Piranesi des Atomzeitalters

Manuel Pestalozzi
14. März 2016
Skizze von Ken Adam für den Film «Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb». Bild: vickielester.com

Ken Adam erfuhr den Schrecken und die Zerstörungskraft des modernen Kriegs am eigenen Leib. Als Jugendlicher aus dem heimatlichen Berlin vertrieben, studierte er in London Architektur und nahm als junger Pilot am Zweiten Weltkrieg teil. Seine offensichtliche Technikbegeisterung hat sich in vielen Bühnenentwürfen für die Filmindustrie niedergeschlagen. Berühmt sind vor allem die verschiedenen «Bunker» von Bösewichten aus den James Bond-Streifen. Die interessanteste Kollaboration war wohl jene mit dem uomo universale Stanley Kubrick. Für dessen Atom-Endzeitsatyre «Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben» (Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb) entwarf Ken Adam anfangs der 1960er-Jahre den «War Room», einen riesigen, mit modernster Kommunikationstechnik ausgestatteten Konferenzraum. Es geht die Legende, dass sich US-Präsident Ronald Reagan beim Bezug des Weissen Hauses ernsthaft erkundigte, wo denn dieser Raum sei. Die Banalität des reellen Schreckens war dem früheren Filmschauspieler vielleicht fremd.
 
Obwohl Ken Adam auch bei zahlreichen Historiendramen das stilechte Dekor schuf und in fröhlichen Kinderfilmen die sonnige Seite seiner Phantasie zum Ausdruck brachte, sind es wohl die technoiden Höhlen und Grotten, welche die Nachwelt am stärksten mit seinem Namen verbinden. Es ist nicht abwegig, ihn als «Piranesi des Atomzeitalters» zu bezeichnen; seine mit gekonnten Filzstiftspuren aufs Papier gebrachten Entwurfsskizzen erinnern an die Carceri des italienischen Kupferstechers, der 201 Jahre vor ihm geboren wurde. Auch die Dramatik offenbar unterirdischer Kavernen, in die von oben, aus undefinierten Quellen, Lichtstrahlen fallen und grelle Flecken hinterlassen, deuten auf eine Geistesverwandtschaft hin. Als Inspirationsquelle Adams werden auch das Bauhaus und der expressionistische deutsche Film der Zwischenkriegszeit genannt.
 
Wiederkehrende Motive dieser imaginären Räume unter der Erdoberfläche sind endlose, oft verwinkelte Räume sowie eine Massstabs- und Auswegslosigkeit. Anders als bei Piranesi, gibt es häufig keine Treppen, die nach oben führen. Zuschauerinnen und Zuschauer sind mit den Protagonisten gefangen. Alleine die Technik kann die Befreiung bewirken – oder das definitive Ende. Entsprechend werden Geräte, Raketen beispielsweise oder Unterseeboote, als Skulpturen freigespielt. Ken Adam huldigt damit der Ästhetik des Kriegsgeräts, was unter geistigen Eliten des Westens zwar seit längerem verpönt ist, im breiten Publikum aber auf Anklang stösst.
 
In der Architektur der vergangenen Jahrzehnte konnte man eigentlich keinen «Ken-Adam-Effekt» wahrnehmen. Die grösste Nähe ist vielleicht jene zu Frank O. Gehry, dessen Räume und Konstruktionen gelegentlich die Dramatik expressionistischer Filmsets aufweisen. Aber vielleicht lehrt Ken Adam eher, wie man es eben in der Architektur nicht machen sollte. Bühnenbilder sind meistens räumlich gemachte Träume. Sie werden oft in einer geschützten Umgebung errichtet und können sich darauf beschränken, Hülle und visuelle Grenze zu sein. Sie brauchen nur einige Wochen zu überdauern, manchmal ist die Art ihrer Zerstörung als Teil der Handlung schon sorgfältig eingeplant. Insofern unterscheiden sie sich grundsätzlich von der Architektur. Doch sie zeigen, wie man auch in der Architektur über Dimensionen, Licht-, Farb- und Oberflächeneffekte Stimmungen erzeugen kann. Darin war der bis ins neue Jahrtausend aktive Ken Adam ein Meister. Deshalb sollte es für Architektinnen und Architekten zur Pflicht gehören, sich die Filme anzusehen, in denen er für das Dekor zuständig war.

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