen? Oder wofür?
Das Nagelhaus ist in unser aller Köpfe angekommen, ist bereits Teil unseres geistigen Inventares. Und ein jeder macht damit, was er will. Und gerade das ist der wichtige, der Hauptbeitrag des Kunstwerkes. Dass es uns inspiriert, polarisiert. Dieses Kunstwerk ist eines, das uns Gespräche über ein simples «schön» oder «nicht schön» hinaus ermöglicht. Wer sich daran nicht beteiligen will, kann es auch einfach als ein simples Gebäude ansehen. Es ist eben kein blosses Kunstwerk, das sich als solches aufdrängt. Vielmehr kann es sehr verschiedenen Bedürfnissen gerecht werden: Kunstkenner, Hungrige, Pendler – sie alle können das Nagelhaus auf ihre Weise betrachten und nutzen.

Ansicht von Norden. (Bild: Stadt Zürich)

Die Veranstalterin, die AG KiöR (Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum) wurde 2006 vom Stadtrat initiiert. Neben der Auslobung von Kunstwettbewerben befasst sie sich auch mit dem Umgang bereits bestehender Kunstwerke, so etwa werden Vorschläge erarbeitet, wo der orange Fontana-Brunnen, der ehemals unter der Hardbrücke stand, hingehören könnte.
Mit dem Schaffen dieser Arbeitsgruppe hat die Stadt Zürich entschieden, sich im Bereich Kunst von kompetenten Experten beraten zu lassen. Dass die Urteile dieser Personen über ein einfaches Daumen-Heben oder -Senken hinaus gehen, liegt auf der Hand. Dass sie damit einen fachlichen Diskurs anstossen, ebenfalls. Im Fall des Nagelhauses hat der Projektausschuss unter Leitung von Christoph Rothenhöfer in zahlreichen Sitzungen die Kommissionsmitglieder des Gemeinderates vom Projekt von Caruso St John Architects und Thomas Demand überzeugt. Dennoch kommt das Projekt vors Volk. In erster Linie werden die als zu hoch angesehenen Kosten ins Feld geführt. Die plakativen 5.9 Millionen sind so aber nicht ganz richtig. Zum einen ist darin ein Projektierungskredit von 750'000 Franken enthalten, der der Entwicklung des Projektes bis zum heutigen Stand diente. Dieser Betrag kommt nicht zurück, auch wenn das Stimmvolk gegen das Projekt stimmte. Ausserdem beinhaltet der Millionenbetrag eine 15%ige Reserve, die nicht ohne weiteres angebraucht werden kann. Eine Ablehnung des Nagelhauses würde die Kosten also eher heben als senken.

Wir haben die Möglichkeit, einem neuen, gerade in der Entstehung begriffenen Stadtteil ein Geschenk mitzugeben. Beide müssen sich noch entwickeln. Bei beiden ist nicht abschliessend geklärt, wie sie in zwanzig oder fünfzig Jahren aussehen und wirken werden. Aber beiden wohnt ein Potential inne, das wir nur kennen lernen können, wenn wir bereit sind, auch etwas zu wagen – mit einem JA.

Vorgestelltes Projekt

TK Architekten

Revitalisierung Shopping Center «Serfontana»

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