Masse und Ko-Existenz

Inge Beckel
2. Februar 2012
Überbauung Klee in Zürich-Affoltern. Bild: stadt-zuerich.ch

Ein Werkzeug zum Thema Verdichten
«Dichter» nennt sich eine Broschüre, die das Amt für Städtebau der Stadt Zürich jüngst herausgab. Keine Zusammenstellung literarischer Texte ist darin versammelt – nein, nach Vorworten und informativen Einführungstexten werden 30 Beispiele von jüngeren Siedlungen auf Stadtgebiet vorgestellt – mit vielen Kennzahlen: etwa Wohnungsgrössen, Mietzinse, Ausnützungsziffern, Überbauungsziffern; interessant aber ist besonders die Anzahl Bewohner und Bewohnerinnen. Und dies vor allem im Vergleich. Denn die Kennzahlen der neuen Bauten – wo es sich um Ersatzsiedlungen handelt – werden jenen der ehemaligen Siedlung gegenübergestellt. In der Regel liegt die EinwohnerInnenzahl der Neubauten höher als jene der Altbauten. Es gibt aber auch Fälle, wo durch grosszügigere Grundrisse die Zahl der EinwohnerInnen heute tiefer als früher liegt. Die Broschüre gibt der Leserin damit ein gutes Werkzeug an die Hand, um konkreter zu erfahren, was Dichten bedeuten oder im Alltag sein können.

Im Sunnige Hof in Albisrieden etwa – die Neubauten sind von Burkhalter Sumi Architekten – finden sich heute 15 Wohneinheiten mehr als die ehemaligen 134. Dies, obwohl die Fläche pro Person von rund 24 auf rund 41 Quadratmeter angestiegen ist. Die Siedlung Klee in Affoltern von Knapkiewicz & Fickert Architekten demgegenüber wurde auf grüner Wiese gebaut. Sie beherbergt in einem kleeförmigen, jedenfalls zusammenhängend gebauten «Blockrand» insgesamt gegen 1000 BewohnerInnen.

Ersatzneubauten Sunnige Hof in Albisrieden. Bild: stadt-zuerich.ch

Stadt und Land
Auch in der Wakkerpreis-2012-Gemeinde Köniz südwestlich von Bern ist «verdichten» ein Ziel (vgl. auch Podcast der letzten Woche). Dass sie dies in vorbildlicher Weise tut, ist mit ein Grund für den erhaltenen Preis, der übrigens bei den Gemeindebehörden und ihren Verantwortlichen heute sehr beliebt ist. Wird einer Gemeinde der Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes zugesprochen, ist ihr schweizweite Publizität garantiert. Die Gemeinde wird als lebenswert, jedenfalls vorbildlich gepriesen, und das lockt vielleicht gar Neuzuzüger oder Firmen an … Was in Köniz weiter vorbildlich ist, ist, dass im Ort verdichtet wurde, ohne neues Bauland einzuzonen. Im Gegenteil, im Zuge einer Ortsplanrevision in den 1990er-Jahren wurden 337 Hektaren ausgezont!

Denn Köniz will bei aller notwendigen Verdichtung den Einwohnerinnen und Einwohnern auch Landschafts- und Erholungsräume vor Ort bieten. So soll zum Beipiel Herzwil, einer der Köniz ausmachenden Ortskerne, in seiner ländlichen Struktur und in seinem dörflichen Charakter erhalten bleiben – hier wurde kein Land für Neubaugebiete ausgeschieden. Es geht nicht darum, einseitig das Landleben hochzuhalten, nein: Der Mensch braucht neben städtischer Dichte, die anregend und belebend ist, Freiräume, Weite und Natur. Nun muss gesagt sein, dass Köniz mit seinen gut 50 Quadratkilometern Fläche favorisiert ist, sowohl Stadt als auch Land auf eigenem Gemeindegebiet vorzuweisen. Ob in der Heimgemeinde oder beim Nachbarn, Stadt und Land wollen beide gelebt sein – sie wollen koexistieren.

Herzwil, ein «Land» gebliebener Teil der Agglomerationsgemeinde Köniz. Bild: Gemeinde Köniz

Integrativ – nicht additiv
Will man verdichten und nicht stets mehr Boden bebauen, nimmt auch der Verkehr eine wichtige Rolle ein. In zentralen Lagen Köniz' finden sich – und dies an Kantonsstrassen – mehrere Tempo-30-Zonen. Ziel ist es hier, auf der gegebenen Verkehrsfläche sowohl die Autos, Busse und Lastwagen passieren zu lassen als auch Fussgänger und VelofahrerInnen. Interessanterweise funktioniert das Prinzip am besten, wenn es viel Verkehr hat. Dann müssen die Autos stärker auf das Geschehen rundherum achten, die Aufmerksamkeit der LenkerInnen ist hoch, die eigene Fahrt relativ langsam. Bewegen sich dazwischen noch Fussgänger, werden diese gut aufgenommen im allgemeinen Kommen und Gehen. Ist aber der Verkehr in den Zwischenzeiten am Vormittag und Nachmittag eher gering, fahren die Autos schneller – und für die Fussgänger wird es in der Tendenz gefährlicher. Hier heisst es, Autolenker und Autolenkerinnen müssen dazu lernen.

Autos, Velos, Fussgänger, ÖV, erhält jede Sparte ihren eigenen Streifen, werden die Strassen immer breiter – was nicht nur Bodenverschleiss bedeutet, sondern in der Regel auch hässlich ist. Will man den öffentlichen Raum wieder vermehrt als Aufenthalts- und Lebensraum deklarieren und etablieren, müssen die Strassenräume bewusster und schliesslich wieder besser gestaltet werden. Kunst im öffentlichen Raum kann ein Mittel dazu sein, ein Allerweltsheilmittel ist sie aber nicht. Es gilt ebenso, den öffentlichen Raum wirklich als Raum wahrzunehmen: Breite und Höhe eines Strassenraums sind also zentrale Faktoren. Anstelle den Verkehr additiv zu organiseren – Fahrbahn neben Buslinie neben Velostreifen neben Trottoir – soll dieselbe Strassenfläche von mehreren VerkehrsteilnehmerInnen genutzt werden können. Dies verlangt selbstverständlich Lernbereitschaft und guten Willen aller Akteure und Akteurinnen.

Innovatives Mobilitätskonzept: Sanierung Schwarzenburgstrasse Köniz: 17'000 Fahrzeuge pro Tag, Tempo 30 und freie Überquerbarkeit. (Oberingenieurkreis II/Metron AG, 2005.) Bild: Gemeinde Köniz
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zur Broschüre «Dichter. Eine Dokumentation der baulichen Veränderung in Zürich – 30 Beispiele» hier.

zum Medienecho: Wakkerpreis für Köniz hier.

zum Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes hier.

zur Broschüre «40 Wakkerpreise: 1972 – 2011», eine Zusammenstellung von Stein am Rhein 1972 bis Ouest lausannois 2011 hier.

Zur Koexistenz von Stadt und Natur siehe auch:
Über das Verhältnis von Stadt und Natur, von Jenny Keller hier.

Die Stadt gewinnt. Wer ökologisch leben will, wohnt in der Stadt, in: «BeobachterNatur», 10/2011.

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