Photo © OLX, Marc and Oliver Lins
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1. Obergeschoss
Dessin © Baumschlager Eberle Architekten

Raumskulptur mit Wohnqualität

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Lieu
Holdergasse, 9490 Vaduz
Année
2021

AM ANFANG war das orthogonale Volumen. Aus diesem wurde eine Form in der angemessenen städtebaulichen Dimension entwickelt, welche die Balance zwischen Privatleben und Einbindung in den öffentlichen Raum hält. Die Gebäudehülle wird durch gezielte Ausnehmungen – unter Berücksichtigung der Lage - definiert, um schließlich eine Ordnung zu finden, die das ruhende Volumen in einen Dialog zwischen Öffnungen und geschlossenen Flächen bringt.

Aus diesem Dialog entsteht eine starke plastische Form, die alles andere als konventionell ist. So schwebt etwa an der Straßenseite das oberste Geschoß in Teilen über der Terrasse des ersten Stockwerks, dezent gestützt von einem trapezförmigen Holzträger. Im Parterre entsteht ein Eingangsbereich, der die Urformen des Bauens – Höhle und Zelt – thematisiert, während die asymmetrische Anordnung der Fenster – funktionell logisch – mit der Etikette klassischer Villenarchitektur bricht.

Architektur trifft immer Aussagen, sonst wäre sie es wohl nicht wert, als eine solche bezeichnet zu werden. Mit dem Haus Holdergasse haben Baumschlager Eberle Architekten in enger Abstimmung mit den Auftraggebenden das Elementare und damit Zeitlose des Mediums artikuliert: Plastizität und Glaubwürdigkeit - gewonnen aus dem konsequenten Zusammenwirken von Geometrie, Licht und Material.

Der Ort
Das Haus Holdergasse in Vaduz zeigt auf prägnante Weise, was die Architektur als Mehrwert zu bringen vermag. Zunächst einmal wurde der Baukörper punktgenau auf dem knappen Grundstück positioniert. Er ist mehr als ein Volumen auf der grünen Wiese. Er eröffnet den Dialog zur Umwelt. Aus der Logik des Ortes ergab sich eine L-förmige Anordnung der beiden Gebäudetrakte. Es entsteht der überschaubare Innenhof als eigener Lebensbereich mit unmittelbarem Bezug auf einer starken Rotbuche. Ebenso erhält das Haus eine klare Straßenseite mit gedecktem Eingang und zwei geschützten Terrassen. Auf diese Weise werden angemessene Privatheit und der Bezug zum Quartier und der eher ländlichen Umgebung sehr differenziert miteinander verwoben.

Die Räume
Die L-förmige Anordnung des Volumens mit dem zentralen Treppenhaus erlaubt eine unterschiedliche Orientierung der gemeinschaftlichen Bereiche des Hauses. Im Erdgeschoss befinden sich Räume für die Garderobe, die Hauswirtschaft und ein Multifunktionsraum mit einem direkten Zugang zum Garten. Das Familienleben findet im ersten Obergeschoss statt, sodass die volle Dreidimensionalität im Raumerlebnis gegeben ist. Das Wohnzimmer ist nach Süden, mit Blick auf die vorgelagerte Terrasse der Küche ausgerichtet. Die große Küche eröffnet eine großzügige Perspektive nach Westen mit einer nuancierten Abfolge von Innenraum-Terrasse-Grünbereich. Auch hier sind wieder die einzelnen Bereiche durch Blickbezüge vernetzt.

Die zweite und damit oberste Etage ist den Privatzimmern vorbehalten. Die häufig vorkommende Diskrepanz zwischen repräsentativen Gemeinschaftsräumen und eher bescheidenen „en famille“ ist hier nicht gegeben. Zwei Zimmer an der Südseite teilen eine gemeinsame Loggia, Innenhof und Rotbuche sind ebenso präsent, wie der Himmel durch die Lichtöffnungen nach oben hin. Die Sanitärbereiche verdienen diesen nüchternen Namen nicht, denn sie zeichnen sich durch eine Qualität aus, die ihresgleichen sucht.

Die Materialien
Qualität hat sehr viel mit der Echtheit der Materialien, ihrer Verarbeitung und der Verwendung zu tun. Es ist eine Trilogie von Eichenholz, unbehandeltem Beton und hellen Putzvarianten, die das Haus Holdergasse charakterisieren. Außen sind es vorrangig der Dialog von verputzten Ziegelwänden und den Fensterahmen aus Eichenholz, die einen sanften Übergang zwischen Materialien, den Öffnungen und den geschlossenen Flächen generieren, um die gesamtheitliche Plastizität der Architektur zu unterstützen. Scharfe Material-Kontraste hätten die Form des Hauses zu sehr gebrochen.

Besonders viel Engagement bewies das ausführende Team Vaduz von Baumschlager Eberle Architekten in der Anwendung des Putzes: «Für den Außenputz wurde eine sandig, warme Oberfläche mit monolithischer Wirkung entwickelt, welche ökologisch und dampfdiffusionsoffen ist. Mit der Wahl eines Sumpfkalkputzes wurde eine traditionelle Verputztechnik aufgegriffen und neu interpretiert.

Innen kommt der unbehandelte Ortbeton verstärkt zum Einsatz. Die Kassettendecken im Wohnzimmer und der Essküche, die Decken im Treppenhaus sowie die Wände in den Badezimmern bringen einen raueren, dunkleren Akzent ein. Symbolisch betrachtet bringen sie uns näher zur Erde, konkret zeigen sie den statischen Aufbau: Ziegelwände und Betondecken bilden die Primärkonstruktion des Hauses.

Handwerk in Perfektion
Echte Materialien verlangen echtes Handwerk. Die räumliche und materielle Qualität des Hauses wird hier konsequent bis ins Detail der handwerklichen Umsetzung fortgeschrieben, wie sie sonst nur mehr selten zu sehen ist. Die Haptik von massiven Eichentüren, des vielschichtig aufgetragenen Putzes oder der Kücheneinkleidung in sorgfältig verarbeitetem Zinkblech - um nur ein paar Beispiele zu nennen – wirkt angenehm entschleunigend. Tradierte Handwerkskunst leistet unaufdringlich ihren Beitrag zum Gesamterlebnis. Sie ist Teil einer architektonischen „Grammatik“, die das Haus von der Form über die Materialien bis zur Ausführung strukturiert. Dieser Entwurfsansatz illustriert die universelle Methodik von Baumschlager Eberle Architekten.

Die Energie
In der gesamten Konzeption des Hauses stand die Dauerhaftigkeit und damit Nachhaltigkeit der Materialien im Fokus. Die raumprägenden Kassettendecken in Küche und Wohnzimmer sind das Ergebnis eines Ansatzes die Betondecken auf die minimal notwendige Stärke zu reduzieren und damit Ressourcen zu schonen. Hohe Ingenieurkompetenz umgesetzt mit handwerklicher Fertigkeit resultieren in einer Deckenstärke von lediglich 8 Zentimeter in den Kassettenfeldern. Ästhetik und Funktionalität finden also zueinander. Die Dämmziegel aus reinem Ton reduzieren die Energieverluste auf ein Minimum. Zusammen mit den Betondecken generieren sie eine hohe Speichermasse, die solare Energiegewinne speichert und auch im Sommer ein angenehmes Raumklima gewährleistet. Die Wärmeerzeugung erfolgt über eine Luft-Wasser-Wärmepumpe.

Das Haus Holdergasse tritt auch energetisch gesehen in einen Dialog mit seiner Umgebung. Eine Photovoltaik-Anlage am Dach sorgt für hauseigenen Strom. Überschüsse werden in einem grosszügig dimensionierten Batteriespeicher gespeichert. Dieser bedient auch zwei Nachbarsgebäude, welche ihrerseits mit Photovoltaikanlagen ausgestattet sind und die Batterie gemeinsam nutzen. So lange ab und zu die Sonne scheint, können die drei Gebäude losgelöst vom Stromnetz betrieben werden.

Architektur leistet ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit vor allem über die Langlebigkeit des Raumkonzepts und der Materialität. Das energetische Konzept ist darauf punktgenau abgestimmt. Es bringt hier in Vaduz nicht nur Mehrwert für das Haus selbst, sondern zeigt beispielhaft, wie Energie-Cluster auch im Bau von Einfamilienhäusern verwirklicht werden können.

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