The Brutalist Playground

Manuel Pestalozzi
15. Juni 2015
Bild: © Tristan Fewings/Getty Images for RIBA

Seit sich die Moderne so richtig durchgesetzt hat, fühlen sich Architektinnen und Architekten auch für Spielplätze zuständig. Le Corbusier hat es auf dem Dach der Unité d’habitation vorgemacht: Das Tummelfeld sollte verschmelzen mit der Architektur und den Menschen so von klein auf zu ihren Liebhaberinnen und Liebhabern machen. Die Entwicklung verzweigte sich dann in Richtung exakt-didaktisch (zum Beispiel Aldo van Eyck) und bunt-frivol (Spezialistinnen und Spezialisten, die nicht berühmt werden).
 
Der Brutalismus scheint sich in Sachen Spielplätze an der ursprünglichen Absicht von Le Corbusier orientiert zu haben. «Sie evozieren eine verschwindende Welt von Betonlabyrinthen und windgepeitschten Passagen», sagt Simon Terrill, « wie eine Bühneninstallation für ein Stück von Bertolt Brecht erinnern sie an eine Zeit, als der öffentliche Raum noch straff organisiert war und es kein Soft Play gab.» Für ihre Installation orientierten sich Terrill und Assemble an zwei Spielplätzen in London, bei denen heutige Eltern wohl instinktiv nachsehen würden, ob Pflästerli und Merfen resp. ein Sturzhelm greifbar sind. Sie befanden sich in den Churchill Garden Estates in Pimlico und beim Balfron Tower von Ernö Goldfinger in Poplar, wo Künstler Terrill heute wohnt. Bald wurden diese Spielplätze als gefährlich betrachtet, sie exisiteren heute beide nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form.

Vorlage 1: Churchill Gardens Estates. Bild: © John Donat – RIBA Library Photographs Collection

Die RIBA Gallery hofft, mit der bespielbaren Ausstellung auch ein Publikum jenseits der Fachwelt anzuziehen. Sie wurde am 10. Juni eröffnet und hat die erste «Belastungsprobe» bestanden. «Kinder von zwei bis acht Jahren kamen», erzählt Joe Halligan von Assemble in einem Interview. «Wir fanden unsere Installation interessant, aber es ist schwierig zu sagen, ob diese Spielplätze wirklich gut sind oder nur ein Fetisch von Architekten. Doch alle Altersgruppen scheinen zu schätzen, was wir hier getan haben.»
 
Ein wichtiges Element des Brutalist Playground ist die «Untertasse» aus den Churchill Gardens. «Das war eine schwierige Aufgabe, die wir zusammen mit den Ingenieuren von Structure Workshop lösten», erinnert sich Halligan, «wir konstruierten eine Stahlstruktur, die einem Velorad ähnelt. Sie wurde auf einen Pfeiler geschweisst, der einen enorm breiten, die Last gleichmässig verteilenden Fuss besitzt, denn der Boden kann nur 4 kN pro Quadratmeter tragen.»

Vorlage 2: Balfron Tower. Bild: © Assemble and Simon Terrill, 2015

Die Geschichte des Brutalismus ist in Grossbritannien eng verknüpft mit jener des sozialen Wohnungsbaus. Ursprünglich auf einem Ideal der menschenwürdigen Arbeiterwohnung fussend, wurde dieser schnell mit einem niedrigen Sozialprestige, schlechter Bauqualität, Vandalismus und Kriminalität in Verbindung gebracht. Unter Premierministerin Margaret Thatcher konnten die einstigen Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen kaufen. Einige der architektonisch oft sehr interessanten Projekte sind seither in ihrem Prestige gestiegen, andere werden wohl verschwinden.

So stellt sich die Frage, ob der Verlust dieser in Schaumgummi nachgebildeten Spielplätze mit der «sozialen Säuberung» der brutalistischen Grossbauten zusammenhängt. «Ja», lautet die Antwort von Architekt Halligan, «es geht um Unterhalt und Pflege, also eher um politische als um architektonische Kriterien. Ich habe das Gefühl, die Moderne funktioniert, wenn der Kunde reich ist. Die Moderne, wie man sie im wohlhabenden Stadtteil Hampstead antrifft, ist wirklich schön und von guter Substanz, die unterhalten wird. Aber sobald es um den sozialen Wohnungsbau geht, ist alles anders.» Wie lässt sich dieses Statement mit der weichen, temporären Variante des Brutalismus in der Kunstgalerie in Einklang bringen? Ist die Welt heute vielleicht allgemein sanfter als damals? Ist die Verletzungsgefahr kleiner? Und haben wir ein neues Verhältnis zur Dauerhaftigkeit, warten wir jede Saison auf einen neuen Spielplatz? Vielleicht gibt der nächste Besuch in London Gelegenheit dazu, über die Antworten nachzudenken.
 
THE BRUTALIST PLAYGROUND
Bis am Sonntag, 26. August 2015
Architecture Gallery
Ground Floor
RIBA, 66 Portland Place
London W1B 1AD
Tel. +44 (0)207 307 3699
E-Mail [email protected]

Bilder: © Tristan Fewings/Getty Images for RIBA

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