Trockenübung für Giglio

Manuel Pestalozzi
7. August 2015
Concordia Lightscape. Bild: Gwizdala Andrzej and Adrien Mans

Wenn Menschen gewaltsam aus dem Leben gerissen werden, sind die Hinterbliebenen erschüttert. Oft ist der Wunsch gross, dem Verlust durch ein räumliches Objekt eine Form zu geben. Die Gedenkstätte hat ihren festen Platz in der Architekturgeschichte und begründete manche Typologie, insbesondere alle Arten von Grabmalen.
 
Die Idee, dass Orte des Geschehens ein Memorial erhalten sollen, scheint eher neueren Datums zu sein, abgesehen von Inschriften oder Plaketten an Häusern oder Wegrändern. Häufig haben entsprechende Initiativen im weitesten Sinn einen politischen Hintergrund und beinhalten eine Deutung des Ereignisses. Von der Tellskapelle bis zu den Installationen von Gigon/Guyer in Kalkriese kann man diese Zweckbestimmung erkennen.
 
Noch neuer sind Erinnerungsbauten, welche nach Katastrophen oder Tragödien errichtet werden und Momente der Einkehr und des Trauerns – es ist schwierig, das passende Verb zu finden – «einfassen» sollen? Jüngstes Beispiel ist das kürzlich eingeweihte Memorial auf der Insel Utøya in Norwegen, das an ein schreckliches Massaker erinnert. Die raumhaltige Skulptur ist schlicht und unaufdringlich – trotzdem fragt man sich, ob der Ort für sich, eine Plattform mit einer Plakette vielleicht und einer Sitzgelegenheit, nicht ausreichen würde.

Und nun also Giglio, vor dessen Küste ein Kreuzfahrtsschiff sank und über dreissig Menschen in den Tod riss. Der Wettbewerb ist eine Trockenübung, die Website matterbetter.com schreibt Wettbewerbe ohne Auftrag aus, und sieht sich als «Inspirations-Plattform, welche aktuelle Probleme der Menschheit lösen möchte».
 
Die Concordia Lighthouse Competition stellte explizit die Aufgabe, sich beim Entwurf des Memorials mit der Leuchtturm-Typologie zu befassen – formale Ansätze waren somit bereits gegeben. 282 Entwürfe gingen ein. Das Siegerprojekt, es soll von matterbetter mit € 3000 und einem Zertifikat belohnt werden, stammt vom belgisch-polnischen Team Adrien Mand und Andrzej Gwizdala und besteht aus einem Stabwerk, das einen in vertikale Linien zerlegten Turm darstellt. Die Stäbe verlaufen in zwei parallelen Reihen und lassen sich in der Nacht in einen leuchtenden Schleier verwandeln. Sie flankieren einen schmalen Steg, der in einer Kurve von den Felsen am Ufer in die Leere über dem Wasser führt.
 
Man kann sich des Verdachts nicht erwehren, dass hier eine Katastrophe als Vorwand für eine Architektur-Modeschau missbraucht wird. Das räumliche Erlebnis, welches die Installation verspricht, ist ein Ereignis für sich, das sich dem Unglück schwer in Zusammenhang bringen lässt. Es war schliesslich nicht der fehlende Leuchtturm, der die Katastrophe auslöste, seine Ursachen waren offenbar grundlegende menschliche Mängel. Wie man diesen mit einem Memorial gerecht werden könnte, wäre an sich eine ziemlich drängende Aufgabe.

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