Verlangsamen, pflegen, verweben

Inge Beckel
5. Dezember 2013
Qualitätvoller Alltag: Mehrgenerationenhaus in Winterthur (alle Bilder: SIA / Tom Haller)

Um es kurz zu machen: Die Preistäger 2013 sind das Gewerbehaus Nœrd in Zürich Oerlikon von einem Team um Beat Rothen, dann das Mehrgenerationenhaus Giesserei in Winterthur, das ein Team um die Architekten Galli Rudolf aus Zürich verantworten, weiter die Überdachung der Ruinen von Saint-Maurice mit einem solchen um Savioz Fabrizzi aus Sion sowie die Sanierungsstrategien für die Cité du Lignon in Genf, hinter dem mehrheitlich ein Team aus der EPFL steht, und schliesslich der Wasserweg in Flims, der Trutg dil Flem (Ursula Baus berichtete auch über das Projekt im Magazin von german-architects), mit dem Hauptverantwortlichen Jürg Conzett. Eine Anerkennung geht an die flankierenden Massnahmen der Zürcher Westumfahrung, wofür Metron Verkehrsplanung AG aus Brugg genannt sei.

Nach Zielsetzung der Verantwortlichen trägt der SIA mit der Auszeichnung Umsicht – Regards – Sguardi zum Diskurs darüber bei, wie die Schweiz in Zukunft aussehen soll. Schauen wir also etwas genauer, wohin sich die künftige Schweiz aufgrund der diesjährigen Prämierungen entwickeln soll.

Brücke auf dem Flimser Wasserweg (Bild: Wilfried Dechau)

Verlangsamtes Fortbewegen
Der Flimser Wasserweg sowie die flankierenden Massnahmen in Zürich deuten auf ein verlangsamtes Verkehrstempo – zumindest an ausgewählten Orten. Einmal ist das Wandern, also das zu Fuss Gehen Ziel von baulichen Eingriffen, im anderen Fall wird der motorisierte Verkehr zurückgestuft. Er wird in gewissen Strassenabschnitten während der Nachtstunden ganz verboten und hat während des Tages nicht mehr den Raum zur Verfügung, den er zuvor während Jahrzehnten inne hatte.

Im Falle des Trutg dil Flem gilt das Interesse, nebem dem Wandern, der Landschaft. Die meisten von uns halten sich grossenteils in mehr oder weniger stark zivilisierten Lebensräumen auf, an Orten also, die der Mensch massgeblich nach seinen Vorstellungen und zu seiner Sicherheit und zu seinem Komfort gestaltet. Sich in der so genannt freien Natur zu bewegen, ist demgegenüber etwas Ungewöhnliches, etwas nicht mehr Vertrautes, ja, zuweilen etwas Angst Einflössendes. Ein Weg wie der Trutg dil Flem nimmt die heutigen Naturliebhaber und Wandererinnen sinngemäss an der Hand, führt sie auf möglichst sicheren Pfaden durch die Landschaft. Er zeigt ihnen den Weg.

Das mit Steinen bedeckte Schutzdach in St-Maurice (Bild: SIA / Tom Haller)

Schutz und Pflege des Erbes
Die Beispiele aus der Westschweiz arbeiten am baulichen Bestand unseres Landes weiter. Im Falle der Cité du Lignon geht es primär ums wärmetechnische Aufrüsten einer Grosssiedlung. Denn die Cité du Lignon ist die grösste Siedlung ihrer Art der ganzen Schweiz: In zwei Türmen und einem mehrfach geknickten Riegel von insgesamt über einem Kilometer Länge entstanden in den 1960er-Jahren nicht weniger als 2780 Wohnungen.* Interessant dabei ist die Vielfalt oder Verschiedenheit der dortigen Bewohnerinnen und Bewohner: Neben Sozial- und Mietwohnungen finden sich auch Stockwerkeigentümer. Es war denn auch eine spezielle Herausforderung, die verschiedenen Eigentümer von einer einheitlichen Sanierungsidee zu überzeugen. Neben dem SIA-Preis erhielt die nunmehr eingeschlagene, auch denkmalpflegerisch überzeugende Sanierungsstrategie einen Europa Nostra-Award 2013.

Beim Kloster in St-Maurice wurde der Ort von herunterfallenden Steinen bedroht. Ein Aufenthalt nahe der frei gelegten Ruinen im engen Raum zwischen den Sakralbauten und dem angrenzenden Fels wurde zusehends gefährlicher. Das neue Schutzdach sichert den Ort ebenso effizient wie pragmatisch, brechen doch auf der Dachkonstruktion liegende Steinbrocken die Sonneneinstrahlung.

Gewerbehaus Nœrd in Zürich Oerlikon (Bild: Gaston Wicky)

Einbinden und verweben
Das Gewerbehaus Nœrd sowie das Winterthurer Mehrgenerationenhaus schliesslich sind durch zahlreiche Massnahmen und Einrichtungen bewusst mit ihrem nachbarlichen Umfeld verwoben und dort eingebunden. So finden sich in Winterthur etwa eine Quatierbibliothek, ein allgemein zugängliches Bio-Restaurant oder eine Kindertagesstätte. Auch in der Kantine in Oerlikon verkehren regelmässig Leute, die nicht im Haus arbeiten.

Nach den Juroren und Jurorinnen des Umsicht-Preises 2013 soll die Schweiz von morgen sinngemäss vielfältiger sein. Sie soll mehr Lebensqualität aufweisen, indem Strassen- und Landschaftsräume aufgewertet und zugänglich(er) gemacht werden, indem weiter das bauliche Erbe gepflegt und unseren Bedürfnissen möglichst angepasst wird, und schliesslich indem verschiedendste Leute, Bewohner und Arbeiterinnen aus einem Quartier sich begegnen und kennenlernen können.

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