Neue Reihe zur guten «alten» Nachhaltigkeit

Inge Beckel
17. Januar 2013

Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen – das Thema hat keineswegs ausgedient. Vielmehr fängt das Zeitalter der Nachhaltigkeit, etwas pauschalisierend, wohl erst an. Aber, sollten wir Sinn und Zweck von Nachhaltigkeit wirklich ernst nehmen, wirkt sie sich langfristig positiv auf Umwelt und uns aus – und wird nicht länger als blosse Mehrkosten generierende Auflage wahrgenommen werden. Um also etwas konkreter herauszufinden, was nachhaltig im Bereich der Architektur heissen kann, startet das eMagazin von Swiss-Architects.com hierzu die neue Reihe.

Mauerwerk aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, verwittert und mehrmals nachbearbeitet. Bild: ib

Zur Wiederholung
Einführend eine kurze Wiederholung jener drei Punkte, die die Standbeine nachhaltigen Planens und Handelns ausmachen: Um als nachhaltig gelten zu können, muss eine Sache oder eine Tat unter den Aspekten der Ökologie, also der Umwelt, der Ökonomie, der Wirtschaft, sowie drittens der Gemeinschaft oder Gesellschaft, also des Sozialen, gewissen Standards entsprechen. Gemäss der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen beispielsweise definiert sich nachhaltiges Bauen so:

«Das Ziel von nachhaltigem Bauen ist vor allem Qualität – und dies in einer umfassenden Perspektive. So sind nachhaltige Gebäude wirtschaftlich effizient, umweltfreundlich und ressourcensparend. Sie sind für ihre Nutzer behaglich und gesund, und sie fügen sich optimal in ihr sozio-kulturelles Umfeld ein. Damit behalten nachhaltige Gebäude langfristig ihren hohen Wert – für Investoren, Eigentümer und Nutzer gleichermassen. Nachhaltiges Bauen erfordert, dass die Beteiligten im gesamten Bauablauf übergeordnete Perspektiven einnehmen. Die Lebenszyklus-Perspektive auf ein Bauwerk zählt ebenso dazu wie der aktive Austausch von Informationen zwischen den Akteuren am Bau. Nur auf dieser Basis lassen sich zukunftsweisende Lösungen entwickeln.»*

Betrachten wir Nachhaltigkeit also inhaltlich, sollte das Reizwort nicht länger Überdruss auslösen. Vielmehr Stolz. Denn wer heute nachhaltig denkt und baut, kann sinngemäss als Avantgardist gelten – oder jedenfalls als Zeitgenosse, der sich den Herausforderungen stellt und damit sinngemäss in der Zeit steht – und eben nicht überihr, wie dies im Grundsatz abstraktes oder ideologisches Denken ausmacht.** Denn Nachhaltigkeit ist längst keine Frage von Kupfer-Wolle-Bast mehr, womit ihre Verfechter und Anhängerinnen noch vor 30 Jahren schnippisch assoziiert wurden, etwa die Aussteigerinnen und Hippies der 1968-Generation.

Life Cycle mit zentralen Botschaften für Nachhaltigkeit im Bau.

Unsere Partner
Entsprechend haben Hans Jörg Luchsinger und Fabian Cortesi von der Liestaler Firma IEU AG, Integrale Kommunikation für Energie und Umwelt, zusammen mit uns von Swiss-Architects.com beschlossen, eine Reihe zu starten, in der konkrete Bauprojekte unter spezifischen, der Nachhaltigkeit verpflichteten Aspekten befragt und untersucht werden. Hierfür haben Hans Jörg Luchsinger, Ingenieur und IEU-Geschäftsleiter, und Fabian Cortesi, Umweltwissenschaftler, den so genannten GreenRadarentwickelt, wonach ein Bauwerk entlang aller Lebensphasen genauer analysiert werden kann. Konkret sind dies folgende sechs Schritte im Lebenszylus eines Gebäudes: erstens die Projektentwicklung, dann die Planung, drittens folgt die Erstellung, also der Bau. Nach der Fertigstellung folgen viertens Betrieb und Unterhalt, während der Lebensdauer eines Baus – fünftens – die vorgenommenen Umbauten und Sanierungen sowie schliesslich, sechstens, Rückbau, Recycling und Wiederverwertung von Bauteilen. Dies also ist ein Gebäudelebenszyklus, sozusagen von der Zeugung bis zum Tod.

Die Beurteilung der Projekte orientiert sich an zentralen Aspekten aller sechs Phasen des Lebenszyklus. Die Phasen werden in unserer Reihe für ausgewählte Bauten untersucht, anhand von Plänen und Dokumenten, über Gespräche mit den Architekten sowie vor Ort. Es findet für alle Stationen des Life Cycle eine qualitative Beurteilung entlang einem vor definierten Fragenkatalog mit so genannten Leitindikatoren statt. Dabei ist es richtig, dass heute nur die Umsetzung der ersten drei Phasen explizit bekannt ist. Die Fragen beziehen sich aber auf alle sechs Stationen eines Gebäude-Lebenszyklus. Es werden entsprechend Aspekte abgefragt und besprochen, die Bezug zu allen sechs Life-Cycle-Stationen nehmen – dies just insofern, als diese eben geplant werden müssen, etwa der Betrieb respektive die Nutzung eines Hauses.

Das erste Beispiel, das wir im Februar präsentieren wollen, ist die Winterthurer Giesserei, ein Mehr-Generationen-Haus von Galli Rudolf Architekten AG. Das zweite Objekt wird die Markthalle in Basel von Blaser Architekten AG sein, das im März vorgestellt werden wird; das dritte und vorerst letzte die Siedlung Burgunder in Bern von BSR Bürgi Schärer Architekten, das wir im April zeigen werden.

Fabian Cortesi von der IEU AG im Gespräch mit Andreas Galli. Bild: IEU AG

Positive Rückwirkung
Um den Bogen etwas über die Architektur hinaus zu spannen, anbei einige Gedanken aus der Welt der Textilien respektive der Mode. Im Herbst letzten Jahres, während der Blickfang-Messe in Zürich, sprachen anlässlich eines Events des Gottlieb Duttweiler Instituts Modefachfrauen über Nachhaltigkeit in der Mode. Der heutige Modealltag ist ja bekanntlich alles andere als nachhaltig, verlieren doch T-Shirts möglicherweise nach wenigem Waschen ihre Form, oder der Schnitt der erst kürzlich gekauften Jeans ist nach einer Saison schon out of fashion. Nicht selten geht ein Kleidungsstück in der Flut billiger Kleider im eigenen Schrank schlicht unter und wird entsprechend kaum getragen.

Nun ist eine jener Gesprächsteilnehmerinnen, Magdalena Schaffrin, dabei, für die Frankfurter Modemesse einen Greenshowroom aufzubauen. Doch welches sind die Kriterien, ein Label oder ein Unternehmen als Greenfashion zuzulassen? Was muss bezüglich Umwelt, Wirtschaftlichkeit, was bezüglich sozialen Aspekten erfüllt sein, dass ein Kleidungsstück als nachhaltig gelten kann? An derlei Fragen arbeitet die Modefachfrau. Drei Überlegungen stehen dabei im Vordergrund: das Material des Kleidungsstücks selbst, die Möglichkeit seiner Wiederverwendbarkeit – als ganzes Stück oder als Materiallieferant für ein neues – und schliesslich die Bedingungen, unter denen es hergestellt wurde, wobei ja gerade die Arbeitsbedigungen billiger Kleider bekanntermassen oft miserabel sind.

Will man die drei Aspekte sinngemäss auf die Baubranche übertragen, so lässt sich das eingebaute Material und seine Verarbeitung wohl noch einigermassen nachzeichnen, wobei auch hierbei Probleme auftauchen können; ebenso die Möglichkeiten seiner Rezyklierbarkeit. Geht es aber um die Arbeitsbedingungen der Arbeiter auf der Baustelle, steht die Branche wohl kaum viel besser da als die Kleiderindustrie, obwohl der Produktionsort hierzulande und nicht im fernen Asien liegt. Konkret: Wie steht es um die Verträge hiesiger «Wanderarbeiter»? Um ihre Sozialleitungen? Denn vergessen wir nicht, dass ein rigoroser Vollzug der geltenden Bestimmungen sowohl den betroffenen Menschen helfen als auch hiesige KMU besser schützen würde – als über faire Arbeitsbedingungen schliesslich deren Konkurrenzfähigkeit und damit wiederum ihre Überlebenschancen steigen könnten. Und letztendlich auch die Nachhaltigkeit der erstellten Bauten.

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