Spolie und Ornament

Ulf Meyer
27. August 2023
Foto: Felix Wey

Zürichs Kreis 4 hat sich vom Arbeiter- und Rotlichtviertel zum lebenswerten Wohnquartier gewandelt. Aussersihl ist heute Lebensmittelpunkt für Studierende, Künstler*innen und Akademiker*innen. In der Engelstrasse, benannt nach Regula Engel-Egli (1761–1853), der Gattin des bekannten Bündner Söldner-Offiziers Florian Engel, wimmelt es von Bars, Cafés und Restaurants. In diesem Umfeld wollten die Architekt*innen des Büros Frei ein Wohnhaus gestalten, das ohne «gestalterisches Chichi» eine starke Präsenz entwickeln und Emotionen wecken sollte. Das neue Haus ersetzt einen Vorgängerbau, der abgebrochen wurde.

Foto: Felix Wey
Foto: Felix Wey

Die Grundfläche des Mehrfamilienhauses wurde durch die Nachbarbauten und die maximale Gebäudetiefe von zwölf Metern definiert. Das Haus verfügt über ein überhohes Erdgeschoss, über dem sich vier Vollgeschosse und ein symmetrisches Steildach mit einer Neigung von 45 Grad erheben. Diese klassische Unterteilung in Sockel, Mittelpartie und Dach entspricht den Nachbarbauten, die links und rechts direkt anschliessen. Das Bauwerk besitzt eine Dachterrasse und je zwei grosse Gauben auf beiden Dachseite, die mit Aluminium verkleidet sind. Durch Letztere werden insbesondere die Wohnräume im unteren der beiden Dachgeschosse gut belichtet.

Foto: Felix Wey

Die Strassenfassade wird durch eine horizontale und vertikale Betonstruktur mit Füllungen aus grauem Klinker und Holz-Metallfenster geprägt. So soll sich das Haus zwischen seine unmittelbar anschliessenden Nachbarbauten eingliedern. Die Hoffassade ähnelt jener zur Strasse, jedoch wurde der Klinker hier durch Ortbeton ersetzt.

Foto: Felix Wey
Foto: Felix Wey

Die Grundrisse des Stadthauses sind loft-artig, tragende Innenwände sind kaum vorhanden. Mit den jeweils zwei 3,5-Zimmer-Wohnungen auf jedem Vollgeschoss und den beiden Maisonettewohnungen unter dem Dach nimmt das Haus insgesamt zwölf Wohneinheiten auf. Die beiden Wohnungen im Erdgeschoss können als Ateliers genutzt werden. 

Die Wände im Inneren sind teils in Sichtbeton und teils in einem rauen, gestrichenen Backstein ausgeführt. In den Bädern ziert sie ein grünblaues Glasmosaik. Auch die Böden bestehen aus Beton. In den Küchen sind die Leuchten in die Betondecken eingebaut.

Foto: Felix Wey
Foto: Felix Wey

Wie eingangs erwähnt, ersetzt das Haus ein älteres Bauwerk. Ein besonderer Kniff ist deswegen eine Spolie im Foyer: Zu sehen ist der in Beton gegossene Abdruck der alten Eingangstür. So wurde ein Element des Vorgängerbaus zumindest symbolisch in den Neubau einfügt.

Kritisieren mag mancher den grosszügigen Einsatz von Beton. Andernorts haben Architekt*innen bereits vielfach bewiesen, dass Naturbaustoffe wie Holz im Geschosswohnungsbau konstruktiv eingesetzt werden können und ästhetische wie atmosphärisch reiche Bauten ermöglichen. Das Büro Frei selbst hat zum Beispiel vier richtungsweisende Reihenhäuser in Aarau als reine Holzbauten ausgeführt. Doch in Zürich schien den Architekten das Material die falsche Wahl zu sein: Die Nachbarschaft besteht aus massiven Bauten. Ein Holzhaus wäre in der Quartiererhaltungszone ein Fremdkörper, so die Gestalter aus Aarau. Dass in Europa nachhaltig produziertes Bauholz sämtlichen Beton- und Stahlbau substituieren könnte, würden sie zudem ohnehin bezweifeln, sagen sie. 

Schwarzplan (© Frei Architekten)
Grundrisse in Leserichtung: Erd-, 1. bis 4. Ober-, 1. Dach- und 2. Dachgeschoss (© Frei Architekten)
Schnitte von links nach rechts: Quer- und Längsschnitt (© Frei Architekten)

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