Schweben über der Agglo

Manuel Pestalozzi
13. September 2021
Der neue Turm ist eine Konstruktion aus Holz und Stahl. Das verbaute Tannen- und Fichtenholz stammt aus den Wäldern rund um den Bauplatz. (Foto: Manuel Pestalozzi)

Der Hasenberg ist eine Anhöhe beim Mutschellenpass, der von der alten Hauptstrasse überquert wird, die von Zürich nach Bern führt. Sie gehört zum Gemeindegebiet von Widen. Die Sicht von oben reicht weit, und einst träumte man von einem florierenden Kurbetrieb. Doch der Ort erwies sich als zu abgelegen und wohl auch als zu unspektakulär. Jedenfalls kam das Projekt nie ans Fliegen. Ein beliebtes Ausflugsziel für die lokale Bevölkerung war der Hasenberg indes immer. Und nach dem Zweiten Weltkrieg kamen fortwährend mehr Menschen. Heute sind die Gemeinden um den Mutschellen eine beliebte Wohngegend, der Weg über den Pass ist eine intensiv befahrene Pendlerstrecke.

Vor dem Ersten Weltkrieg, als man in der Schweiz gerade auch in Sachen Tourismus hochfliegende Träume hatte, baute ein Badener Tierarzt beim damaligen Restaurant auf dem Hasenberg einen Wohnturm, der dem Publikum eine bessere Aussicht auf die nahen Alpen bieten sollte. Aus Sicherheitsgründen und des fehlenden Geldes für den weiteren Unterhalt wegen wurde der Turm 1956 abgebrochen. Engagierte Bürgerinnen und Bürger suchten 60 Jahre später nach einem Ersatz. Sie gründeten 2018 den Trägerverein Hasenbergturm, der den Bau eines neuen Turms initiierte und sich verpflichtete, für dessen Betrieb und Unterhalt zu sorgen. Bereits zuvor, im Herbst 2015, liess man von den Studentinnen und Studenten der Berner Fachhochschule in Biel sechs Entwürfe ausarbeiten. Tanja Stücheli und Joel Minder gewannen diesen Wettbewerb mit ihrem Projekt «Triangolo», das in der Folge weiterbearbeitet wurde.

Die Metallroste der Stufen und Zwischenpodeste erlauben einen freien Blick nach unten. (Foto: Manuel Pestalozzi)

Als Standort wurde nach längerer Diskussion nicht der höchste Punkt «auf» dem Hasenberg, also mitten im Gehölz, sondern ein Platz am östlichen Waldrand bei der sanft nach Süden hin abfallenden Hangkrete gewählt. Ein weiser Entscheid, wie der Besuch vor Ort zeigt. Von der Zufahrtsstrasse her ist der Turm schon aus der Distanz in seiner ganzen Pracht erkennbar, der Spaziergang vorbei am Weiler Hasenberg mit seiner alten Kapelle und dem einstigen Kurhaus, das heute eine Heimstätte ist, ist eine perfekte Annäherung. Der Turm mit dreieckigem Fussabdruck erhält mit dem Waldrand einen Rücken, der ihm optisch Halt verleiht. Zwar gibt es keine Rundumsicht, sondern nur ein 240-Grad-Panorama, trotzdem aber sind Nah- und Fernblick sehr interessant: Man schaut auf die urbanisierte Landschaft der Gegenwart.

Die östliche Ecke des Turms gliedert das Blickfeld: links das Limmattal, rechts das Freiamt und das Säuliamt. (Foto: Manuel Pestalozzi)

Unter dem Alpenkranz am Horizont breitet sich links das dicht besiedelte Limmattal aus, rechts liegen das Säuli- und das Freiamt. Die bauliche Dichte ist dort geringer als im Limmattal, nach wie vor dominieren Agrarflächen. Doch auch in dieser Richtung zeigt sich die Landschaft als stark erschlossene, reichlich mit Wohnbauten durchsetzte Agglomeration. Getrennt werden die beiden Räume durch die bewaldete Albiskette. Überhaupt wird man sich beim Ausblick einmal mehr bewusst, wie sehr der Wald widersprüchliche Bedürfnisse nach schönen Wohnorten, guten Verkehrsanbindungen und einer «intakten Natur» miteinander versöhnen und in einen einigermassen erträglichen Einklang bringen kann.

Jenseits der landwirtschaftlich genutzten Flächen breitet sich die Agglomeration des Limmattals aus. (Foto: Manuel Pestalozzi)

Der neue Turm auf dem Hasenberg ist knapp 36 Meter hoch, 210 Metallstufen sind auf dem Weg nach oben zu bewältigen, 13 Zwischenpodeste bieten Pausen- und Manövrierraum. Zeitgenossen, die nicht ganz schwindelfrei sind, müssen sich etwas «zusammenreissen», denn Stufen und Podeste bestehen aus Gittern. Der Blick nach unten landet allerorts auf dem harten Boden des Hasenbergs, über dem man förmlich zu schweben scheint. Erst die Aussichtsplattform zuoberst bietet eine Unterlage, die optisch nicht durchlässig ist.

Nach Süden schweift der Blick über den Mutschellen und Lieli hinweg bis ins Freiamt und auf die Zentralschweiz. (Foto: Manuel Pestalozzi)

Realisiert wurde das Projekt von der Erni Gruppe. Das Unternehmen war sowohl für die Holzkonstruktion als auch für die Stahltreppe verantwortlich. Die Fassade des Turms setzt sich aus druckimprägnierten Furnierschichtholzplatten in Fichte zusammen. Stützen, Streben und Riegel sind aus Tanne und Fichte gefertigt, das 7,5 Tonnen schwere Dach bilden Dreischichtplatten aus denselben Hölzern. Das Baumaterial stammt aus den Wäldern des Forstbetriebs Mutschellen. Sowohl die je zehn Meter hohen Fassadenelemente als auch das Dach und die Treppenteile wurden fertig montiert auf die Baustelle geliefert und dort etagenweise zusammengesetzt. 

Die elegante Fassade des Turms besteht aus Furnierschichtholzplatten. (Foto: Manuel Pestalozzi)

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