Einfamilienhaus
11. September 2006
Eigentümer Anders Stokholm liegt durchaus richtig, wenn er sein neues Haus «der Zeit zwanzig Jahre voraus» beschreibt. Denn mitten in einem profanen Einfamilienhausquartier von Eschenz im Thurgau gelegen, wirkt die ‹Wohn-Box› des Zürcher Architekten Felix Jerusalem tatsächlich ungewohnt: eine schwebende Kiste mit Pultdach, grüner Kunststoffverschalung und Treppe aus Gitterrosten. Von zehn Stützen getragen steht das eingeschossige Wohnhaus frei über dem Boden. Der grundwassergetränkte Untergrund in der Nähe des Untersee-Rheins und Funde aus der Römerzeit liess keine Erdbewegungen zu.
Das Strohhaus ist von aussen nicht als solches zu erkennen: Die schwebende Wohnbox ist mit Fieberglasplatten eingekleidet.
Fotos: Georg Aerni
Hauptraum im Inneren des ‹Edelrohbaus› ist das rund vier Meter hohe
Wohnzimmer. Sowohl seine Fensterfront gegen Westen, mit Ausgang zum
Garten, als auch das stirnseitige Podest, das als Arbeitszimmer mit
Panoramablick dient, schaffen ein grosszügiges Raumgefühl. Die Wände
sind gelb und weiss gestrichen. Gelb sind auch die Kreise des Künstlers
Karim Noureldin, die er auf den naturfarbenen Unterlagsboden (Anhydrit)
gemalt hat.
Der Gang zwischen den beiden Kinderzimmern und dem Bad ist auch Bibliothek und Kunst-und-Bau-Galerie.
Die grösste Besonderheit dieses Hauses ist erst auf den zweiten Blick
sichtbar: Als Baustoff hat der Architekt gepresstes Stroh verwendet.
Aussen- und Innenwände bestehen aus Strohfaserplatten, die dank des
Sandwichaufbaus sowohl tragen als auch dämmen. Die Platten werden in
der Kornkammer Deutschlands, in Mecklenburg-Vorpommern, gefertigt und
im Lastwagen- oder Möbelbau eingesetzt. Das Experimentieren mit dem
ökologischen Baustoff und anderen nachwachsenden Rohstoffen ist in
Deutschland und Österreich derzeit sehr beliebt, da staatliche
Fördergelder dafür sprudeln.
Mitten im Wohn- und Esszimmer hängt das Cheminée dekorativ von der Decke. Es gibt dem Raum seinen Massstab zurück.
In der Schweiz gibt es noch wenige Bauten aus Stroh, bekannt sind in Fachkreisen vielleicht noch die mit Lehm verputzten Strohballen-Häuser des Bündner Architekten Werner Schmidt. Die Vor- und Nachteile des Bauens mit Stroh müssen noch besser erforscht werden: Es ist beispielsweise zu erwarten, dass sich die Strohfaserplatten in den ersten beiden Jahren durch die Hitze und Feuchtigkeit ausdehnen und zusammenziehen. Ausser an den Fugen und Plattenstössen ist dem Prototyp aber noch nichts anzusehen. Keine Überraschungen erleben wollten die Bauherren bei seitlichem Regenfall, weshalb Jerusalem grünliche Fieberglasplatten vorhängte. Diese erhöhen den Dämmeffekt noch ein bisschen, da sie das Sonnenlicht brechen und die Luft zwischen Platte und Fassade zirkulieren lassen. Ob sich die – baubiologisch betrachtet – makellose Strohplatte im Hausbau durchsetzen wird, gilt abzuwarten. Anfragen an den Fachplaner Hermann Blumer liegen zwar vor. Doch die Produktion der Platten ist derzeit wieder ins Stocken geraten, denn der ostdeutsche Hersteller steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Paul Knüsel
Unter der zum Wohnraum hin offenen Galerie liegt das Elternschlafzimmer.
Um den betonierten Bad-WC-Küchen-Kern liegen alle Zimmer auf einer Ebene. Nur über das Elternschlafzimmer passte noch ein Arbeitsplatz unters Pultdach.
Aussenwand-Muster: Die Sandwich-Platte trägt und isoliert. Sie besteht aus einer dichten Innen- und Aussenplatte, je 4 cm stark, gefüllt mit porösen, 17 cm-dicken Strohelementen.
Einfamilienhaus
2005
Sagiweg 2
Eschenz
Bauherrschaft
Familie Stokholm
Eschenz
Architektur
Felix Jerusalem
Zürich
Fachplaner
Hermann Blumer
Herisau
Bauleiter
Turi Weiss
Stein am Rhein
Elementbau
Max Kaufmann
Wallbach
Kunst am Bau
Karim Noureldin
Lausanne
Anlagekosten
(BKP 1–9)
CHF 660 000.–
Gebäudekosten
(BKP 2/m³)
CHF 725.–
Heizwärmebedarf
Qh (gemäss SIA 380/1)
15 W/m³