Salz, Wasser, Holz: Lebens- und Kulturraum Salzkammergut

Susanna Koeberle
7. Oktober 2023
Blick von der Katrin Alm auf Bad Ischl (Foto: © Bad Ischl, Daniel Leitner)

Den Attersee lernte ich in Wien kennen. Und das kam so: Zu Besuch bei der Künstlerin Nives Widauer entdeckte ich in ihrem Atelier eine Serie von wunderbaren Arbeiten, die auf alten Landkarten basieren. Diese hatte Widauer einem antiquarisch erstandenen Buch mit dem Titel «Das Salzkammergut» entnommen, herausgegeben im Jahr 1926. Der Reiseführer richtete sich an den «Touristen, Sportsmann, Kurgast oder Sommerfrischler», und genau diese Kundschaft ist bis heute touristisch relevant, wie ich später lernte. Ganz wie zu jener Zeit üblich, wurden in besagter Publikation nur Männer angesprochen. Damen wurden wohl seinerzeit zur Zierde mitgenommen. Vielleicht trugen sie schon damals Dirndl. Das tun sie mitunter auch heute. Aber dazu später mehr. In Österreich war ich bis vor Kurzem nur in Wien gewesen. Was man bei der Österreich Werbung in Zürich wie folgt kommentierte: «Frau Koeberle, das muss sich ändern.» So kam ich flugs zu einer akkurat komponierten Reise, die mich als erste Station an den Attersee führte. An den echten. Das Karibikblau des Attersees, ein Phänomen, das zustande kommt, wenn Licht in einem bestimmten Winkel auf das mit Kalkkristallen und Plankton-Algen gesättigte Wasser trifft, war zwar nicht mehr zu sehen, da es schon Herbst geworden war. Aber die Karibik kann mir gestohlen bleiben. Ich will ja schliesslich Österreich besser kennenlernen. 

Um die Erstbegegnung mit Gewässer und Gegend gebührend zu feiern, kam ich kaum im Hotel Villa Weiss eingecheckt in den Genuss einer Bootstour. Das Haus, in dem ich übernachtete, wurde im Jahre 1923 als Jagdhaus der brasilianischen Königsfamilie erbaut und hiess damals Villa Orléans. Die Familie kam, weil ihresgleichen, also andere Adelige, dort in die sogenannte Sommerfrische gingen. In erster Linie war dies die österreichische Kaiserfamilie, weswegen dann andere Betuchte ebenfalls zur Kur kamen oder eben dorthin in die Sommerfrische fuhren. Die jahrhundertlange Präsenz der Habsburger in Bad Ischl prägt bis heute die bauliche und kulturelle Identität des Städtchens. Kaiser Franz Joseph I verbrachte dort 83 Sommer und feierte ab 1849 in Bad Ischl 81-mal seinen Geburtstag, erfährt man auf der Internetseite des Ortes. Den Mittelpunkt des Sommerfrischeparadieses Salzkammergut würde ich tags darauf kennenlernen – Sisi-Kult inklusive. 

Die Villa Weiss ist heute ein Hotel und wurde 1923 als Jagdhaus der brasilianischen Königsfamilie erbaut. (Foto: Miro Pochyba)

Doch zunächst näherte ich mich mit dem Weitblick einer Wasserreisenden diesem «gottbegnadeten Gebiet», so der Wortlaut im oben genannten Büchlein. Auf der Bootsfahrt konnte ich schon mal einen Blick erhaschen auf die historischen Seevillen der gehobenen Gesellschaft; die meisten davon entstanden ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Viele dieser Bauwerke sind bis heute erhalten und befinden sich in Privatbesitz, öffnen aber zu besonderen Gelegenheiten ihre Türen. Dazu gehört etwa die Villa Paulick. Die prachtvolle Sommervilla im Stil des Historismus wurde 1877 von den Architekten Friedrich König und Rudolf Feldscharek im Auftrag von Friedrich Georg Paulick gebaut. Für die Errichtung verwendete der Bauherr, der 1873 zum k. u. k. Hoftischlermeister ernannt wurde, vorwiegend in seiner eigenen Firma gefertigte Bau- und Ausstattungsteile. Bald traf sich dort die Intelligenzia und die Kunstelite Wiens. Auch der Wiener Maler Gustav Klimt gehörte zu den regelmässigen Gästen, obwohl er eigentlich mehr der Ruhe wegen an den Attersee kam. Inspiriert von der Schönheit der Natur malte er während seinen Aufenthalten zwischen 1900 und 1916 rund 40 Landschaften. 

Der Gustav-Klimt-Themenweg informiert Besucher*innen über Leben und Aktivitäten des bekannten Künstlers, der Spaziergang entlang des Seeufers lohnt sich indes auch ohne die Infosäulen. Sie ersetzen den Blick auf ein Original nicht, dafür muss man dann doch nach Wien reisen. Man wird auf allen möglichen touristischen Kanälen nicht müde zu erwähnen, wie viele Künstler hier ihre Zeit verbrachten. Aber die Region gefällt auch Normalsterblichen sehr gut. Heutzutage ist eben «Kultur das neue Salz» und deswegen darf Kultur – neben der Natur – auch ihren Platz als Reisegrund einfordern. Das tun das Salzkammergut und Bad Ischl 2024 etwa als Kulturhauptstadt Europas – um nur eines der zahlreichen kulturellen Happenings zu erwähnen. 

Zum ersten Mal schliessen sich 23 Gemeinden im ländlich geprägten alpinen Raum zu einer Kulturhauptstadt zusammen. Die künstlerische Leiterin Elisabeth Schweeger fokussiert auf vier Programmschwerpunkte, die auch die düsteren Seiten der Gegend beleuchten, darunter die Geschehnisse während der NS-Zeit. «Es geht nicht nur um Unterhaltung und Vergnügen, sondern auch darum, kritische Diskussionen anzustossen und einen Raum für Reflexion und Austausch zu schaffen. Die Kulturhauptstadt ist somit kein Ort des Eskapismus, sondern ein Ort der Begegnung und des Dialogs, an dem die Bewohner*innen ihre Zukunft innerhalb Europas und der Welt gemeinsam gestalten können», sagt sie. Ihrer Vision für die Kulturhauptstadt 2024 soll später in einem vertieften Beitrag nachgegangen werden.

Blick auf die historische Villa Paulick (Foto: Evelyn Obermaier)

Zurück also zum Salzkammergut und dem namensgebenden Salz. Denn manchmal lohnt es sich, auch die geologische Beschaffenheit einer Landschaft zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtung zu machen. Umso mehr, wenn es sich wie beim Salzkammergut um eine Besonderheit handelt, die prägend ist für Kultur und Wirtschaft dieser Region. Das Salz ruhte mehr als 250 Millionen Jahre in den Bergen, und diese Perspektive redimensioniert auch die menschlichen Aktivitäten in dieser Gegend – überhaupt auf diesem Planeten. Ein Blick in die Erdgeschichte schafft die Basis für ein geologisches Denken, das uns vor Augen führt, wie absurd und lächerlich unsere – und damit meine ich die menschliche – Zeitlichkeit im Vergleich zur Erdgeschichte ist. Nichtsdestotrotz haben wir es «geschafft», innert Kürze zu einem geologischen Faktor zu werden – sprich, den Raubbau an den endlichen Rohstoffen mit Vollgas voranzutreiben. 

Salz allerdings scheint auf der Erde ausreichend vorhanden zu sein. Wo es Salz gibt, gab es früher Meere. Wobei früher mehrere Millionen Jahren meinen kann, die Transformationen der Erde geschehen langsam. Das Salz, das aus den Bergen gewonnen wird, stammt aus Binnenmeeren, die einst austrockneten. Später lagerten sich Sand und Ton Schicht um Schicht auf diesem Salz ab. Unter dem Druck dieser Schichten wurde es zu Steinsalz. Irgendwann kamen die Menschen darauf, dass man dieses versteckte Salz abbauen könnte. 

Das war in der Gegend des Salzkammerguts schon vor 7000 Jahren der Fall, darauf deuten verschiedene archäologische Funde in Hallstatt hin. Das älteste Salzbergwerk der Welt ist Teil der Kulturlandschaft Hallstatt-Dachstein, die seit 1997 UNESCO-Welterbe ist. Ab dem Spätmittelalter erlebten der Salzabbau und der Salzhandel eine erneute Blüte. Dieser Wirtschaftszweig unterlag als Monopol der direkten Kontrolle der habsburgischen Landesfürsten. Im Jahr 1563 legte man den Grundstein für den Beginn des Salzbergbaues in Ischl. In der Ortschaft Perneck wurde der erste Stollen eröffnet. Die günstigere Lage für den Transport sowie die unberührten Waldvorkommen führten zur Gründung des Ischler Salzberges. 1571 wurde das erste Sudhaus in Bad Ischl für die Salzverarbeitung gegründet.  

Wobei man dazu wissen muss: Salz wird sowohl nass als auch trocken abgebaut. Nass bedeutet, dass das im Berg gelagerte Salz mittels Wasser herausgeschwemmt wird. Um den kostbaren Stoff zu gewinnen, muss die sogenannte Sole erhitzt werden. Und hier kommt das Holz ins Spiel, auch dies eine Ressource, die in der Gegend verfügbar ist. Es wurde früher gebraucht, um die Feuer unter den riesigen Pfannen zu entfachen. Ein interessantes architektonisches Detail: Dass in der Gegend Holz bei älteren Bauwerken nur sparsam eingesetzt wurde, hängt mit der Rationierung dieses Rohstoffes zusammen. Denn weil das Salz die wirtschaftliche Grundlage darstellte, hatte die Verwendung von Holz zum Zwecke der Salzgewinnung Priorität. 

Blick auf die Esplanade von Bad Ischl (Foto: © Bad Ischl, Daniel Leitner)

Der Mythos Bad Ischl hängt eng mit dem Stoff Salz zusammen, denn Ärzte erkannten, dass die Sole auch heilende Kräfte besass. Und so erlebte Ischl dank des Salzes einen Aufschwung als Badeort. Dabei spielte auch der Kurerfolg von Erzherzogin Sophie und ihrem Mann Franz Karl eine Rolle. Das bislang kinderlose Paar nahm auf Anraten von Dr. Franz Wirer Mineralsolebäder in Ischl in Anspruch. Die Kur war so erfolgreich, dass sich beim kaiserlichen Paar bald darauf der ersehnte Nachwuchs einstellte: der erste Sohn und spätere Kaiser Franz Joseph, zwei Jahre darauf folgte Maximilian, der spätere Kaiser von Mexiko. 1833 wurde Karl Ludwig und 1842 als Nachzügler Ludwig Viktor geboren. Die vier gingen als «Salzprinzen» in die Annalen ein, schliesslich verdanken sie ihre Existenz der Ischler Salzwasserkur. 

Der Kurerfolg zeitigte auch positive Folgen auf die Entwicklung des Städtchens, das bald zu einem der angesagtesten Kurorte der Monarchie wurde. Es wurde fleissig gebaut: schicke Hotels und schmucke Landhäuser entstanden. Eine entsprechende Infrastruktur für die Kaiserfamilie musste ebenfalls her. 1853 fand die Verlobung von Franz Joseph mit Elisabeth statt, 1854 wurde geheiratet. Die Kaiservilla war ein Hochzeitsgeschenk der Kaisereltern und wurde in Form eines E (wegen Elisabeth) gebaut. Für Elisabeth, auch Sisi genannt, wurde überdies das Marmorschlössl im englischen Cottage Stil errichtet. 

Die Kaiservilla war ein Hochzeitsgeschenk der Kaisereltern an das Brautpaar Franz Joseph und Elisabeth. (Foto: © Bad Ischl, kuscheiart)

Der vermeintlich autochtone Landhausstil war in diesem Fall – oh Schreck – ein Import. Ebenso die Mode. Was heute etwa als typisch ländliche und alpenländische Kleidung gefeiert wird – das eingangs erwähnte Dirndl – ist nämlich eine Erfindung von Städter*innen. Wobei das dem Kleidungsstück zugrundeliegende Wort Dirne zu dieser Zeit noch nicht Prostituierte meinte, sondern junges Mädchen oder Magd. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich das Dirndl bei den Sommerfrischlerinnen als typisches ländliches Kleid durch. Traurig ist folgendes Detail: An der Etablierung des Dirndls als modisches Gewand waren auch jüdische Kaufmänner beteiligt. Dass diese Arbeitskleidung später von den Nationalsozialisten annektiert wurde, um ein bestimmtes Frauenbild zu propagieren, ist so gesehen doppelt zynisch. 

Mit solchen identitätsstiftenden Attributen sollte man stets vorsichtig umgehen. Menschen haben die besondere Fähigkeit, bestehende Dinge für ihre Zwecke neu zu programmieren und damit abstruse Mythen zu zementieren. Vielleicht ist Salz als kultureller Träger in der Tat weniger manipulierbar als ein Stück Stoff. Bleibt zu hoffen, dass der Transfer der ursprünglichen Bedeutung von Salz als kostbarstes Gut auf die Kultur von heute – dazu kann durchaus auch die Mode oder das Handwerk gehören, wie sich auf meiner Reise zeigte – gelingen möge. Kultur ist stets in vielgestaltige Narrative eingeschrieben. Als Souvenir nahm ich übrigens ein Stück Bergsalz mit. Ein solides Zeitdokument, fand ich. Da täuschte ich mich wohl: Sogar Salz ist mittlerweile zum trendigen Konsumgut geworden. 

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