geortet: Giesserei Winterthur

Inge Beckel
21. Februar 2013

Städtebaulich werden zwei sechsstöckige Zeilen je seitlich über zweigeschossige Verbindungstrakte zu einem Rechteck geschlossen, das einen länglichen Innenhof aufspannt. Das Gebäude, das im Winterthurer Stadtteil Neuhegi auf einer Brache des ehemaligen Sulzer-Areals steht, beherbergt insgesamt 155 Wohneinheiten – die beidseitig über private Aussenräume verfügen – und ist als so genannte Velo-Siedlung weitgehend autofrei konzipiert. Konstruktiv handelt es sich um einen Holzbau; dessen Fassaden in differenzierten Farbtönen mit einer speziellen Lasur eingefärbt sind.

GreenRadar
Der Energieingenieur Hans Jörg Luchsinger und der Umweltwissenschaftler Fabian Cortesi von der Liestaler Firma IEU AG haben nun anhand des von der IEU AG entwickelten GreenRadars den Minergie-P-Eco-Bau entlang aller Lebensphasen respektive LifeCycle-Schritte genauer analysiert. Konkret sind dies (vgl. geortet 3/2013): erstens die Projektentwicklung, dann die Planung, drittens die Erstellung, der eigentliche Bau. Nach der Fertigstellung folgen dann viertens Betrieb und Unterhalt, während der Lebensdauer eines Baus – fünftens – die vorgenommenen Umbauten und Sanierungsarbeiten sowie schliesslich, sechstens, Rückbau, Recycling und die Wiederverwertung von Bauteilen. Dies also ist ein Gebäudelebenszyklus, ein LifeCycle, oder eben: ein Bau sozusagen von der Zeugung bis zum Tod.

Nach deren Stellenwert befragt, ist für Andreas Galli das Thema der Nachhaltigkeit mittlerweile Teil der heutigen Architektur, deren Anforderungen es zu berücksichtigen gilt wie zum Beispiel das Einhalten der Baugesetze, das Erfüllen der Nutzungsbestimmungen und der finanziellen Vorgaben. Als Architekt hat man aber vor allem auch eine kulturelle Verantwortung. Im Interview erzählt er entsprechend begeistert von einer Skizze des Künstlers Helmut Federle, durch die er sich mitunter zur raumhaltigen Fassade des Mehrgenerationenkomplexes – ein zentrales Element des Entwurfs – inspirieren liess.

Kriterienkatalog Soweit, ganz in Kürze, die Sicht des Architekten. Während sich Fabian Cortesi vor Ort daran gemacht hat, den Bau von aussen, also gewissermassen als unbeteiligter Beobachter zu studieren. Neben Begehung und Gespräch mit dem Architekten ging er in knapp 50 Fragen Lebensphase für Lebensphase der geplanten Baute durch. Bei der Projektentwicklung fragte er sich zum Beispiel: Stehen die am Projekt beteiligten Partner hinter der Vision der Nachhaltigkeit und kommunizieren sie dies entsprechend? Oder: Ist das Projekt auf Langsamverkehr ausgelegt und wurde der Fahrradkomfort optimiert? Bezüglich der Planungsphase fragte er: Wurde der Bedarf an Grundstücksfläche minimiert? Zur Erstellung hiess etwa ein Punkt: Wurde die Umweltbelastung bei der Wahl/Produktion der Baustoffe minimiert?

Hinsichtlich der Phase, die nach Bezug einsetzt, der vierten Phase Betrieb und Unterhalt, lautete eine Frage: Geniessen die NutzerInnen einen hohen Grad an individueller Ausgestaltung der Räumlichkeiten? Oder: Wurden die Tageslichtverhältnisse optimiert? Zum fünften Life Cycle, genannt Umbau und Sanierung, lautet ein Punkt etwa: Ist das Gebäude flexibel für künftige Umnutzungen? Oder: Wurden Reserven und Ausbaumöglichkeiten eingeplant – respektive angedacht? Beim letzten Punkt schliesslich, dem Rückbau, heisst eine Frage: Wurde die Rückbaufähigkeit speziell begünstigt?

Integration der NutzerInnen und gezieltes Vergrauen
Die Projektentwicklung wird von Cortesi durchwegs gut beurteilt, vor allem unter dem Aspekt sozialer Nachhaltigkeit. So waren künftige Nutzer und Nutzerinnen – aus Genossenschaft und dem für die Mieterschaft zuständigen Verein – über eine klar organisierte Struktur eingebunden. Der Ort ist an den öffentlichen Verkehr angebunden, Parkplätze wurden minimiert, Veloplätze sind reichlich vorhanden. Auch die Planung kommt mit guten Noten weg; so garantieren etwa die angestrebte Flexibilität und die breite Palette an Wohnungstypen eine effiziente Nutzung der Flächen. Bei der Realisierung sind Fragen aufgetaucht. Während der Komplex mit Fernwärme beheizt und erneuerbare Energie genutzt wird, muss sich die Funktionalität der zentralisierten Lüftung mit Feuchtigkeitsrückgewinnung noch zeigen; ebenso stellen sich Fragen zum Trittschall. Der Betrieb wird derlei Fragen klären.

Bezüglich Unterhalt wird das langsame Vergrauen der auf sägerohe Bretter aufgetragenen Schlemmfarbe der Fassadenelemente unterschiedlich beurteilt. Während der Architekt und die Bauherrschaft aufgrund der Wahl eines bewährten Produkts aus Schweden den Unterhaltsaufwand eher tief einschätzen, rechnet Cortesi mit regelmässigen Erneuerungsarbeiten. Es ist hier letztlich eine Frage der Haltung von Genossenschaft und Bewohnerschaft, ob sie sich mit dem stärker werdenden Grau in der Erscheinung ihres Hauses anfreunden können oder die satteren Farben aus der Erstellunsgzeit vorziehen. Die zahlreichen Möglichkeiten von Umnutzungen oder eine mögliche Neunutzung von Flächen sind bereits positiv erwähnt worden (s. Box «Nutzungsflexibilität»). Mit dem Einsatz von Recycling-Beton und Holz wurden weiter Ressourcen geschont. Auch ein allfälliger Rückbau schliesslich wird gut bewertet.

Vorbildlich
Als Fazit lässt sich sagen, dass in Neuhegi eine vielschichtige, urbane Architektur entstanden ist, die ein altes Industrieareal mit neuem Leben füllt. Alle Lebenszyklusphasen gemäss dem GreenRadar sind generell vorbildlich behandelt worden; gewisse Punkte müssen sich im Laufe des Baulebens beweisen. Die neue «Giesserei» ist folglich ein «brauchbares» Haus, wie sich Architekt Galli ausdrückt. Ein Bau auch, worin sich die Bewohnerinnen und Bewohner wohlfühlen können, einer, der ihren Bedürfnissen entspricht.

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