Meile der Mutlosen

Juho Nyberg
21. Oktober 2014
Zeichen des Aufbruchs (rechts): Das Time Piece von Gramazio Kohler. Bild: wikimedia

Es gab eine Zeit in Zürich, da traf sich das Stadtvolk mit einem Glühwein in der Hand, andächtig gen Himmel schauend auf der «weltberühmten» Einkaufsmeile Bahnhofstrasse. Eine mutige, moderne, poetische Installation sollte künftig die Herzen zur Weihnachtszeit erwärmen, begeistern. Doch das Volk der little big City war nicht bereit für solches. Und so wurde die – durchaus herausfordende – Weihnachtsbeleuchtung Time Piece nach nur fünf Jahren ersetzt durch etwas, das sich formal an das Alte, das ja eigentlich doch gut gewesen war, anlehnte und dazu noch schnuckelig benannt nun als Lucy im Volksmund Eingang finden wird. Eine Beleuchtung wie die Beatles. Nun ja.

Wer dieser Tage über die Bahnhofstrasse flaniert und den Blick auf den Boden richtet, ist wohl nicht betrübt ob der eingangs geschilderten Geschichte. Vielmehr will sie oder er sich vielleicht ein Bild davon machen, wie denn sich die nun auch untenrum erneuerte Bahnhofstrasse präsentiert. Über die Jahre zu einem Flickwerk verschiedener Beläge und Sicherheitsinstallationen verkommen, war eine gesamthafte Überarbeitung durchaus an der Zeit. Unter der Federführung des Architekturbüros huggenbergerfries wurde die Neugestaltung ausgeführt. Zentrales Gestaltungselement sind die Baumscheiben, die in unterschiedlichen Grössen und Abständen die ansonsten sehr nüchterne Atmosphäre auflockern, von den Architekten als «Perlenkette» bezeichnet, die sich über die ganze Länge der Strasse zieht. Dazwischen angeordnet ist das Strassenmobiliar, hauptsächlich Sitzbänke. Diese dienen zugleich als Schutz der Boutiquen, um den berüchtigten Rammbockeinbrüchen vorzubeugen. Man könnte vermuten, die Widerstandsfähigkeit der Sitzbänke (Modell «Bahnhofstrasse 2006») sei ein Auswahlkriterium gewesen, worunter die Ästhetik gelitten hat. Jedenfalls urteilt der Architekturtheoretiker André Bideau im TEC21: «Massiv und trostlos, scheint diese Gestaltung um jeden Preis den Eindruck eines modischen Strassenmobiliars vermeiden zu wollen.» Doch schon bald kommt die Weihnachtszeit und die Flaneusen und Flaneure auf der Bahnhofstrasse werden ihre Blicke bestimmt wieder verzückt nach oben richten, wo alles so ist wie früher.

Vollendete Diskretion diskret vollendet: die Zürcher Bahnhofstrasse im neuen Kleid. Bild: © stadt-zuerich.ch

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