geortet: Überbauung Suurstoffi in Risch Rotkreuz

Inge Beckel
23. Mai 2013
Foto © Zug Estates

Die Rotkreuzer Überbauung Suurstoffi steht auf einem alten Industriegelände. Von früher erhalten sind zwei kleinere, heute gemeinschaftlich genutzte Bauten. Vor allem aber der Name erinnert an die industrielle Vergangenheit. Entlang der Geleise im Südosten des dreieckförmigen Areals haben Holzer Kobler Architekturen drei orthogonal ausgerichtete Baukörper gesetzt, die durch verschiedene Vor- und Rücksprünge im Gelände sowie in der Höhe spannungsreiche Zwischenräume aufspannen. Bis zu elf Geschosse hoch, beherbergen sie Publikumsnutzungen im Erdgeschoss und der Belle Etage, dem ersten Obergeschoss, sowie Wohnungen für den mittleren und gehobenen Sektor in den oberen Stockwerken.

«Nullsummenspiel»
Als Nullsummenspiel bezeichnet Tristan Kobler im Interview sinngemäss den notwendigen Energieverbrauch. Im Grundsatz werden die Bauten von 220 Erdsonden in rund 150 Metern Tiefe versorgt. Die Überbauung ist einem so genannten Anergienetz angeschlossen, wobei – vereinfachend gesagt – im Sommer Wärme gesammelt und der Überschuss im Boden gespeichert wird, um diesen im Winter ins Netz zurückführen zu können (s. «Learning»). Es ist der bisher grösste Erdspeicher mit Anergienetz der gesamten Region. Die Photovoltaikanlagen bieten einen Jahresertrag, welcher dem Energiebedarf der haustechnischen Anlagen entspricht.

Das neue Quartier mit total rund 600 Wohnungen und 2500 Arbeitsplätzen wird damit CO2- und schadstofffrei mit Wärme versorgt und die benötigte Energie vollständig vor Ort erzeugt – eine Art «Nullsummenspiel»; Die Überbauung ist bezüglich Energie autark. Hinsichtlich des Abfalls gibt es in der Suurstoffi keine Gebührensäcke mehr, denn der Kehricht wird gewogen und via eines Badge-Systems abgerechnet. Die Kosten werden also individuell dem Nutzenden verrechnet. Ökologisch bringt das Komprimieren des Abfalls vor Ort insofern etwas, als das Volumen reduziert wird und die Entleerung weniger häufig nötig ist.

In der Verantwortung bleiben Bauträgerin und heutige wie künftige Besitzerin der Überbauung ist die ZugEstates AG aus Zug. Zum Portfolio der Firma gehören mitunter das Zuger Hotel City Garden von EM2N oder eine Mehrheitsbeteiligung an der Einkaufs-Allee Metalli. Was diese Investorin auszeichnet, ist, dass sie nicht nur als solche auftritt, sondern die erstellten Liegenschaften behalten und langfristig betreiben will. Es ist entsprechend nicht so, dass sie die geplanten Bebauungen realisiert, mit hohem Gewinn verkauft und nach dem Verkauf nichts mehr damit zu tun hat. Vielmehr sucht die ZugEstates AG einen dauerhaften, langfristigen Ertrag.

Dass vor diesem Hintergrund die Nachhaltigkeit an vorderster Front auf der Prioritätenliste der Firma steht, ist verständlich. Als Betreiberin ist es für sie relevant, wie viel der Unterhalt der Bauten kostet. Es ist relevant, wie hoch die Heizkosten sind. Es ist relevant, ob die Bewohner und Büroinhaberinnen sich am Ort wohlfühlen und der Mieterwechsel entsprechend gering gehalten werden kann. Was Nachhaltigkeit in der Architektur aber konkret ist, haben ZugEstates AG und Holzer Kobler Architekturen miteinander in Workshops diskutiert, ja ausgehandelt. Denn nicht in allen Punkten hatten die beiden Akteure von Beginn weg dieselbe Vorstellung.

Qualität und Solidität
Die Architekten haben den Wettbewerb für ihren Bereich der Suurstoffi mit einem Konzept-Video, in Ergänzung zu klassischen Plänen, gewonnen. Die Grundrisse charakterisieren sich durch Grosszügigkeit. Entsprechend lassen sich die Wohnungen und Büroräume variabel bespielen und bieten den nötigen Freiraum für die Mieterinnen und Mieter, den Platz nach ihren Bedürfnissen wie den eigenen Vorlieben einzurichten. Diese Offenheit trägt zur Nachhaltigkeit bei. Aufgrund der Lärmschutzanforderungen wurde entlang der Eisenbahnlinie ein Anteil von Fenstern mit einer zusätzlichen Glasscheibe (welche die Transparenz nicht einschränkt) versehen. Die umlaufende Fuge zwischen diesen Elementen ermöglicht eine Belüftung mit reduzierter Lärmimmission. Die anderen Fenster können nach Ermessen geöffnet werden. Sämtliche Räume sind zudem künstlich belüftet.

Weiter haben die Architekten hochwertige Materialien ausgewählt, die einfach verarbeitet und damit bei Bedarf rückbaubar sind. Wiederum geht es um eine Langzeitperspektive, die verfolgt werden soll. Ein Wermutstropfen aber ist, dass kein Recyclingbeton verwendet wurde, womit – besonders hinsichtlich der Tiefgarage – der Bedarf an grauer Energie relativ hoch ist. Städtebaulich ist das neue Quartier urban ausgestaltet und dicht bebaut – die alte Industriebrache wurde umgenutzt und revitalisiert.

Vorbildlich
Bauträger wie Architekten haben sich die Langlebigkeit auf die Fahne geschrieben, haben gute Materialien gewählt, eine Offenheit der Bespielung der Räume anvisiert und wollen die Bauten langfristig bewirtschaften. Damit nehmen sie auch in Zukunft Verantwortung für die Überbauung wahr. Rotkreuz ist heute ein von der Pharmazie geliebter Standort, die Bewohner und Mieter gehören tendenziell einem gehobenen sozialen Sektor an. Auch findet sich auf dem Areal eine internationale Schule. Sollte sich diese relativ homogene Mieterschaft einmal ändern, fällt der Architektur die Aufgabe zu, auf neue Bedürfnisse anderer Menschen eingehen zu können.

Learning «Anergienetz – Wärme- und Kälteleitung mit Erdsonden»
Die Überbauung Suurstoffi setzt für die Wärme- und Kälteversorgung auf eine thermische Arealvernetzung (ein Anergienetz), in Kombination mit einem Erdwärmesondenfeld. Dieses System macht in der Schweiz zurzeit Schule und ermöglicht einen CO2-freien Betrieb. Das Anergienetz besteht aus zwei Wasserleitungen, welche die heutigen und zukünftigen Gebäude der Überbauung miteinander verbinden. Die «Wärmeleitung» dient als Wärmequelle für die Wärmepumpen in den einzelnen Gebäuden. Umgekehrt dient die «Kälteleitung» der direkten Kühlung der Gebäude. Die dabei abgegebene Wärme kann wiederum zum Heizen genutzt werden – so ist Heizen und Kühlen möglich. Im Winter wird zusätzlich Wärme aus dem Erdreich mit Erdwärmesonden bezogen, im Sommer wird der Kreislauf umgedreht und Wärme ans Erdreich zurückgegeben. Der benötigte Strom wird mit positiver Jahresbilanz auf dem Areal mit Photovoltaik erzeugt, der Spitzenbedarf wird als Labelstrom dazugekauft.

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