Was Mieter wünschen

Rebecca Omoregie
14. Oktober 2010
Ob man sich zuhause wohlfühlt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Bisher haben sich Vermieter wenig dafür interessiert, was den Bewohnern am «Produkt Wohnung» wichtig ist. (Foto: Ursula Meisser)

Wissen Architekten, Investorinnen oder aus Liegenschaftenhändler eigentlich, was sich die Mieter und Mieterinnen von ihren Wohnungen wünschen? Wohnen-extra von Wohnen (Dezember 2009) hat sich dem Thema angenommen. Wir danken der Autorin Rebecca Omoregie, dass wir den Beitrag hierübernehmen dürfen. Download PDF.

Ein Häuschen im Grünen. Eine Hightech-Küche. Hauptsache, eine gute Nachbarschaft. Eine interne Umfrage in den SVW-Büros ergab ganz unterschiedliche Vorstellungen vom privaten Wohnglück. Was wünschen Sie sich? Wurden Sie jemals danach gefragt? Wahrscheinlich nicht. Während es in allen erdenklichen Konsumbereichen Marktforschung und Kundenbefragungen gibt, wissen Immobilienbesitzer herzlich wenig davon, was ihre Mieter möchten.

Wohnungsmarkt ist ein Anbietermarkt

«Bei jedem Birchermüesli gibt es eine Telefonnummer, die man anrufen kann, um seine Meinung zu sagen. Aber beim Wohnen, das ein solch elementares Grundbedürfnis darstellt, gibt es nichts dergleichen», betont der Sozialgeograph Andreas Huber. Weshalb dies so ist, können sich alle, die schon einmal in Zürich eine Wohnung gesucht haben, vorstellen: Die Anbieter haben es schlicht nicht nötig. Weniger als ein Prozent der Wohnungen steht im gesamtschweizerischen Durchschnitt leer, in gewissen Regionen, etwa in Zürich, Zug oder Genf, sind es sehr viel weniger. Welcher Vermieter braucht zufriedene Mieter, wenn die Interessenten ohnehin Schlange stehen? Andreas Huber und seinem Kollegen Marco Hoffmann, die am ETH-Wohnforum zu Architektur- und Gesellschaftsthemen forschten, fiel auf, dass die eigentlichen Nutzer, die Bewohnerinnen und Bewohner, nur selten etwas zum «Produkt Wohnung» zu sagen haben. Natürlich gibt es Vermieter, die ihre Mieter zu ausgewählten Themen befragen. Zum Beispiel, wenn sie eine neue Lüftung eingebaut haben und wissen wollen, ob diese auch einwandfrei funktioniert. Oder um zu prüfen, wie altersgerecht ihre Wohnungen sind. Doch das sind einzelne Momentaufnahmen. Einzig das Forschungsinstitut gfs.bern führte im Jahr 2006 eine grössere Befragung durch. Über 1000 Personen in der ganzen Schweiz fragten die Sozialforscher telefonisch, wie zufrieden sie mit ihrer derzeitigen Wohnsituation sind. Das erfreuliche Ergebnis der übrigens vom Hauseigentümerverband (HEV) in Auftrag gegebenen Umfrage: Die Schweizer sind sehr zufrieden.

Zufriedenheit sagt nicht viel aus

Dass Zufriedenheitsbefragungen hohe Werte ergeben, ist ein bekanntes Phänomen. Psychologisch lässt sich dies mit der so genannten Dissonanztheorie erklären: Eine Dissonanz entsteht, wenn die eigene Einstellung und das Verhalten nicht miteinander vereinbar sind. Da ein solcher Widerspruch als unangenehm empfunden wird, tendieren die Menschen dazu, entweder ihr Verhalten zu ändern oder ihre Einstellung anzupassen. Kurz gesagt: Zufriedensein ist bequemer.

Huber und Hoffmann wollten deshalb mehr als allgemeine Stimmungstendenzen. Sie nahmen sich vor, ein Instrument zu entwickeln, mit dem sich die Zufriedenheit der Bewohnerinnen und Bewohner auch auf ein einzelnes Wohnobjekt beziehen lässt und somit ganze Wohnsiedlungen miteinander verglichen werden können. Das ETH-Wohnforum startete ein breit angelegtes Qualitätsentwicklungsprojekt, das acht ganz unterschiedliche Wohnsiedlungen untersuchte. Ziel: ein eigentliches Benchmarking für Mieterzufriedenheit erstellen, mit dem Immobilienbesitzer ihre Liegenschaft einschätzen können.

Ob man sich zuhause wohlfühlt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Bisher haben sich Vermieter wenig dafür interessiert, was den Bewohnern am «Produkt Wohnung» wichtig ist. (Foto: Ursula Meisser)

Wertvolle Informationen

Doch die Frage bleibt: Interessiert dies die Immobilienbesitzer überhaupt? Wozu braucht es Qualitätssicherung, wenn sich ohnehin alles vermieten lässt? Doch dieser Eindruck stimmt nur zum Teil, wie Marco Hoffmann zu bedenken gibt: «In gewissen Gegenden ist der Wohnungsmarkt sehr angespannt, aber in manchen Regionen beobachtet man auch Leerstände.» Ausserdem gebe es durchaus Verwaltungen, die nicht nur Geld verdienen, sondern auch ein gutes Produkt anbieten wollen.

Interessant ist der Zufriedenheitsmesser zum Beispiel für Verwaltungen, die in ihren Siedlungen viele Mieterwechsel beobachten und dem auf den Grund gehen wollen. Oder wenn eine Renovation ansteht und man für die Planung des Sanierungsumfangs froh ist über das Feedback der Bewohner: Wie viel mehr wären diese bereit zu bezahlen, wenn die Wohnung saniert würde? Welche Massnahmen oder Produkte wären ihnen am ehesten eine höhere Miete wert? Wertvolle Hinweise können die Aussagen der Mieter auch geben, wenn es um die künftige Strategieplanung für einen ganzen Liegenschaftsbestand geht. Mehr noch: Andreas Huber und Marco Hoffmann stellen sich vor, dass Mieterzufriedenheit künftig ähnlich entscheidend wird für die Zukunftsfähigkeit einer Wohnimmobilie wie wirtschaftliche Kriterien oder Umweltzertifikate. Nicht nur für den Markt möchten die beiden Wissenschafter Daten liefern, sondern auch für die Forschung. So sind sie etwa daran, einen ausgefeilten Fragekatalog zu erarbeiten, der bessere Hinweise über die tatsächliche Nutzung der einzelnen Räume liefern soll. Dies kann Architekten und Planern hilfreiche Tipps geben: Wie sieht die Wohnung der Zukunft aus? Wie sollen künftige Grundrisse konzipiert sein?

Wohnglück ist: Ordnung in der WG-Küche / die Wohnung stilvoll dekorieren / Erinnerungen an schöne Reisen / Platz für die Drillinge haben / Die erste eigene Wohnung einrichten (Fotos: Ursula Meisser)

Grosses Interesse

Es war denn auch nicht weiter schwierig, Partner aus ganz unterschiedlichen Ecken des Immobilienmarktes zu finden, die interessiert waren, an einer Fallstudie mitzumachen: Neben den gemeinnützigen Bauträgern Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) und der Stiftung zur Erhaltung von preisgünstigem Wohn- und Gewerberaum der Stadt Zürich (PWG) waren mit UBS, CS und ABS auch Banken, ausserdem Swiss Re, Pensimo sowie das Familienunternehmen Max Pfister Baubüro AG mit an Bord. In insgesamt acht Siedlungen stellten Huber und Hoffmann sämtlichen Bewohnerinnen und Bewohnern einen rund 20-seitigen Fragebogen zu. Sie wollten zum Beispiel wissen, welche Wohnungs- und Siedlungseigenschaften ihnen wichtig sind, wie sie das Preis-Leistungs- Verhältnis oder das nachbarschaftliche Klima einschätzen, wie sie die verschiedenen Räume nutzen und ob sie Umzugsabsichten haben.

Trotz der umfangreichen Befragung war der Rücklauf sehr gut: In fast allen Siedlungen schickte über die Hälfte der Mieter den ausgefüllten Fragebogen zurück, was für diese Art von Umfragen sehr ungewöhnlich ist. Die Wissenschafter werten dies als Zeichen, «dass die Menschen es offenbar begrüssten, endlich einmal nach ihrer Meinung gefragt zu werden». Die Resultate sind auf den ersten Blick wenig überraschend (siehe Kasten). Die Mieter schätzen diejenigen Eigenschaften, die von den Anbietern in der Regel auch angepriesen werden: grosse Zimmer, gute Belichtung und Besonnung, Ausstattungsqualität und für Familien auch Kinderfreundlichkeit. Weniger wichtig, und das ist überraschend, ist ihnen dafür eine allfällige Aussicht. Ein erstaunliches Ergebnis ergibt sich, wenn man die verschiedenen Siedlungen vergleicht. Dann kommt man zum paradox anmutenden Resultat, dass die Bewohner in kostengünstigen, älteren Siedlungen mit geringem Ausbaustandard zufriedener sind als diejenigen in modernen Neubausiedlungen. Die besten Zufriedenheitswerte erzielte eine Siedlung aus den Vierzigerjahren, die an einer lauten Strasse liegt und kleinräumige Grundrisse bietet. Erklären lässt sich dies zum einen mit einer unterschiedlichen Anspruchshaltung: Die architektonisch herausragenden und luxuriös ausgestatteten Neubausiedlungen sind sehr teuer – und die Bewohner entsprechend kritisch und weniger bereit, gewisse Mängel in Kauf zu nehmen. Gleichzeitig bewerteten die Mieter in der eher einfachen Siedlung den Service der Verwaltung und des Hauswarts sehr positiv. Auch die ABZ, die an zweiter Stelle liegt, schnitt diesbezüglich sehr gut ab. «Das sind Aspekte, die viel ausmachen», schliessen die Forscher. «Man spürt, wenn sich der Eigentümer Mühe gibt.» Umgekehrt wird auch negatives Auftreten markant bemerkt und hallt lange nach. Auch der Kommunikationsstil, das zeigten die offenen Fragen, spielt eine entscheidende Rolle: «Viele Mieter sagten, sie ertrügen den manchmal militanten Stil der Verwaltung nicht. Schliesslich seien sie Kunden.»

Was Immobilienbesitzer daraus lernen:

Service und Stil werden geschätzt und machen einiges, etwa einen geringeren Standard, wett. Diesbezüglich können sie sich von mancher Wohnbaugenossenschaft eine Scheibe abschneiden. Umgekehrt sollten Investoren, die sehr hochklassige Siedlungen planen, sich bewusst sein, dass sie auch im Kundendienst top sein müssen. Die Resonanz auf dieses erste Projekt war so gut, dass die beiden Wissenschafter des Wohnforums sich fortan als Spin-off-Unternehmen der ETH Zürich ganz auf die Evaluation von Immobilien aus Bewohnersicht spezialisieren möchten. Ein Nachfolgeprojekt mit sechs weiteren Fallbeispielen, bei denen der Fragebogen verfeinert werden soll, ist derzeit in Arbeit. Denn: «Je mehr Daten wir haben, desto besser wird natürlich unsere Datenbank. Und je mehr Siedlungen analysiert sind, desto bessere Vergleiche lassen sich anstellen.» Wie gross das Interesse der Immobilienbesitzer an zufriedenen Bewohnern ist, wird sich zeigen. Für Mieterinnen und Mieter gilt: Teilen Sie doch Ihre Wünsche dem Vermieter mit. Vielleicht interessiert er sich mehr dafür, als Sie denken.

Projekt für mehr Wohnqualität Mit dem Projekt «QE Wohnen» entwickelte das ETH Wohnforum ein Instrument, das Wohnsiedlungen aus Nutzersicht beurteilt. Dafür führten die Forscher Fallstudien in acht bezüglich Alter, baulichem Zustand, Standort und Besitzverhältnisse ganz unterschiedlichen Siedlungen durch. Der rund 20-seitige Fragebogen enthielt zum Beispiel Fragen nach den Qualitäten der Wohnung, der Siedlung und der Wohnlage, nach der Nachbarschaft, der Immobilienverwaltung usw.

Die wichtigsten Ergebnisse:

› Die Zufriedenheit mit der Wohnsituation in den acht Siedlungen variiert beträchtlich. Auffallend ist, dass die neusten und architektonisch anspruchsvollsten Wohnungen nicht besser bewertet wurden.
› Ein gutes nachbarschaftliches Klima finden rund drei Viertel der Befragten wichtig.
› Die Eignung der Siedlungen für Jugendliche wurde von vielen Bewohnern kritisch beurteilt.
› Bei den Wohnungseigenschaften bewerteten die Bewohner folgende Faktoren als wichtig: Helligkeit, Ringhörigkeit, Ausstattungsqualität, Raumaufteilung.
› Bei den Siedlungseigenschaften spielt neben dem Erscheinungsbild, dem Aussenraum oder einer ökologischen Bauweise auch die Regelung der Waschküchennutzung eine wichtige Rolle.
› Die Räume werden vermehrt multifunktional genutzt.
› Ob man Umzugsabsichten hegt, hängt von der Zufriedenheit mit der Verwaltung und dem nachbarschaftlichen Klima ab.
› Generell steigt die Zufriedenheit mit der Länge der Mietdauer. Der detaillierte Bericht zum Qualitätssicherungsprojekt kann heruntergeladen werden unter www.wohnforum.arch.ethz.ch

Rebecca Omoregie

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