geortet: Ersatzneubauten Triemli Zürich

Inge Beckel
20. Juni 2013

Zwei mehrfach geknickte, sechs- und siebengeschossige Gebäudezeilen spannen einen halböffentlichen, durchgängigen Innenhof auf. Es sind die Ersatzneubauten der Baugenossenschaft Sonnengarten Zürich mit fast 200 Wohnungen. Hier standen zuvor dreigeschossige, mit Satteldächern eingedeckte Wohnhäuser der Architekten Karl Egender und Wilhelm Müller aus den 1940er-Jahren. Die um gut 50 Prozent verdichtete Siedlung – während früher rund 330 Personen dort lebten, sind es heute etwa 500 – ist das Ergebnis eines 2006 durch dasArchitekturbüro Thomas von Ballmoos' und Bruno Kruckers gewonnenen Wettbewerbs.

Urbane Infrastruktur
Für Bruno Krucker gehören die öffentlichen Räume zur urbanen Infrastruktur. Und diese ist grundsätzlich aus einer Langzeitperspektive zu denken und zu bauen. Während die einzelnen Bauten entlang von Strassenzügen und auf den angrenzenden Parzellen im Laufe der Jahre mitunter mehrmals ersetzt werden, bleibt der öffentliche Raum oft über Jahrhunderte in ein und derselben Form erhalten. Sind aber auch die Bauten von einer derartigen physischen Qualität, dass sie – von kleineren Anpassungen und Erneuerungen abgesehen – 50 oder gar 100 Jahre überdauern können, und sind die Innenräume atmosphärisch gut und in ihrer Nutzung offen genug, überleben diese, analog zum Strassenraum, oft ihrerseits über viele Jahrzehnte und werden zu einem Teil der urbanen Infrastruktur. Es würde doch niemandem einfallen, meint Krucker im Interview, in den Kreisen 4 oder 5 von Zürich die Blockrandbauten aus dem späten 19. Jahrhundert, deren Bausubstanz generell intakt ist und deren Räume beliebt sind, abzureissen.

Verdichtung
Dies bedeutet für die Architekten, im optimalen Fall, Nachhaltigkeit. Die Altbauten aus den 1940er-Jahren beim Triemli demgegenüber waren, mitunter wohl kriegsbedingt, nicht von guter Bauqualität; insbesondere der Aufwand für eine energetische Sanierung wäre hoch gewesen. Zudem entsprachen die Wohnungstypen nicht mehr den heutigen Erwartungen der Genossenschafterinnen und Genossenschafter. Zwei Dreizimmerwohnungen auf einer Geschossfläche von insgesamt knapp 150 Quadratmetern inklusive Treppenhaus lassen sich wohl durch Zusammenlegen heutigen Bedürfnissen anpassen; doch wäre damit – innerhalb der alten Bauvolumen – die Belegungsdichte der Siedlung gesamthaft markant gesunken. Das Gebot des 21. Jahrhunderts aber heisst raumplanerisch Verdichtung. Die Kombination der minderwertigen Bausubstanz der Vorgängerbauten und der geforderten Verdichtung liess eigentlich nur den Schluss für Ersatzneubauten zu (s. Learning).

«Wiederkehrer»
Den Bewohnern und Bewohnerinnen der alten Wohnungen wurde angeboten, in siedlungsnahe andere Liegenschaften der Genossenschaft umzuziehen. Manche der ehemaligen Mieter und Mieterinnen kamen nun sogar an den angestammten Ort beim Triemli zurück und bezogen eine der neuen Wohnungen. Alle sind sie von gleichem Standard. Und alle haben Sichtkontakt auf einen die Siedlung flankierenden Strassenraum als auch in den Innenhof. Sie unterscheiden sich in drei Wohnungstypen und variieren in der Grösse. Nicht monofunktional ausgerichtete Räume bestimmten damit die Wohnungsgrundrisse – wie sie der Funktionalismus zum Mass des Bauens erklärt hatte –, sondern in ihrem Ausdruck tendenziell neutrale Räume, die das Leben vieler in je seinen Besonderheiten und der im Laufe der Jahre ändernden Bedürfnisse aufnehmen können. Typologie wird damit sinngemäss zu einer verdichteten Form der «Normalität» von heute als möglichst auch jener von morgen.

Gelebte Alterung
Konstruktiv sind die vorgefertigten Betonelemente der Fassaden ein zentrales Element der Ersatzbauten. Sie sind in Rohbeton realisiert. Trotz des städtischen Umfeldes wirken sie in ihrer Rauheit oder, wie man fast sagen könnte, «Ungehobeltheit» beinahe rustikal. Dadurch stiften sie nicht zuletzt Identität und verleihen dem Ort seine Grosszügigkeit und seinen spezifischen Charakter. Die Betonfassaden versprechen bezüglich Pflege und Unterhalt einen geringen Aufwand. Bereits heute zeigen sie mit ihren vertikal in den Beton geritzten Rillen eine gewisse Patina. Durch den grossen Betonanteil ist die graue Energie wohl relativ gross, die teilweise jedoch dadurch kompensiert werden kann, als die hohe Material- und Verarbeitungsqualität just eine lange Lebensdauer verspricht. Für Kontinuität oder «gelebte Alterung» sorgen sinngemäss auch die Bepflanzungen, die teilweise vorhanden waren und möglichst erhalten wurden, wobei die Vegetation und ein angrenzender Bach auch schallschutzmässig dämpfend wirken.

Vorbildlich
Trotz der Grösse der Baukörper, die die äusseren Schalen – vergleichbar etwa mit einer Baumnuss – des inneren Freiraums darstellen, integrieren sie sich in ihrer dem Terrain folgenden Staffelung harmonisch in ihr urbanes Umfeld. Gleichzeitig geben sie ihm einen zeitgemässen Ausdruck und verleihen der Wohnsiedlung Triemli einen neuen Akzent. Das Projekt wurde im Minergie-Standard umgesetzt, was für den Planungszeitpunkt der Siedlung als fortschrittlich bezeichnet werden kann. Für die Nachhaltigkeitsbilanz des Gebäudes wäre es wertvoll gewesen, den Anteil grauer Energie zu bilanzieren, welche auf den hohen Betoneinsatz zurückzuführen ist, und, wo möglich, Recycling-Beton einzusetzen. Mit den Ersatzneubauten konnte im Weiteren eine Verjüngung der Genossenschaft insgesamt erzielt werden, was im Hinblick auf die genossenschaftliche Zukunft wichtig ist, gibt es doch immer «Ämtli», Aufgaben im Dienste der Gemeinschaft, zu verteilen.

Learning «Sanierung oder Ersatzneubau – die Optionen auf dem Prüfstand»
Nachhaltigkeit beginnt bereits in der Projektentwicklung. Diese erste Phase des Gebäude-Life-Cycle entscheidet über die Handlungsspielräume, in welchen alle Dimensionen der Nachhaltigkeit des Gebäudes in Planungs-, Bau- und Nutzungsphase gestaltet werden können. Die Einbettung des Gebäudes in Quartier und Landschaft bestimmt die Lebensqualität der Bewohner und die Ökobilanz des ganzen Projektes massgeblich mit.

Die meisten sanierungsbedürftigen Gebäude befinden sich in dicht bebautem Gebiet, und die Sanierung dieser Bauten ist daher kombiniert mit einer ganzheitlichen Städte- und Quartierplanung anzugehen. Die Baugenossenschaft Sonnengarten Zürich musste sich als Bauherrin entscheiden, ob die Siedlung beim Triemli saniert oder mit einem Neubau ersetzt werden soll. Die Genossenschaft hat für diese Entscheidung professionelle Unterstützung beim Hochbauamt der Stadt Zürich und bei Wüest und Partner AG gesucht und gefunden. Erst nach einer Abwägung beider Optionen wurde die Entscheidung für den Ersatzneubau getroffen und der Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Das ist vorbildlich.

Andere Artikel in dieser Kategorie