Biennale Venedig: Pavillon und Salon

Susanna Koeberle
13. Mai 2019
Im Hof des Schweizer Pavillons steht eine Bar. Bild: Pro Helvetia/Keystone/Gaetan Bally

Tanzen als Form des Widerstands: Das klingt schon mal recht unschweizerisch, aber durchaus erfrischend. Wie wir uns bewegen, sagt viel über uns aus, aber auch über die Zeit, in der wir leben. Und da bewegt sich zurzeit vieles rückwärts. Als Reaktion auf diesen Backlash und auf die reaktionären Tendenzen in Politik und Gesellschaft hat das Künstlerinnenduo Pauline Boudry/Renate Lorenz (eingeladen durch die Kuratorin Charlotte Laubard) eine filmische Installation geschaffen, mit der sie an der diesjährigen Kunstbiennale den Schweizer Pavillon bespielen. Für ihr Projekt veränderten die beiden Künstlerinnen auch den Raum des Pavillons und verwandelten diesen in eine Art Nachtklub. Man betritt als Besucher*in einen dunklen Raum und erfährt den Pavillon so ganz neu, interessanterweise fast physischer als bei vielen anderen Präsentationen. Das mag wohl damit zusammenhängen, dass wir als Besucher*innen angeregt durch die Gesten und Bewegungen der fünf Performer*innen selber in einen anderen körperlichen Modus fallen, auch wenn wir uns nicht mitbewegen. Das wäre allerdings durchaus erlaubt und auch im Sinne der Künstler*innen. 

Ein dunkler Raum, der die Wahrnehmung verändert. Bild: Annik Wetter

Das Motto des Pavillons «Moving Backwards» kommt auf unterschiedlichen Ebenen zum Tragen. In den Choreographien experimentieren die fünf Performenden mit Rückwärtsbewegungen. Die Künstlerinnen erinnern in ihrem Statement etwa daran, dass kurdische Guerillakämpferinnen ihre Schuhe umgekehrt tragen, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Sie scheinen rückwärts zu gehen, aber bewegen sich vorwärts (oder andersrum). Ambivalenz kann Leben retten. In der Performance werden auch Gendergrenzen aufgebrochen – denn die gesellschaftliche Festlegung und Beschränkung auf binäre Codes erfahren Boudry/Lorenz als Einengung. Sie thematisieren dies auch in ihrer Kunst. Rückwärtsgehen kann auch eine Strategie des Widerstands sein, eine Möglichkeit seinen Kopf zu öffnen für die multiplen Möglichkeiten unseres Daseins. Eine Projektzeitschrift mit Texten von Philosoph*innen spinnt diese Gedanken weiter. Doch Körper sind nicht einfach passive Träger von Ideen, Körper «denken» ebenso.

Von links nach rechts: Pauline Baudry, Charlotte Laubard und Renate Lorenz. Bild: Pro Helvetia/Keystone/Gaetan Bally

Die Beziehung zwischen körperlicher Fortbewegung und Gedanken konnten Besucher*innen auch an einer partizipativen Gehperformance des «Walking Artist» Hamish Fulton am eigenen Körper erfahren. Sie bildete die Eröffnung des ersten «Salon Suisse», der dieses Jahr auf das Thema Langsamkeit fokussiert. Die Salonnière Céline Eidenbenz erkundet mit dem Programm «slow» den Rhythmus kreativen Schaffens. 

Hamish Fulton versammelte in Venedig auf dem Areal der Accademia di Belle Arti eine kleine Gruppe laufwilliger Personen (ich war auch eine davon) um sich und erklärte die Regeln seiner Performance «Walking in Every Direction». Wir durften demnach weder ein durch bestehende rote Steinplatten geformtes Oval verlassen, noch reden, geschweige denn telefonieren, noch den Gehmodus stoppen. Zudem waren keine Linienbewegungen erlaubt, das heisst, wir mussten ständig die Gehrichtung wechseln. Und das während 90 Minuten! Dabei zeigte sich, dass die Teilnehmenden eigene Strategien entwickelten. Das betraf sowohl Rhythmus wie auch Art der Fortbewegung – auch rückwärts gehen war natürlich gestattet. Das fortlaufende Gehen um des Gehens willen erlaubte eine eigene Form des Denkens, nämlich eine solche, die zweckfrei ist und deswegen auch als subversive Praxis verstanden werden kann. 

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